Viiiiiisum?
Humor als Bewältigungsstrategie. Humor als literarisches Stilmittel. Humor als Mittel der Kritik. Humor, einfach weil es richtig lustig ist. Rasha Abbas „Die Erfindung der deutschen Grammatik“ hat alles davon und noch viel mehr. Ihre selbstironische Persiflage auf den Berliner Alltag einer Geflüchteten fordert den Leser heraus und nimmt ihn mit auf eine Reise durch Bekanntes und Neues. Dabei hat sie ihren Leser fest im Blick: Sie breitet einen Schatz popkultureller Referenzen aus, die jeder versteht, der einen Internetanschluss hat. Würde man diese Publikation aus dem Hause Mikrotext den AfD-Wählern zur Verfügung stellen, die Partei hätte bald keine Basis mehr. Aber zurück zu Rasha Abbas.
Der Weg zum Jobcenter ist normalerweise ein Spießhürdenlauf der besonderen Art. Egal, an welchem Punkt der individuellen Biographie man sich befindet: die Mitarbeiter sind gegenüber ihren „Kunden“, wie es so schön neoliberal heißt, alles andere als kooperativ. Wenn man kein Deutsch spricht, maximiert das die Möglichkeiten des Personals zu Komplikationen. Abbas lässt sich davon nicht einschüchtern. Sie lehnt es ab, vom Jobcenter einen Deutschkurs bezahlt zu bekommen, denn sie hat einen viel besseren Plan. Sie will sich Deutsch von der „Schule des Lebens“ beibringen lassen und springt dazu einfach auf die Straße. Das erklärt sie ihrem Ansprechpartner im Jobcenter dann auch per Brief genau so. Auf der Straße trifft sie auf Jimmy, einen Typen, der fast ein Dutzend Sprachen spricht. Jimmy kennt man aus dem Internet. Er kommt in der Kampagne eines Anbieters für Online-Sprachkurse vor und wirbt dort damit, dass er nicht nur europäische Sprachen spricht, sondern auch so Exotisches wie Gälisch oder Japanisch. Sein Geheimnis: Umgib dich mit der Sprache! Das nimmt Abbas sich zu Herzen und umgibt sich mit Deutsch. Überall spricht sie Deutsch, egal ob es für eine effektive Kommunikation reicht oder nicht. Lustig bleibt es jedenfalls immer. Jimmy gesteht dann, auch das der Komik geschuldet, dass er eigentlich gar nicht so viele Sprachen spricht. Eigentlich wollte er nur ein berühmter Youtube-Star werden - einfach einen Satz in jeder Sprache lernen und so brillieren. Den Rest macht das Internet. War dann auch so - Abbas gibt sich natürlich enttäuscht, aber Deutsch lernt sie weiter, wenn auch zähneknirschend, ab jetzt in einer Schule.
Ihre Methode, sich die grammatikalischen Geschlechter von Nomen zu merken, gehört in jeden Sprachkurs: Sie überträgt biologische Geschlechter auf die Objekte. So bekommt ein Apfel einen Schnurrbart, andere Nomen versieht sie auf Klebezetteln mit primären Geschlechtsmerkmalen. Der Text, in dem sie die Methode beschreibt, schwenkt dann um in eine Kritik der Kunstwelt. Ihre Klebezettel gelangen nämlich auf verschlungenen Pfaden und über mehrere Ecken in eine Galerie. Ihr erster großer künstlerischer Erfolg bringt sie in eine Gruppenausstellung. Ganz ihrer Rolle bewusst, mimt sie die unnahbare, kongeniale Künstlerin, die nichts sagt. Leider gibt es eine andere Künstlerin in der Ausstellung, die das Gleiche tut. Abbas lässt das nicht auf sich sitzen, das ist ihre Rolle - und lauert der Koreanerin auf. Leider ist sie Autistin und kommt mit Abbas Wutausbruch nicht klar. Abbas läuft auf, ihr nächstes Projekt steht aber schon. Man kann halt nicht immer Penisse auf männliche Nomen malen.
Einige der Geschichten graben in Abbas Kindheit, in der sie arabische Klassiker der erotischen Literatur aus dem Regal ihrer Eltern stibitzt und heimlich liest. Ihr Vater bekommt davon Wind und erklärt ihr: Du darfst das nicht lesen, weil die Grammatik nicht korrekt ist. Erst wenn du die Grammatik richtig beherrschst, darfst du dich „falsches“ Hocharabisch lesen. Mit solchen Beschreibungen gelingt es Abbas, den kulturellen Reichtum des Arabischen vorzuführen und gegen die konservativen Momente der Gegenwart zu halten. Sie zeigt uns: Da, wo ich herkomme, ist es komplex.
Der eigene Status der Verfasserin und Protagonistin dieses Mikrotexts ist, dank eines Visums, nicht so prekär wie der vieler anderer Flüchtlinge. Diesen Umstand nimmt sie als Anlass, allen, die in die sozialen Gefüge von syrischen Flüchtlingen keinen Einblick aus erster Hand haben, vermittels ihres Humors die kleinen Gefälle zu zeigen. „Viiiiiisum?“ entgegnet ihr eine Frau vor dem LaGeSo, als sie hört, dass Abbas nicht auf dem Landweg nach Deutschland kam. Ihre eigenen Privilegien beschämen sie, und so fängt sie an, die abenteuerlichsten Geschichten über ihren Weg nach Europa zu erzählen. Zugeben: das ist zuweilen schwarzer Humor. Aber wie sonst mit einer Krise umgehen? Man kann Katastrophen nicht immer beweinen. Humor kann eine wichtige Strategie zur Bewältigung sein.
Abbas gelingt es, die Welt, in der alle deutschen Bürger mit Rechten leben, scharf von ihrer zu trennen. So werden auch uns, den deutschen Lesern, unsere alltäglichen Privilegien bewusst. Abbas schafft es auch - und das ist für eine so sperrige Stadt eine Leistung - die Klischees von und über Berlin zu erkennen und selbstironisch gegen sich und alle Menschen um sie herum zu richten. Zu den Höhepunkten gehört, wie sie Weihnachten, wenn alle wegfahren und die Supermarktregale gähnend leer werden, für das Vorzeichen eines herannahenden Krieges hält. In diese Vision steigert sich so sehr hinein, dass sie eine Hipster-Apokalypse vermutet. Als ein paar Zeugen Jehovas klingeln, ist sie der festen Überzeugung, dass es Hipster-Zombies sein müssen, und versucht, durch antiimperialistische Parolen in deren Sprache zu sprechen. Es treibt einem die Tränen in die Augen, wenn man liest, wie ihr klar wird, dass eigentlich Weihnachten ist.
Abbas' Technik besteht darin, die tragischsten und zuweilen anstrengendsten Dinge zu nehmen und so lebensnah darzustellen, dass sie nur auszuhalten sind, indem sie surreale Ereignisse und Beschreibungen einfließen lässt. Dabei ist die bürokratische Realität immer wieder so aller Logik enthoben, dass man nicht weiß: War das jetzt nur ein Scherz, oder könnte so etwas wirklich passiert sein?
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