'Nackennackigkeit' in der neuen kolik
I – Revolte aus der Gewöhnlichkeit
Wenn einem auf den ersten Seiten einer Literaturzeitschrift eine Versöhnungsrede entgegentritt, darf man schon mal skeptisch sein. Für welche Versöhnung wird sich der Autor denn aussprechen? Wird da etwa ein politisches Statement unter dem Deckmantel der Literatur aufgefahren? Um welches politische Feld wird es gehen?
Antonio Fians Monolog entpuppt sich dann aber eher als ein abstraktes Spiel, das zwischen einer nie genau benannten politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit und dem Begriff der Versöhnung eine vermittelnde Position einnimmt. Aus diesem Ansatz heraus gelingt es Fian – knapp, kompromisslos und beredt – für die Versöhnung zu werben und einzutreten (und nicht nur für den Begriff, sondern vor allem für das Potenzial der „Tat“ Versöhnung), so weit, dass man sich am Ende fragt, was denn gegen eine allgemeine Versöhnung auf jeglichem Gebiet überhaupt sprechen sollte.
Die surrealistische Erzählung „Mahl“ von Xaver Bayer ist für sich genommen schon den Kauf der Kolik wert. Ich habe schon eine Weile keine Geschichte mehr gelesen, die so belanglos tut, mich mit Details zu fesseln weiß und mich dann am Ende eiskalt mit ihrer Wendung erwischt. Dabei sind sowohl das Setting als auch die Narration eigentlich sehr entrückt und krud, und vielleicht hält der Text einer genaueren Lektüre nicht in jedem Aspekt stand. Aber beim ersten Mal Lesen fand ich ihn einfach großartig.
Die Tirade „Blind Date“ von Petra Piuk leidet ein bisschen unter ihrer Vorhersehbarkeit und man kann sie daher nur bedingt ertragen; auch der konsequent repetitive Stil und das Schleifen-Schlagen der Narration sind auf Dauer wenig eingängig und anschaulich, vielmehr unkomisch und bemüht.
Ferdinand Schmatz' Dichtung „ich, mund (laut)“ ist ein wunderbares Beispiel für minuziöseste Dichtkunst, die sich dem Gegenstand ihrer Betrachtung im wahrsten Sinne der Worte verschreibt und auch noch dem kleinsten Ausdruck, der das Wesen und die Idee sprachlich ausführen könnte, nachgeht.
II – Dschungel unter Schneelast. Und Rilke.
Harald Jöllingers kleine Erzählungskonstruktion „Gummibaumdschungel“ bleibt, vor allem was die innewohnende Botschaft angeht, etwas undurchsichtig – auch wenn die Storyelemente klar sind. Was aber plärrende Vögel, von Vätern geerbte Gummibäume, die einem plötzlich die Wohnungen zuwuchern, und schnöde Liebesangelegenheiten miteinander zu tun haben, das versteh ich dann doch nicht ganz.
Ich habe an einem Abend im letzten Herbst in der alten Schmiede in Wien gehört, wie Franz Josef Czernin einige seiner Variationen auf Gedichte von Wilhelm Müller vorgelesen hat. Es hatte etwas ungeheuer Bannendes, fast schon Unerbittliches und irgendwie Feierliches, wie er die Texte vortrug (und immer und immer wieder dasselbe Gedicht von Wilhelm Müller) und ich war ungeheuer beeindruckt. Abgedruckt fand ich jedoch nie einen roten Faden in diesen Werken. So leider auch jetzt nicht.
Der Text von Barbara Markovic, „Etwas Unerwartetes war passiert“, könnte wohl durch das Wort 'Umbruch' beschrieben werden. Er ist eine Farce und irgendwo doch Ernst; die Kritik in ihm ist offensichtlich und doch gegen keine genaue Stelle gerichtet. Aber vor allem geht es eh um: Wien. Und in dieser Hinsicht kann man vor allem als Wienerin oder Wiener einiges aus dem Text ziehen.
Ronald Pohls Gedichte über den „neunmal klugen Rilke“ begraben sowohl den Dichter als auch ihre eigene Verdichtung unter teilweise federleichten, dann wieder tastaturschweren Takten aus bezeichnenden und beschwörenden Wortreihungen. Manchmal fühlt man sich an „der gewöhnliche rilke“ von Ernst Jandl erinnert.
ein granatapfelbaum zwitscherte
geradewegs ins erblindete
ohr als ihm andreas-salomé
stumm ihre bronchitis mitteilte
Meinem Empfinden nach konstruieren die Gedichte aber letztlich ein Bild, das vor allem aus angeführten Details und einigen atmosphärischen Annäherungen besteht und nicht weiter geht als zu sammeln und zu streuen. Das kann und darf reichen, gerade bei Gedichten, und ich will auch nicht das Ergebnis schmälern. Trotzdem sehe ich die Herangehensweise kritisch.
III – Reden und Rede und Gerede
Reto Hännys Laudatio auf Dorothee Elmiger, geschrieben und gehalten anlässlich der Verleihung des Erich-Fried Preises 2015, ist kühn mit „Mut und Würde“ übertitelt. Der Text ist dann auch, vor allem in den hohen Tönen, fast zu unkritisch und überschwänglich. Ein Fehler, bei dem es allzu leicht fallen würde, ihn zu bemäkeln – für den Leser ist aber gerade dieses vermeintliche Handicap ein großer Vorteil, denn die Begeisterung, mit der Hänny sich selbst antreibt und immer wieder versucht, die Wichtigkeit und Größe von Elmigers schmalem Werk (2 Romane) hervorzuheben, lässt ihre Sprache, ihre Themen, ihre Arbeit, in einem auf- und anregenden Licht erscheinen. Es ist eben keine schlichte Lobeshymne, es ist eine Auseinandersetzung bei der es vor allem um die Liebe zur Literatur geht und um eine Autorin und ihre zwei Werke, die die Möglichkeiten dieser Kunstform auf ganz eigene Weise ausschöpfen.
Die nachfolgende Rede von Dorothee Elmiger selbst ist mehr eine erzählende Reflexion als eine irgendwo hingewandte Rede und eine sich selbst aus dem Rampenlicht nehmende und in den eigenen Schreibkontext setzende Geste. Es geht ihr um Zeitgenossenschaft und sie nähert sich diesem Phänomen auf genauso eigenwillige und vorrangig deskriptive Weise, wie dies schon bei dem Stoff und den Themen ihrer Romane der Fall war. Das macht aus der Rede ein Dokument, das etwas anspricht, weil es dennoch an ein Publikum gerichtet wird, aber in den Facetten seiner Bewegung ausdeutbar bleibt.
Marion Steinfellner und Herbert J. Wimmer lassen in ihrem „Lichtstück“ die Endlichkeit der Sprache wie eine unvollendete Arbeit erscheinen. Das geht einem dann und wann, bei Wendungen wie:
momentvogelgesangschnabelwesen
ein bisschen auf die Nerven und weiß dann in einer anderen Zeile doch wieder neugierig zu machen, sich als Schreiben selbst so weit nach einer Sprache zu befragen, dass man vom einfachen Gerede und Geschwirre zur halberotischen
nackennackigkeit
und anderen sprachlichen Akten kommt, die auf- und anzuführen nicht ganz so beliebig erscheint.
Verena Mermer gelingt auf gerade mal drei Seiten eine intelligente, literarisch wie auch kritisch wertvolle, Reflexion zum Thema Machtverhältnisse und Zuschreibungen, die auch Analyse, Anklage und ein paar Takte Satire beinhaltet. Das alles lässt sie hinter der Erzählhaltung durchscheinen, die sich durch Hieb- und Schlagworte, Klischees und Metatextformen bewegt und dabei in fast jedem Satz eine Spitze und/oder eine Überlegung bereithält. Nicht unbedingt die offenste Textform, die so entsteht, aber interessant und vielschichtig.
Harald Darers Sprache ist ausholend und kräftig; und genauso groß, wie sie sich gibt, ist auch das Potenzial, dass sich der Leser in ihr verheddert. Da mag der Romanauszug auch so interessant, die sprachliche Bewältigung noch so ambitioniert und voller Ebenen sein: man kommt nicht so wirklich rein in all das, was unter einer Flut von erzählerischen Hüftschwüngen liegt.
IV – „Dazwischen tritt die Welt aus meinen Adern“ (Robert Schindel)
Margret Kreidls „Wachpost mit Fröschen“ ist eine schöne kleine Polemik und eine Hommage an Gerhard Rühm, gleichermaßen, mit Hanswurst, Robin Hood und Colombina.
Robert Schindels Gedichte – vor allem das „Gebet“, in dem inmitten ausgebleichter Akkusative und verzankter Dative das Gedicht blühen soll, auch im Herbst der Sprache noch, auch wenn wir so viel Worte schon verschlissen haben, fast – sind wunderbarste Poesien, die sich nah am schlichten Malen von Welt und Seele bewegen, aber in ihrem Ton noch weiter gehen und die Anwesenheit von Gefühlen in Sprache evozieren – mit einer verhaltenen Angst im Hintergrund: dass die Gefühle aus allem verschwinden könnten. Aber immer noch ist da der Glaube, dass das Gedicht sich nicht umsonst um die Empfindungen bemüht.
Das Stück „die hockenden“ von Miroslava Svolikova, das sich über 80 Seiten erstreckt, hat mich einiges an Geduld und Nerven gekostet. Minuziös, minimalistisch, mit entpersonalisierten Redeformen, langatmig, abstrakt, gewöhnungsbedürftig: ich mag sowas einfach nicht lesen und wenn es noch so wertvoll und durchdacht wirkt. Aber – und dieses aber ist keine Geste der Relativierung, sondern der Anerkennung – es ist sogar für mich ersichtlich, dass hinter der Anstrengung eine besondere Auseinandersetzung liegt. Das ist keine Floskel – es ist zu spüren, schält sich aus den Stimmen und ihren Klagen und Zusammensetzungen.
Martin Kubaczek Essayrezension zu E. A. Richter hat mich neugierig auf diesen absichtslosen Beobachter gemacht. Mit weiteren Buchbesprechungen zu Monika Helfer, Daniel Zipfel, Helmut Heißenbüttel, Georges Perec und Yvonne Hofstetter schließt der Band.
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