manuskripte #211
I – Überall sind Schmerz und Wahn
Havarierende Sichten, die eine Handlungsebene erzeugen und gleichzeitig zerstreuen. Bei dem Text Mariusz Lata, „Die Anwesenheit der Abwesenheit“, ist der Name leider ein bisschen Programm und man fragt sich unentwegt, was denn nun vorhanden ist in diesem Minuziösen: ein Blick, eine Figur, eine Theorie, eine Geschichte? Revolte und ein Altersheim schimmern durch die Kunst dieser Prosa, sich immer dann auf etwas anderes zu verlagern, wenn der Leser sich gerade verpflichtet fühlt, die paar vorangegangen Sätze als den Anfang einer Narrative zu begreifen. Bilder- und Geschichtenwelt entbehren meist einen Fokus und ich kann sie kaum bis gar nicht ergründen.
Intensiv-beunruhigend ist wohl die Wortcombo, um die Begegnung mit Greta Lauers dystopischer und dyspeptischer Herkunftsabrechnung „Das Schicksal der Töchter“ zu beschreiben; hier legt sich jemand mit der Natur an, hier reißt jemand dem Schmerz und dem Ekel die Türen zur Realität ein. Die Protagonistin und Tochter leidet an dem ewigen Kreislauf von Müttern und Töchtern, von Blut und Kot, was alles zum Sinnbild für Enge und Unterdrückung wird, für den Stumpfsinn; einfache Beziehungen und Vorgänge wandelt der Text zu heftigen, existenziellen, fast archaischen Metaphern ab. Volkstümlichkeit und Groteske verschwimmen und ihre Nähe zueinander wird in parabolischen und diabolischen Dorfszenen durchgespielt. Aberwitz und bitterer Ernst jonglieren nah beieinander mit Stücken der Story, und dann und wann wechseln plötzlich die Bälle die Hände.In der ganzen Präzision und Phantastik der Erzählung liegt das Bildnis eines sehr unheimlichen Vermächtnisses begraben.
Sich so nah an die Wirklichkeit der Sprachlosigkeit und die unerklärlichen Erfahrungen heranzuwagen wie es der nun folgende Text von Ingeborg Horn „Zwei Paradiese (II)“ tut, nötigt mir in der Form, wie es ihr gelungen ist – vollkommen unaufgeregt und mit viel Sinn für das Kleinhalten von offenbarenden Elementen, das Verweilen bei den eher undurchsichtigen Stellen der Empfindung – große Bewunderung ab. Ich habe mich stückweise an „Kinder der Nacht“ von Jean Cocteau erinnert gefühlt, in der ganzen Art, wie der Text sich nicht als exakt nachgebildete, sondern durchscheinende Wirklichkeit entfaltet. Vordergründig sind Elemente einer Selbstfindungs- und einer Familiengeschichte enthalten. Aber die wichtigen Räume, die sich auftun, liegen nicht in den Lebensläufen der Figuren, sondern in den Dimensionen von Nähe und Entfernung, die sich zwischen Personen und Orten oder Personen und Personen oder Personen und Gefühlen auftun. Ein großartiger, noch lange nachwirkender Text, bei dem ich glücklich bin, dass ich ihn gelesen habe.
II – „warum gelten im Burgtheater andere Regeln als im Schönbrunner Zoo?“
Ein kleines Romankapitel-Intermezzo über theaterbewusste Billeteure, das sich eine gemäßigte Tirade aus Thomas Bernhards Endlossatzstil gestrickt hat, erheitert und gefällt.
Ebenso eine Anleihe bei Thomas Bernhard macht Lydia Haider in ihrer kurzen Geschichte über die allerletzte Germanistin, die einen netten aber etwas zu kleinen, hohlen Bogen spannt. Dass sie ausgerechnet „Auslöschung“ von Bernhard in ihre Endzeitvision der literarischen Forschung einbaut, kann als netter Gag, aber auch als selbstreferentielles Too-Much angesehen werden. Leider eher eine Idee, die eine Idee bleibt, und kein wirklicher Text geworden ist.
Lyrische, bildgeprägte Prosa, in der Kälte und Eis vorkommt – Sarah Kuratle erzählt, und da ist ein unbekanntes, immer wieder aufgenommenes Du, das zu einem "Daniel" wird. Jede Bewegung des Ich fällt einem verdichtenden Zoom zum Opfer. Ab und an ist es schön, in der Geschichte zu versinken, die nur dann und wann ein Puzzlestück herausrückt. In der Sprache staut sich Intensität, dann fließt wieder alles. Schließlich wird doch noch eine Geschichte draus. Und der Ton passt, gibt sich nicht als etwas aus, das er nicht ist:
An ihren Ohrläppchen leuchtet Honig einer stürmischen Nacht an der Ostsee.
III – „aber dennoch, es war eine Stille-Variation“
Einblick ins schwarze Notizbuch von Leopold Federmair; Fazit: Viel noch nicht überkommenes Terrain, das dort beschritten wird. Aber irgendwas fehlt bei all diesen kurzen Texten. Sie gehen vorbei wie Wolken vor einem Flugzeugfenster. Es macht sich gut, was dasteht, aber man liest und liest und empfindet wenig.
Friedrich Kröhnkes zweiter Satz in seinem Text „Brace … brace …“:
Das Flugzeug ist verdunkelt, aber auch draußen ist es dunkel und Nacht.
öffnet eine ganze Atmosphäre. Eine Atmosphäre, die beibehalten wird und den gesamten Text trägt, die ganze Gewöhnlichkeit, taube Tragik, Rätselhaftigkeit, Abgeschiedenheit darin, die alle kreisen um die namenlose Figur, die nie aus dem Schatten der Darstellung tritt. Ein formal fast schon wieder unglaubwürdiger Text, der dennoch einen großen Sog entfaltet, der alle Unglaubwürdigkeiten glättet.
Kavallerieattackenformationshurtig dahintrabend, beschreibt Björn Trebers in sprachlichen Wendungen glänzender Text eine Manie, ein Kranken an der Welt, einen Krampf. Ganz ernst nehmen kann man das leider nicht.
Anna Baars Text „Sonst nicht“ dagegen, den kann man sehr ernst nehmen; nicht nur weil es um Mütter und ums Sterben geht; um das Alter, das eine auf den Tod zu fallende, jederzeit kurz vor dem Aufschlag stehende, seltsame letzte Lebensphase ist. Wie geht man mit einem Menschen um, der alt ist? Mit dem man so viel erlebt hat, sodass ein ganze Menge im Weg steht, aber der einem dennoch unersetzlich ist? Wie kann man Abschied nehmen, ohne schon ein Ende zu machen?
Es ist ein Text der immerfort erzählt, in jedem einzelnen Moment etwas erzählt, mit aller Notwendigkeit erzählt. Das klingt schlicht - ist aber großartig.
IV – „In Böhmen am Meer vielleicht lebte einmal ein Schreiber“
„Bienen“: malerisch diese Prosa in einzelnen Szenen, Geschichten, von Magdalena Kotzurek. Manchmal wirkt der Erzählschwung etwas zu malerisch, zu beliebig, zu luftig. Und genau mit diesem Schwung entkommt der Text auch der Langeweile.
Franz Josef Czernin nimmt Märchen der Grimms und verwandelt sie in ebenso leicht absurd erscheinende Parabeln, Geschichten, greift dabei das Potenzial der enthaltenen Elemente auf und variiert sie hinein in eine neue Moral, eine neue Idee hinter dem Spiel, das jedes Märchen betreibt. Allerdings macht es letztlich mehr Spaß, die Originale zu lesen, und ich begreife die „Verwandlungen“ eher als schöne Verweise und weitergedachte Würdigungen.
Kornelia Koepsells Gedichte enthalten die Welt und viel geht verloren in ihnen. Die fehlende Einsamkeit bei Insekten, die Freaks, die zum Mars wollen und die hilfreichen Taten der Roboter, sind nur einige Beispiele für die Geräusche und Lichter, die die Flipperbälle ihrer Sätze hervorbringen.
V – „& all den andren 37 Arten des bekannten terrestrischen meteorologischen Niederschlags“
Andreas Unterweger bringt fünf starke Liebesgedichte; eine sich zu Sinnlichkeitsketten verknotende Zeichensetzungsdichte, einfache Sprache, dazu die Unwägbarkeit der Erinnerung und die doch darin enthaltenen, nahen und fernen, Gefühle – mehr braucht es nicht.
er ist zu groß der rhythmus dieser welt
Mit diesem Satz packte mich das zunächst gemäßigt erscheinende „stillleben mit berg und kapelle“ von Theodora Bauer. Am Ende sagt der Text aber nur ein paar Dinge, die halt so sind, und es gelingen ein paar Bildbehauptungen dazu.
Martin Piekars Gedichte sind wie gewohnt mit Übermut gemacht, lesen sich schnell und wirken voll – es gibt immer wieder Wendungen, die mit ihrer Schönheit das Klischee abmurksen. Ich bin mir dennoch nicht sicher, ob da irgendetwas viel bedeutet.
In ihren Gedichten unter dem Titel „Party“ lässt Kinga Toth einige Absurditäten auftanzen und setzt gewollt-naive Zeichnungen hinzu, die wie rasche Kinderskizzen aussehen.
VI – „die autos fahren frei / fast wie fliegen, hummeln“
In Michael Hammerschmids Langgedicht sind einzelne Fasern, Sehnen, von Paris aufgespannt: ein Waschsalon und Plätze, Junkies, Kulturen und Lebensnotwendigkeiten und alles, was man sonst auf der Straße trifft, sogar das Licht, sogar sich selbst.
Kreisend, alle Schlupflöcher ihrer Bilder abdichtend, so wiegen sich Michael Donhausers 14 zeilige Fugen selbst in das Idyll, das sie sind und machen es gleichzeitig zerbrechlich; generieren aus der Glätte ihrer Oberfläche und der konstanten Bewegung – die Zerbrechlichkeit vollziehend – sanfte Schönheit. Und Abwesenheit.
Der Band schließt mit einer Rezension zu Texten von Michael Donhauser, der Laudatio auf Franz Josef Czernin zur Verleihung des Ernst-Jandl-Preises 2015 (mit einem sehr schönen Verweis auf Czernins Shakespeare-Übersetzungen), einer Dankesrede von Marica Bodrozic und einer Rezension zum Roman „Ein langes Jahr“ von Eva Schmidt.
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