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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Manifest von Desillusion, Desolation und Nonsolution

Ratloser Softzynismus in Ronja von Rönnes Roman "Wir kommen"
Hamburg

Andere Titel, die diese Rezension hätte haben können:
1. Wie ein kleiner Arthousefilm voller reduzierter Langeweile.
2. Sterbensgewöhnlich mit geringen Anfällen von Pathos, die manchmal Poesie hochschnippen.
3. Eine Ansammlung von literarischen Kniffen, die mal geil waren und manchmal noch so wirken.
4. Ich mag nur die Schildkröte.
5. Ach, Ronja, wtf …

Worüber schreibt Ronja von Rönne? Über die Tristesse. Den Sex, der nicht stattfindet. Das Fehlen der wahren Revolte. Die Überforderung des Individuums und seine Heilsversuche. Die Beliebigkeit der Banalität im Angesicht von Relativität und Postironie und Metaentropie und Sehnsuchtsmentalität. Sie streift durch die Pseudo-Zeitgenossenschaft und hat darüber den Zombie eines Romans geschrieben.

Warum schreibt Ronja von Rönne? Ich weiß, was zwischen den Buchdeckeln steht. Aber warum sie schreibt, warum sie uns was mitteilen will, ehrlich: Keine Ahnung.

Ich schreibe das auf Anraten meines Therapeuten auf. Er ist jetzt zwei Wochen weg, im Urlaub, denn mein Therapeut hat das perfekte Leben. Ich habe nicht das perfekte Leben, deswegen habe ich den Therapeuten.

Es ist schon ein Problem, dass der Roman und seine Ich-Erzählerin fadenscheinig beginnen. Beinahe sofort zogen sich in mir die Widerstände hoch, die ich im Verlauf der Lektüre nur noch ganz selten, für besonders prägnante und gute geschriebene Sätze, senkte. Was meine ich mit fadenscheinig? Gibt es nicht Romane, die sich noch seltsamere Rechtfertigungen für ihre Verschriftlichung zugrunde legen? Sicher gibt es die. Nur, dass „Wir kommen“ diese Rechtfertigung erstens nicht bräuchte, zugleich aber zweitens ab und zu ein bisschen zu sehr daran festhält, Aufzeichnung zu sein, und es drittens wiederum andere Stellen gibt, bei denen es unglaubwürdig erscheint, dass sie von der Protagonistin dokumentiert und nicht bloß erlebt wurden, selbst im Rückgriff.

Das ließe sich eigentlich verschmerzen, macht einem aber von Anfang an klar, dass dieser Roman – zumindest in Teilen – vermutlich nicht aus einem tieferen Bedürfnis heraus geschrieben wurde. Dafür spürt man zu wenig Notwendigkeit hinter den Figuren; sie agieren (was immer wieder von der Erzählerin unterstrichen wird) nach ihrem ganz persönlichen Stigma; nach der Hälfte des Buches sind sie – und ihre Beziehungen untereinander – bereits erschöpft und gehen in die Leere. Eine Leere überdies, die keinen Gegenstand hat, keine Metaphysik antreiben kann, keine Metapher ist. Und daran krankt der ganze Versuch einer Story.

Spätestens morgen früh werde ich wissen, welche Fehlentscheidungen in meinem Leben mich zu dem gemacht haben, was ich heute nicht bin, immer noch nicht bin und, wenn ich meiner Panik glauben darf, auch nie sein werde.

Statt einer Dreiecksgeschichte hat Rönne auf den Topos des Beziehungs- und Generationsromans noch eine Lage draufgeschlagen, und so befinden wir uns in „Wir kommen“ in einer Vierecksgeschichte. Eine Angelegenheit, die das ganze Buch über so unerotisch und halbgar-bedrückt vonstattengeht, dass es fast schon erfrischend wäre, wäre es nicht zugleich furchtbar langweil- und -atmig. (An diesem Punkt will ich einmal betonen: Es ist wirklich nicht so, dass ich so wenig gute Haare an diesem Buch lassen WILL, aber es geht kaum anders.)

Als zweiter Strang laufen nebenher Kindheitserinnerungen der Protagonistin ab, die sich alle um Maja drehen; Maja, die einst ihre Heldin war, die Bewegung und Spannung und Reiz in die Zeit ihrer tristen Dorfjugend brachte, die die furchtbare Stille ihres Daseins durchbrach, in die sie gegenwärtig zurückzusinken droht; Maja, die nicht mehr antwortet; und zu allem Überfluss liegt im ersten Satz des Romans eine Erklärung dafür: eine Einladung zu ihrer Beerdigung im Briefkasten.

Sie sah kurz auf, dann schaute sie geradeaus, in Richtung des Computertisches und noch ein Stück dahinter, wo ja alles liegen konnte. Ich wusste bei Leonie nie, ob sie darüber nachdachte, sich die Wimpern zu tuschen oder sich das Leben zu nehmen.

Auf Schwermutstiefen und mit scheinbar subtil-auslassenden Charakterzeichnungen ziehen sich angereicherte Hüllen von getimter Prosa dahin. Die Maja-Geschichten sind besser, lebendiger. Es gibt darin eine Note, bei der man das Gefühl hat, dass hier wirklich etwas erzählt werden will; ein Widerstand baut sich auf, sobald man den Inhalt dieser Geschichte nur überfliegen, beiseite wischen möchte; ein Widerstand, der in der Hauptgeschichte kaum bis gar nicht existiert. Dort lässt sich alles beiseite wischen, ohne Verluste.

Wenn die Autorin gerade keine hochgeschaukelten Wie-Vergleiche anstellt -

Der Tag war eklig, zäh, wie Abende mit jemandem, in dem an nicht mehr so verliebt ist, ein einziges Warten auf den Tod.

- die sie uns WIE Löffel mit der ekligsten Medizin ins Gehirn schieben will, zieht sie ab und an aus den Erlebnissen, die sie beschreibt, leichtfüßige und -fertige Rückschlüsse auf das Allgemeine, gefällt sich in conclusions wie zum Beispiel:

Der Tag war Herumhängen, Kartoffelessen und Woody-Allen-Filme schauen, bis der Laptop-Akku mir drohte, den Geist aufzugeben, aber ich war zu phlegmatisch, um daran etwas zu ändern, und der Film endete dann halt vor dem Schluss, so wie das meiste vor Schluss endet, und so toll fand ich Woody Allen eh nie.

Wenn ich es mal so formulieren darf: Ronja von Rönne tut sich (und auch ihrer Generation, von deren Befindlichkeiten sie unbedingt der große Seismograph sein will) keinen Gefallen, wenn sie der Desillusionierung nach dem Mund redet. Was sie unentwegt tut. Es geht einem dermaßen auf die Nerven – man hat das Gefühl, sie kurbelt die Story nur hin und wieder ein wenig an, um die ganze Zeit ratlosem Softzynismus zu frönen. Das schafft keine Verbindung zum Leser, macht nicht klüger, weckt kein Interesse für irgendwas, sondern desillusioniert nur in einem Punkt: dass man es hier mit brauchbarer Literatur zu tun haben könnte.

Literatur lässt schließlich hinter die Dinge blicken. Sie ist nicht nur das Protokoll, sie ist auch die Betrachtung des Protokolls, auf der Suche nach der Ergänzung des Protokolls.

Dieses ganze Gehabe, das in „Wir kommen“ abgezogen wird, ist im schlimmsten Fall ein Verflachen des Anspruchs auf eine individuelle Deutung der Lebenswirklichkeit, eine Geiselnahme der Lebenswirklichkeit durch ihre Klischees; eine Schreibhaltung, die es sich leicht macht und ohne wirkliche Widerstände und Reflektionen von jenseits des Tellerrands durchgezogen wird.

Nur die eigenen Eltern freuen sich aufrichtig, wenn man mit irgendwas Erfolg hat, mit allen anderen versteht man sich am besten, wenn man ab und zu seufzt, ein bisschen jammert und zwischendurch euphorisch nickt.

Nahezu jeder hat solch einen Satz schon mal gedacht, hat schon mal so empfunden, aber dadurch wird diese Form des Denkens und Empfindens nicht endgültig wahr und die Reflexion über den Punkt, an dem diese Betrachtung mit einer anderen Stimmung, einer anderen Form von Wirklichkeit konfrontiert werden wird, bleibt mehrheitlich aus.

Um jede Ecke lauert die Desillusionierung, verlässlich und unausstehlich. Es gibt Poetisches, Sinnliches, Gehaltvolles, Interessantes, aber das wird meistens als Verlegenheitsprodukt gekennzeichnet.

Liegt da ein größerer, verschwiegener und nur ex negativo darzustellender Schmerz unter dem tauben, verfestigten Aggregatzustand der Tristesse? Ich will es nicht von vornherein verneinen, aber ich bezweifle es.

Ja, „Wir kommen“ hat im gewissen Sinne Potenzial das Abbild (die Show) vom Konstrukt einer Generation zu sein, die sich lapidar-wenig um alles schert, während sie sich gleichzeitig um ganz viel scheren will, wenn da nur irgendwas wäre, um das man sich was scheren könnte, etwas, das noch nicht profan ist, nicht von der Relativierung betroffen, der Entlarvung standhält … das Bild einer Gesellschaft, die über alles aufgeklärt wurde und dennoch (oder deswegen) keinen Schimmer hat, was sie mit sich anfangen soll.

Aber von all diesen Ansätzen, die eigentlich in Rönnes Roman enthalten wären, wird viel zu wenig angegangen, aufgenommen; selbst die Enge, in der sich die Wahrnehmung der Protagonistin bewegt, kann nicht sinnbildlich genannt werden – dafür missbraucht die Autorin ihre Protagonistin zu sehr als Gefäß für alle möglichen ins Buch hineingezwängten, dazu gehängten Gedanken und Themen. Was einen davon abbringt, sich mit der möglichen Problematik der Figur überhaupt zu beschäftigen, so stark ist sie umstellt von dem, was die Autorin über die Verhältnisse zu wissen meint und in den Roman hineinschleudert.

Man hat auch einfach nicht das Gefühl, dass sie wirklich ein Problem hat – und selbst wenn dieses Gefühl aufkäme, wüsste man nicht, weswegen; alle möglichen Erklärungen sind viel zu unbefriedigend dargestellt. Dafür geht es in dem Buch zu sehr um die Leute um die Protagonistin herum, die aber auch wieder konturlos bleiben, zumindest über Symptome einer bestimmten Art, am Leben zu scheitern, hinaus. Dummys & Placebos also, wenig mehr.

Egal, wie sehr er sich vor dem Tag ziert, der Morgen erlaubt das Menschsein. Egal, wie trüb er ist, immer macht der Morgen klar, dass man gestern irgendwie hinter sich gebracht hat, tröstliche Endlichkeit in blassblau und orange.

Warum schreibt Ronja von Rönne nicht wenigstens wie es ist, Ronja von Rönne zu sein?! Warum will sie unbedingt über unsere Generation schreiben? Warum ist sie so versessen, unsere Klischees zu finden und unübersehbar zu platzieren; vor allem gerade die Klischees, die ja schon unseren Smalltalk auf jeder Party hinlänglich bestimmen und deren Beschreibung garantiert keine neuen Impulse gibt. Was soll ein Leser mit einem Buch anfangen, das sich genauso verhält wie die Gesellschaft?

Ich habe eine Empfehlung an die Autorin: Lass‘ den Gesellschaftszeichnungs-scheiß weg. Lass die polyamoröse Story weg – oder schreib, wie sich die Leute dabei fühlen, und nicht nur, wie sie einfach nicht draufklarkommen. Schreib dir endlich Mal was von der Seele, wie du es in den kleinsten Facetten dieses Romans und in der Majageschichte, dann und wann, bereits getan hast. Hör auf, dein eigenes Erleben nur über den Einheitsbrei zu streuen und mit fescher, netter Sprache unterzurühren. Wer hat den Bock, etwas durch und durch Lakonisches zu lesen, nur um dann zu nicken und zu sagen: „Ja so ist es, das hat sie gut beschrieben, wie furchtbar, nicht wahr?“

Jeder Leser hat genug Grips in seinem Hirn, um über Verlorenheit Bescheid zu wissen und all die bereits gehaltenen Diskurse zu kennen, da macht es keinen Sinn beides platt zu pressen und ne Nadel drauf zu legen und es als das Album der Generation zu verkaufen.

Meine Rezension klingt entsetzt, und dahinter steht auch wirklich Entsetzen. Um mich nicht falsch zu verstehen: Es gibt viel Entsetzlicheres. Und ein Teil des Entsetzens, dass mich beschleicht, ist ja die Tatsache, dass ich dieses Buch bespreche, das ich Teil eines Meinungen herumscheuchenden Diskurses bin, der oft genauso unfruchtbar an allen Nähten des Stoffes reißt, bis kein Stoff mehr übrig ist. Ich bin dagegen, dass Literatur für Diskurse herhält, von ihnen vereinnahmt wird und es das dann war.

Und hier kommt man zum interessanten Punkt, nämlich dem, dass Ronja von Rönne immerhin ein Kompliment gemacht werden kann: Sie ist ein Symptom. Ein Symptom, ein Paradebeispiel (dieses Wort sollte man sich genauer ansehen) für beiläufiges, fatalistisches Gehabe, das dumm tut und um seine eigene Ungenießbarkeit weiß, ohne je Konsequenzen aus ihr zu ziehen (würde ja nicht zum Fatalismus passen).

Ronja von Rönnes Buch gelingt immerhin dieses eine: mir die Selbstgefälligkeit dieser Generationsidee – in der ihre Figuren feststecken und in der sie sich die Unschlüssigkeit zur schön-schrecklichen Tristesse umgebaut haben, übrigens nett eingerichtet – mal wieder aufs Gründlichste um die Ohren zu hauen. Und mir zu zeigen, dass es so nicht laufen soll.

Vielleicht mache ich zu viel Gewese um „Wir kommen“. Vielleicht ist es einfach ein nicht besonders guter Roman, von einer Person, die offenbar gar nicht so schlecht schreiben kann, aber es vorzieht, nicht über Dinge zu schreiben, die sie wirklich betreffen. Vielleicht hält mich nur die Vorgeschichte dieser Person vom völligen Desinteresse ab. Da ich nicht Teil eines Diskurses um eine Person sein will, belasse ich es, nach allen Ausführungen, bei einem schlichten Fazit:

„Wir kommen“ ist ein Buch mit flüssigem und netten Stil sowie größtenteils überflüssigem Inhalt, das weder seinen selbstgewählten Themen noch seinem möglichen Hype gerecht werden wird.

 

 

Ronja von Rönne
Wir kommen
Aufbau Blumenbar
2016 · 208 Seiten · 18,95 Euro
ISBN:
978-3-351-03632-4

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