Kontext & Missverständnis
Zu allererst muss ich mich tatsächlich entschuldigen: mein Text ist am Ende zu polemisch geraten. Die Fragen waren nicht rhetorisch gemeint. D.h.: sie sind für mich echt offen. Und deshalb noch ernsthaft zu beantworten.
Also wäre jetzt zuerst ein Missverständnis aufzuklären und ein Kontext zu erklären.
Ich lese als Lyrik-Interessierter in Fixpoetry den Titel „Zur prekären Lage der Lyrik-Kritik“. Interessiert mich. Ich lese also… und lese… und frage mich: was hat das im Kern mit Lyrik und ihrer Vermittlung zu tun? Ist das ein Fachdialog auf der Höhe der Zeit? Sieht eigentlich nicht so aus… zu viel conditio humana, zu wenig sachliche Argumentation, zu wenig aufeinander eingehen, zu wenig auf den Punkt kommen. Natürlich urteile ich von einer bestimmten Leseerwartung her. Habe ich vielleicht eine falsche Leseerwartung?1 Aber was weiß ich schon, ich bin nur bis Grünzweig, Grünbein, usw. gekommen, also salopp gesprochen letztes Jahrhundert. Interessiert mich das wirklich, wer mit wem… und ob sie das durften? Nein. Das ist überall so oder so ähnlich. Habe ich Grund mich einzumischen? Nein… ich klicke also weiter…
Und halte inne: Moment! Ging es nicht um die Vermittlung von Lyrik? Und an welche Öffentlichkeit soll sich das denn richten, wenn selbst Typen wie ich gleich als Trolls gedisst werden? (Keine Sorge Herr Reinecke, ich bin nicht beleidigt.) Ist es vielleicht nicht öffentlich? Rechnet man überhaupt nicht mit einem „Nichtbetriebler“? Dann kann man es doch in die Plattform „wirklich-gute-Lyrik.com“ einstellen, da braucht(e) man ein Passwort.
Nein, entscheide ich, die Diskussion ist öffentlich. Ich habe das Recht als Außenstehender meine Wahrnehmung einzubringen. Natürlich sind meine Vorhaltungen in vieler Hinsicht ein Zerrspiegel, selbstverständlich mit blinden Flecken. Das kann gar nicht anders sein und ob der „Betrieb“ beim Blick hinein letztlich Erkenntnisse für sich gewinnt, ist gar nicht meine Entscheidung.
Mir ist das alles bewusst! Das hätte man meinem Text durchaus entnehmen können. Allerdings wird bei der Lesehaltung meiner Kommentatoren nicht viel dabei rauskommen. Was nicht allein an der mangelnden Qualität meines Textes liegt, wie ich hoffentlich noch überzeugend darlegen kann. Aber wenn der „Betrieb“ es nicht für nötig hält, auf angemessener Augenhöhe auf meine Fragen einzugehen, kann er auch gerne im eigenen Saft weiterschmoren.
Ich mache mir also die Mühe, fast alles zu lesen. Wenn schon, denn schon. Wie gesagt, ich habe 20.000 Worte gelesen (nicht gefühlt, sondern gemessen) zum Teil mehrmals, und manches natürlich nur überflogen.
Und die erste Frage ist „Was zum Teufel will der Autor?“.
Bei Marquardt ist es mir ziemlich klar. Seine Hauptintention ist zu zeigen, woran Lyrikkritik als Vermittlungsinstanz scheitert. Dass er Namen nennt, generiert zwar Aufmerksamkeit, ist aber ein taktischer Fehler. Es lenkt von der Argumentation ab. Denn die Angesprochen müssen sich rechtfertigen. In KiloAnschlägen nachzulesen und für’s Thema eher unergiebig. Falls ich in der ganzen Schmutzwäsche irgendwelche Goldmünzen übersehen habe (und das schreibe ich von meiner Perspektive als Außenstehender, der die Probleme der Lyrikkritik vermittelt bekommen möchte) dann tut es mir Leid. Ich hatte sogar den Eindruck, endlich am Schluss von Bertram Reineckes Ausführungen (und inhaltlich ähnlich bei Hofner, nur sprachlich anders) viel Erhellendes zur Rolle des Rezensenten (und Verlegers) als Dienstleister gefunden und es in Kurzfassung in meinen Text positiv(!) eingebracht zu haben… so kann man sich täuschen.
Dazu wäre noch Einiges zu sagen gewesen, ich habe es mir verkniffen, um eine größere Konzentration auf das für mich Wesentliche zu erreichen.
Nicht verkneifen werde ich deshalb meinen Werdegang. Dass als ich zum ersten Mal eher zufällig und aus langer Weile Segebrechts Deutung zu „Umschrift eines Sarges“ in der FAZ gelesen habe, als es bei mit „gefunzt2“ hat. Damals wusste ich noch nichtmal, was ein Sonett ist. Zwei Jahre später habe ich Kemps „Europäisches Sonett“ mit Gewinn gelesen. Des Gleichen Herrn RR’s Einführungen zu Heine und seine Anthologie dazu: in einem seltenen Moment der Selbstbeschränkung sagt er, dass er Hölderlin nicht versteht. Aber er hat mir das Phänomen gedeutet, dass man von Sprache besoffen sein kann: „Nicht will wohllauten der deutsche Mund, aber lieblich am stechenden Bart rauschen die Küsse“, und ich fragte mich, was plötzlich mit mir los sei… Ich habe dann zu Bertaux gegriffen. Er hat es mir erklärt.
Es geht hier nicht um mich, sondern um die stupende Vermittlungsleistung dieser alten Herren. Ich habe dazu nur eine Sprachschulung an antiken Texten und eine Lebenskrise beigetragen.
Wozu nun diese Einlassungen?
Weil jedes Wort nur in seinem Kontext eine Bedeutung hat (das ist ja nichts Neues).
Ich hatte geglaubt, mit Nennung der Namen sei dieser Kontext ausreichend eingebracht. Immerhin spreche ich mit Lyrikern, so dachte ich… auch ein Fehlschluss, wie die Kommentare zeigen.
Eingebracht aber um folgender Pointe willen: Trotz ihrer Vermittlungsleistung sind die Genannten in erster Linie Fachwissenschaftler3 oder Journalisten mit einer Leidenschaft für ihr Fach und, mehr oder weniger fair dem Objekt ihrer Leidenschaft gegenüber. So habe ich es empfunden. Was sich hinter den Kulissen abgespielt hat, interessiert mich als Lyrik-Leser nicht und muss mich nicht interessieren.
Das heißt: die Vermittler sind als Vermittler Funktionäre eines institutionalisierten Betriebes, nicht Lyriker. Wie gut sie vermitteln, hängt auch von der Persona ab.
Lyriker können durch ihre Kritik in ihrer Eigenschaft als Lyriker andre Lyriker in ihrer Entwicklung fördern. Das steht hier aber nicht zu Debatte.4
Von daher die Frage zugespitzt: kann ein guter Lyriker ein guter Rezensent sein und umgekehrt?
Werden nicht verschiedene (materielle) Situationen und (geistige) Fähigkeiten angesprochen?
Marquardt gibt durchaus eine Antwort in diese Richtung. Einige pflichten ihm implizit auch bei, äußern nur Unbehagen in unterschiedlichste Richtungen, z.B. beim Begriff der Institutionalisierung. Zu Recht. Deshalb mein Hinweis auf Dialektik und die Notwendigkeit einer gewissen Ineffizienz. (Wenn man um einer wichtigen Einsicht willen 99 unsinnige Wege gehen muss.)
Es kann keinen Diskurs mit einhelligem Ergebnis geben (ich weiß, ich wiederhole nur. Aber ich muss ja, weil man mich sonst für unterkomplex hält. Unter anderen Umständen würde ich sagen: Dank für das schöne Kompliment ;-).
Genial wird es, wenn die Komplexität der Wirklichkeit auf zwei polare Aspekte reduziert werden kann, die alle Beteiligten erhellend finden (Reduktion ist nur eines, es muss auch „funzen“, hier scheitert m.E. die Systemtheorie mit den Begriffen „binär“ und „selbstreferentiell“.).
Ein Monismus aber ist totalitär.
Für mich heißt das im Klartext: wenn ich nicht meine Position in Abgrenzung zu anderen klar formulieren kann und trotzdem weiß, dass die anderen auch Recht haben, dann habe ich den Diskurs (als Teilnehmer selber) noch nicht verstanden. Beide Pole (als Ergebnis einer Reduktion und Bündelung der Kräfte nach dem Motto „der Feind meines Feindes ist mein Freund“) haben Recht und Unrecht zugleich. Die Kunst - und das kommt jetzt von können - besteht darin, sich zusammen zu raufen und zwischen Skylla und Charybdis hindurch zu segeln wie weiland Odysseus. Dazu müsste man den Anker einer gemeinsamen Intention finden und weiter auswerfen, einen weiter gesteckten Horizont zulassen (als den Kampf um Deutungshoheit), von wo aus die scheinbar gigantischen Unterschiede untereinander etwas kleiner wirken… sub speciem aeternitatis 5 hätte man in früheren Zeiten gesagt.
Dazu eine kurze Kurzgeschichte:
Ich werde bei einem Symposium über Planeten- und Sonnensystem-Entstehung einen Vortrag über das Dreikörperproblem halten. Ein alter Hut. Neu ist der Rahmen: Die Heraeus-Stiftung (= Mäzen) sponsert großzügig (5-Sternehotel & Flugreise für alle) eine Summerschool in Florenz (= geile location), um Fachwissenschaftler, Lehrer, Schüler und Studenten zusammen zu bringen. Neu ist auch, über geistesgeschichtliche Fragen zu sprechen, angefangen von der Methode des infiniten Regresses der Pythagoreer, über die erste Critique de la méthode durch die Paradoxien von Zenon, über Planetenentstehung als Beispiel für Autopoetische Systeme allgemein, bis zum heutigen Problem von Simulationen als Erkenntnisinstrument überhaupt (Halte-Problem, Turing-Test). Ich werde versuchen, den Studenten nahe zu bringen, dass das unmittelbar mit ihnen zu tun hat. Und sie vielleicht sogar etwas von der allenthalben grassierenden Algorithmus-Gläubigkeit kurieren, indem ich ihnen zeige, dass das streng gültige (hier: Gravitations-) Gesetz in seiner Anwendung unüberschaubar wird, aber Meta-Gesetze zur Folge hat, die sich logisch nicht zwingend herleiten lassen, sondern nur intuitiv erfassbar sind. Und ich weiß, dass da noch viel geht (sogar in Physik, erst recht in Sachen Lyrik). Interessant ist auch die umgekehrte Erfahrung der Kollegen, dass Vermittlungsbemühungen dieser Art ihnen sogar etwas für ihre eigenen fachspezifischen Fragen gebracht haben. Von daher ist abzusehen, dass die Trennung von Spitzenforschung und Lehre (als persönlicher Umgang) auf Dauer zu Sterilität führen wird. Ich hoffe, der Sinn dieser Parabel ist klar.
Unser Projekt wird auslaufen. Ich ringe mit mir, ob ich dem Vorstand der Stiftung nicht nahe legen soll, dasselbe mit Lyrikern, Fachwissenschaftlern, Deutschlehrern und Schülern zu machen. Immerhin eine Woche kostenloser Urlaub mit anregender Beschäftigung… Natürlich nur, wenn wir damit scheitern, ein neues Projekt an Land zu ziehen! Wir sollten die Kohle kriegen, nicht ihr. Soll also auf diesen Diskurs angewandt heißen: Eure Partikular-Interessen um Deutungshoheit im Existenzkampf sind menschlich verständlich, aber hier fehl am Platze.
Denn gesetzt, ich trete jetzt an den Vorstand heran: was soll ich ihm sagen?
„Da gibt es eine Diskussion zur prekären Lage der Lyrikkritik. Lest den mal!“?
Was glaubt ihr, wird dann passieren? Was wird die (Außen-) Wirkung sein? Ich weiß es nicht…
Es war niemals meine Absicht, die Diskussion für obsolet zu erklären. Sondern zu spiegeln, wie sie auf einen „interessierten Laien“ wie mich wirkt.
- 1. Manchmal dachte ich an einen Schreibwettbewerb für Kurzgeschichten: das würde eine ganz anderen Sinn machen!
- 2. Ein Wortschöpfung aus „funktionieren“ und dem Geräusch „nnnnnz“ beim Funkenüberschlag, wenn Hochleistungs-Stromkreise geschlossen werden. Ich hatte mich unbewusst Hofners eher salopper Sprache angepasst. Wohl etwas zu weit unter Niveau…
- 3. Sorry, Herr Segebrecht! Dieser Moment, das wippende Kind und dann die leere Schaukel, wird mir immer unvergessen bleiben
- 4. Als Beispiel einer Rezension, die mich nicht erreicht, hatte ich „Alsohäute“ von Ames in der Interpretation von Reul angeführt http://www.textem.de/index.php?id=2352. Zu sehr verkürzt, wie ich einräumen muss, und dass sie mich nicht erreicht, ist ja per se noch kein Maßstab
- 5. Oder sollte heute tatsächlich jede Form von Transzendenz im Wortsinn von Überschreitung obsolet sein?
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Kommentare
Warum es schwer sein kann, sich auf Sie einzulassen
Zunächst Retour: Ziel Ihres neuerlichen Artikels scheint hauptsächlich zu zeigen, wie schlecht es Ihnen ergangen ist in diesem Lyrikdiskurs. Partikularinteresse? Es menschelt kräftig bei Ihnen, welchen Laien soll das interessieren? Geschenkt: Spätestens für den, der Sie als Cicerone erwählt, ist es ja vielleicht interessant zu sehen, wem man sich da anvertraut. (Auch wenn das nicht DER LESER sein dürfte, der durch Ihre Texte geistert.)
Sie geben zu, dass Ihre Argumente verzerrt sind usw. (so ganz im Allgemeinen ist das wohlfeil, da braucht man keine einzige Behauptung zurückzunehmen.) Sie beklagen sich aber bei Ihren Kritikern, wenn die sich nicht höchst adäquat und sachlich zu Wort melden? Ernst jetzt?
Zumal Sie zudem Bedingungen schaffen, die es praktisch unmöglich machen, adäquat mit Ihnen zu reden. Sie wollten den Laienstandpunkt verteidigen und erweisen sich als äußerst harthörig für alles, was „lediglich“ an Experten gerichtet ist. Überdies erklären dies für irrelevant nehmen selbst Münzen, (seien sie Gold, seien sie Kupfer) die Ihnen eigens noch mehrmals vor die Füße gelegt werden ostentativ nicht auf.
Weil Sie hier vor allem meinen Einwürfen widersprechen: Ich werde spätestens hellhörig, wenn Sie einen seltenen Begriff der Sokratik verwenden. (Für den Laien beiseite gesprochen: Schon die Überschrift meines Kommentars bietet eine Referenz, die anzeigt, dass ich mich nur zum Schein an einen Unwissenden wende.) Sie wollen nicht bemerkt haben, dass mir bekannt war, dass ich mich an einen Experten richtete, der sich lediglich als Laie kostümiert? Sie wollen also als Experte lieber nicht gesehen haben, dass ich Ihr Spiel durchschaue und freundlichst mitspielte? Sie werden mich nicht für doof verkaufen wollen.
Als Laie angesprochen, beklagen Sie sich wiederum, dass Ihnen nicht adäquat auf Augenhöhe begegnet würde? So lange sie keine Chance dazu anbieten, kann man nicht adäquat reagieren. Da sieht Klagen schlecht aus, weil es für sich Meinungsfreiheit beansprucht, aber Gegenrede verbietet.
Ihr neuerlicher Text ist immerhin etwas weniger zwielichtig, lebt aber vom gleichen Pendeln zwischen den Polen.
Im Gegensatz zu ihrer eigenen Blanko-Entschuldigung, möchte ich doch noch sagen, was mich schon an Ihren Texten konkret gestört hat: Sie sichern in Ihrem ersten Text dem Leser nicht nur eine Zusammenfassung der Debatte zu, sondern gar noch eine scholastische. Spätestens, wenn Sie das tun, darf man zu Recht eine Zusammenfassung des Ganzen mit allem für und wider erwarten. Sie hätten sagen sollen, Sie lieferten eine unvollständige Skizze. Dann hätte der Leser gewusst, dass Sie ihm nur Ihre Meinung anbieten. Sie weisen in Ihren beiden Texten die Debatte als zu menschelnd zurück. Es ist dann besonders unfein, genau die Beispiele die nicht sonderlich menscheln, zu unterschlagen. (Was ist z.B. mit Fues?) Das ist so schlechter Stil, dass ich kaum mehr erwarten darf, dass Sie genauer unterscheiden zwischen Menscheln im Sinne von Argumenten auf die Person (schlecht) und Menscheln im Sinne von gelebter Subjektivität, die Sie anscheinend sich (und Hofner) zubilligen, Milatzki, Warsen und Friedrich aber offenbar weniger?
Es kann ja sein, dass sie all diese Texte ebenfalls langweilig finden. Aber ich finde es unlauter den Eindruck zu erwecken, Sie seien aus dem Grund nicht lesenswert, den Sie anführen.
Sie wollen sich auch nicht sagen lassen, dass die Öffentlichkeit bei weitem nicht so uniform ist, wie Sie annehmen. Ein Forum, wie die Lyrikzeitung ist ein gutes Arbeitsinstrument für Leute, die sich regelmäßig mit Gegenwartspoesie beschäftigen. Für meinen Debattenbeitrag genau der richtige Ort mithin. Laien können das Organ auch benutzen und tun es regelmäßig, aber sie dürften sich klar sein, dass auch viele Künstler und Kritiker eines solchen Mediums bedürfen. Ihre für den Laien gedachten Standards zum Standard gerade dieses Medium zu dekretieren, hat etwas ursupatorisches. Ähnlich bei Signaturen. Geradezu monströs wird es, wenn Sie diesen Standard offenbar auch noch für jeden einzelnen Artikel einfordern. In der Lyrikzeitung werden Sie als Laie, der Artikel von Profis für ein Laienpublikum sucht allemal fündig. Auf Fixpoetry sicherlich auch. Warum ich monströs sage: In Ihrer Tageszeitung spricht Sie doch auch nicht jeder Artikel an? Für wie kindisch halten Sie diesen Laien, dass der nicht selbst auswählen kann, was er zu Ende liest? Wer fordert hier Lufthoheit für Seine Meinung? Ihr Text wird hier widersprüchlich: Einerseits lehnen Sie die Trennung von Spitzenforschung und Laien ab, behaupten auch, sie engagierten sich für deren Überwindung. Wo es diese Trennung nicht gibt, ist das offenbar auch nicht recht und Sie wünschen einen Teil der Kommunikation hinter Passwortschranken verbannt.
Ich stimme mit Hofner sicherlich überein, etwa wird er selbst meiner Meinung sein, dass ihm Werten wichtig ist. Auch räumen wir beide ein, dass es prinzipiell verschiedene Formen von Kritik gibt usw. Hofner und ich unterscheiden uns aber in sehr Wesentlichem (Sie hätten den oberen Teil meiner Ausführungen wohl doch nicht bloß überfliegen sollen). Auch hier ist Ihre „Zusammenfassung“ kaum brauchbar. (Ich lutsch nicht den Bonbon ihres Kompliments.) Ich erläutere das jetzt nicht, lassen Sie uns lieber versuchen, eine „Konzentration auf das für [Sie] Wesentliche zu erreichen“: Sie und Ihr Lesen. Interessiert mich gewissermaßen als Laie in Dingen Ihrer Persönlichkeit auch. Dass ich Sie als Experten nicht unterschätzte und Ihnen Grünzweig bis Grünbein durchaus zutraute und noch andere, sagen wir Kirsch (sie) bis Küchenmeister, deutete ich bereits an. Ich weiß selbstverständlich, was heute state of the art ist. Ich empfand allerdings Ihren Missmut darüber, dass andere darüber hinaus noch etwas zu sagen haben meinten, wie die Überschrift Ihres ersten Artikels ihn nahelegt, als sehr verräterisch. Ich erlebe solche Artikulationen von Missmut eher bei Experten als bei Laien, die entweder neugierig sind oder sich abwenden. Experten müssen jedoch dann immer noch laut sagen, dass das jetzt unnötig ist. Fremder oder anderer Expertise gegenüber verhalten sie sich mitunter feindselig. Überrascht hat mich in Ihrer Aufzählung allein Lohenstein. Das ist nun wirklich ein Autor, der umlaufenden Meinungen, was gute Poesie war bzw. ist in vielem widerspricht. Sie sagen, Sie hätten ihn sofort geliebt. Da haben Sie doch ein Beispiel für Einstieg in Lyrik, dass der Laie kaum vorherzusagen ist, sondern unvorhersehbare Vorlieben entwickeln kann? Warum emulieren Sie dauernd einen Modellaien um ihm Ihre Urteile in die Schuhe zu schieben?
Es lesen meine (kritischen wie auch die literarischen) Texte auch immer wieder Laien auf dem Gebiet der zeitgenössischen Poesie. Ich höre oft von welchen, die es mit Gewinn taten. Die Gründe sind oft verschieden und manchmal merkwürdig. Denen scheint Ihr Modelllaie nicht im Wege zu stehen.
Gerade weil ich auch aus meiner Schreiblehrpraxis weiß, dass gemeinsames Lernen am fruchtbarsten ist, lehne ich den Modellleser mit mehr oder weniger genormten Kenntnissen „des Lesers“ und Didaktik im engeren Sinne ab. Ich habe immer wieder erlebt, dass Leser von überallher die interessantesten Spezialkenntnisse einbringen konnten. Eben das machte es besonders fruchtbar. (Im Auftrag des Frank Verlages ist ein Essay entstanden, der über meine Erfahrung damit berichtet.)
Sie haben mich missverstanden, wenn Sie so tun als hätte jemand bestritten, man könne von RR nicht viel lernen. Ich hatte nur angemerkt, dass man da auch mitlernen muss, was man vielleicht nicht lernen sollte. Bestimmte Vorurteile z.B. oder destruktive Rhetorik. Ich gebe Ihnen sehr recht, dass die Momente der Selbstbeschränkung bei RR etwas sehr besonderes sind, zumal die der nicht bloß taktischen. Bekannter Maßen setzte er oft auf die ihm zugebilligte Autorität und wollte insgeheim sagen: „Das ist unverständlich“. Und dann freute sich das Publikum und fühlt sich geschmeichelt ohne sich weiter damit abmühen zu müssen.
Anderes Thema: Selbstverständlich kann ein Lyriker gute Rezensionen verfassen egal ob - oder weil er schreibt. Und umgekehrt kann ein Kritiker schwache Lyrikrezensionen verfassen, egal ob er es tut, trotz dessen, oder weil er nicht schreibt. (Vergleichen Sie z.B. die inkriminierte Amesrezension mit dem Urteil des Deutschlandfunk über dies Buch. Was ist unterhaltsamer? Was ist fundierter? Usw.) Marquard setzt als fixe Idee diesen Unterschied in seinen Text ein und sie greifen diese Idee auf. Diskutieren könnten wir nur Ihre Gründe. Bis
Sie keine stichhaltigen Gründe nennen, ist es nicht der Rede wert. (Meine gegengründe zu Marquard sind aktenkundig.) Diese Trennung ist ja ohnehin eine sehr neuzeitliche Idee. Noch heute geht von fast jedem Kritiker das Gerücht, er habe eigene Literatur in der Schublade, sei im Grunde gescheiterter. Usw. Unabhängiger als Lyriker sind Kritiker auch nicht etc.pp.
Sie merken also: Der Anker gemeinsamer Intention zwischen uns schleift immer wieder auf steinigem Grund.
Sie müssen sich (um Ihre Formulierung aufzugreifen) nicht in einen fremden Saft bemühen, wenn es Ihnen dort nicht behagt, dann steigen Sie in Ihren eigenen zurück.
Für den Leser beiseite gesprochen…
… Herr Reinecke und ich hatten ein langes und gutes Telefonat, wo wir Einiges ausräumen konnten.
Zum einen bin ich tatsächlich kein Experte, der sich mittels eines Trojanischen Pferdes in diese Diskussion einschleichen will, um Boden gutzumachen. Ich bin ein Amateur und das, wie ich hoffe, im guten Wortsinn. Von daher ist der rhetorische Overkill des letzten Beitrages überzogen. Der Hinweis, dass ich die (im Interesse des Autors!) wichtigsten Diskussionsstränge ignoriere und meinem Anspruch einer Disputatio nicht gerecht werde, indem ich alle Argumente zum Beginn zusammenfasse, hätte vollauf genügt. Er ist ja sachlich gerechtfertigt. (Beiseite gesprochen: Hier werde ich privatissime Herrn Reineckes Cicernendienste noch in Anspruch nehmen ;-)
Zum anderen zeigt die Reaktion aber überdeutlich die Abwehrschlachten, die unterschwellig ausgetragen werden, und die sich mir „als (einer der) Laien, die entweder neugierig sind oder sich abwenden“ deutlich mitteilen. Und warum ich mich nicht abwende, steht in der Überschrift meines ersten Beitrages: „Obwohl der Logos allen gemein ist, leben die meisten so, als ob sie eigne Weisheit besäßen.“ Dass ich in Ihrer Perspektive, Herr Reinecke, damit automatisch in den Dunstkreis von Norbert Hummelt rutsche, mag sein. Bei mir bedeutet dieses Wort aber:
Es gibt etwas Gemeinsames, an dem ihr Poeten Anteil habt, dass euch nicht zum beliebigen Gebrauch zur Verfügung steh, sondern dem ihr (horribile dictu:) dient. Warum nutzt ihr es wie der Schlachter sein Messer, um eure Konkurrenten um die Deutungshoheit abzustechen?
Das war eine mir zu Beginn unbewusste Frage (wie mein Beitrag durchaus an echten Fragezeichen reich ist, auf die ich noch keinerlei Antwort erhalten habe): Alle dürfen die Sprache zu ihren Zwecken instrumentalisieren, nur die Dichter nicht?
Ich gebe zu, ich könnte mich im Nachhinein ohrfeigen für diese Naivität...
Eilen wir also zu einer beliebigen Schlusswendung, Herr Reinecke, und reden später weiter, ggf. an dieser Stelle.
Jedenfalls war mein Einstiegs-Beitrag nicht als „Drüberstehismus“ gedacht, wie man dem Untertitel entnehmen konnte. Er ist Schleiermachers „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ nachempfunden, indem sich der Sprecher als Gebildeten unter den Lyrikverächtern outet und sich so eine gewinnende Vermittlungsrede von Seiten der Lyrikvertreter wünscht.
fead the Troll
Ihr Post frustriet mich. Nicht nur halte ich meinen Ärger nach wie vor für berechtigt, sondern sie erneuern ihn auch. Offenbar haben Sie im längeren Nachgrübeln über unser Telefonat alles wieder in Ihre verbohrte Denkweise verschwurbelt.
Erwägen Sie es doch wenigstens mal, dass vielleicht Sie ein ernstes Problem mit Ihrer Doppelgesichtigkeit haben. (z.B. ist klaffende Widersprüchlichkeit oft ein Merkmal ideologischer Einstellungen) Sie inszenieren schon mit Schleiermaches Konzept „Gebildeter unter den Verächtern“ ja Ihre eigene Expertise. (Wenn Sie, der offenbar kein Verächter sind, sich einen bestimmten Diskurs für andere Leute als sich selbst wünschen, begeben Sie sich gleich nochmals auf andere Weise in eine pädagogisierende Oberposition.) Ich hatte Ihnen das schenken wollen, ich war wohl nicht übertrieben, sondern im Gegenteil nicht deutlich genug, wenn Sie nur die Fehler sehen wollen, die Ihnen direkt aufs Brot geschmiert werden und in meinem Ärger ansonsten nur miese Szenegepflogenheit sehen. Ihre Methode erinnert mich ebenfalls an Ranicki. Jemandem ein Kompliment für seine Bildung zu machen, indem man ihm sagt, xy brauche er nicht zu lesen. Ich hatte ausdrücklich nur den kritisiert, um friedlich zu bleiben. Jetzt muss ich es doch explizit diagnostizieren: Sie haben da offenbar auch diesen schlechten Umgangsstil gelernt. Auch unfaire Kritik mit billigen Komplimenten zu überzuckern, um den Anschein von Objektivität zu wahren, gehört bereits zu dessen Stilrepertoire. Es ist auch schlechter Stil sich selbst falsch wörtlich zu zitieren, wie Sie es tun, ein bewusstes Kampfmittel Ihrer Sorge um Deutungshoheit. Sie verschleiern, dass Ihr erster Text eine handfeste Unterstellung barg: „Obwohl alle das Wort haben, TUN einige so, als hätten sie extra Einsichten“ Sie sprachen anderen Einsichten ab. Es ist geschmacklos, sich dann ostentativ zu wundern, dass andere messerscharf reagiert. (Was ich selber denk und tu, trau ich auch den anderen zu?) Bemerken Sie doch mal, wie aggressiv Sie sind! (Ich bin nun aggressiver als vorher!) Zählen Sie mal die negativ bewertenden Vokabeln in Ihren Beiträgen und in anderen Antworten. Und dann sagen Sie, was ein rhetorischer Overkill ist.
Ich hatte mir viel Zeit genommen, Ihnen telefonisch zu erläutern, dass es nicht „ein“ Ziel „der“ Lyrik gibt, sondern das historisch, angefangen zum Beispiel bei der barocken Anlasslyrik über politische Kampfgedichte und avancierte Positionen oder Robert Gernhard heute, bis zur Subjektivität eines Goethe, die sich von der eines Hummelt und der eines Holdt unterscheidet, jede Dichtung teils gemeinsame, teils unterschiedliche Anliegen verfolgt. Sie bestritten es ja nicht aber trotzdem wollen Sie die Dichter wieder auf ein Ziel verpflichten, als wäre der Streit kindisch. Sie nennen das Ziel nicht, tun also so, als läge das auf der Hand. Da müssen Sie sich eine tolle Vogelperspektive zutrauen, man kann es auch „Drüberstehismus“ nennen! (Mir kommt das so vor, als würden Sie Beführworter der Kohleverstomung und deren Gegnern zurufen, sich endlich zu vertragen, weil sie doch ein gemeinsames Ziel Energiesicherheit hätten. Ach so und zudem, der eine meint damit dann vielleicht sparen, der andere mehr Strom für mehr Aufschwung?)
Wenn Sie ein Laie sind, haben Sie wohl das, was Didaktiker ein Einstellungssyndrom nennen: Wenn man eine Vorstellung lange genug eingeübt hat, nimmt man Fragen, die diese Einstellung berühren, nicht mehr als produktive Herausforderung, sondern mit Abwehr und Abwertung auf. Kinder z.B. wenn sie falschen Deutschunterricht hatten, kommen mit modernen Gedichten nicht klar, weil die nichts erzählen oder sich nicht reimen etc. Sie lehnen ab, was nicht zu ihrem eingeübten Bild passt. Andere Kinder freuen sich gerade, wenn sie einen Text von z.B. Celan (den Sie auch schätzen) nicht sofort verstehen. Wenn Sie behaupten, das Ziel ein Ziel aller Dichtung zu wissen, ohne es nennen zu können, kommt mir das immer wahrscheinlicher vor.
Leider sehe ich von Naivität und Laienhaftigkeit im Guten daher kaum Ansätze. Ihre Laienhaftigkeit besteht ja darin, dass sich die Realität ihren vorgefassten Meinungen fügen möge. „Aber wenn der 'Betrieb' es nicht für nötig hält, auf angemessener Augenhöhe auf meine Fragen einzugehen,“ Sie scheinen die festlegen zu wollen. Und zwar muss man sie dazu hie als Experte, da plötzlich als Laie nehmen, wie mans kaum vorausahnen kann „ … kann er auch gerne im eigenen Saft weiterschmoren.“ würde ich gerne langsam, aber auf öffentliche Unterstellungen werde ich weiter als verletzbarer Mensch reagieren müssen.
Ich hätte mir in der Zeit, wo ich mich hier ärgere, lieber zum Beispiel die Sendung mit Ihren Sonetten angesehen.
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