Ein bösartiger und komischer Schwall von Worten
Plötzlich fliegt ein kleines, dünnes Männlein auf die Bühne, als wenn es geworfen worden wäre. Stolpert, fällt fast hin. Stützt sich mit den Händen ab und reckt dann den Po zum Publikum.
Einen wun-der-ba-ren Guten Abend, Gu-uten A-abend, Caesaree-aa, hier in diesem herr-lichen Musentempel!
Aber nein, er ist gar nicht in Caesarea, er ist in Netanja. Ein guter Anfang für einen Stand-up-comedian: erst einmal die Leute aufschrecken. Dovele Grinstein ist so einer, der auf der Bühne steht, bessere und schlechtere Witze macht, die Zuschauer eineinhalb Stunden unterhält. Auch indem er sie mehr oder weniger gekonnt beleidigt, wie die Frau vorne an Tisch 7, deren Frisur er bewundert: "Kuppelbaudesign, würd ich sagen - liege ich ganz falsch, wenn ich vermute, da war derselbe Designer am Werk wie bei den Moscheen auf dem Tempelberg oder beim Reaktor in Dimona?" Dann sieht er bei ihr noch "Botox de luxe". Während er selber so richtig dünn ist, was er zeigt, indem er sein Hemd hochzieht:
Wär ich ein Pferd, die hätten mich längst zu Leim verarbeitet, das könnt ihr mir glauben.
Da bleiben schon die ersten Lacher im Hals stecken.
Es ist Doveles Geburtstag, 57 Jahre wird er an diesem Abend, zu dem er seinen alten Jugendfreund eingeladen hat, den ehemaligen Richter Avishai Lasar. Und wieder einmal zeigt er sein komisches, provokatives Talent. Er gibt alles, auch wenn die 750 Schekel für ihn, seine drei Frauen und die "drei, vier, fünf Kinder", nicht reichen, wie er meint. Aber dieser Abend wird dann doch ein bisschen anders, denn seine lange Rede, sein Auftritt in der israelischen Provinz, läuft nach und nach aus dem Ruder. Denn irgendwann beginnt Dovele ganz unpassend, zwischen seinen Witzen von seiner Kindheit zu erzählen. Von seiner Mutter, die "dort" gewesen ist, im KZ. Und Dovele erspart dem Publikum keines der grausigen Details.
Wie unter Zwang ruiniert Dov den Abend und sich selbst als Komiker. Seine Scherze werden immer aggressiver: Erst poltert er mit den genreüblichen Beleidigungen gegen das Publikum, dicke und alte, dann aber immer mehr gegen sich selbst. Bald schlägt er sich sogar so heftig ins Gesicht, dass er seine Brille zertrümmert. Scharenweise flüchten die Zuschauer, und Dovele vermerkt die Abgänge auf einer großen Tafel. Bis nur noch wenige übriggeblieben sind.
Das neue Buch des David Grossman balanciert brillant auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Grauen, zwischen schwarzem Humor und offenem Zynismus, auf dem sich Dovele befindet. Schon fast sein ganzes Leben lang. Denn den Spaßmacher hat er gelernt, hat er lernen müssen, um seine Mutter aufzuheitern, die sich über ein halbes Jahr vor den Nazis verstecken konnte. Um sie dann in Israel zu trösten und abzulenken, um ihre schreckliche Vergangenheit auszulöschen, ihr ein Lächeln zu entlocken, mimte der junge Dov den Clown, trat vor ihr auf, sang, macht Stimmen und Menschen nach, lief sogar auf den Händen. Auch vor seinen Mitschülern, die ihn demütigten, probierte er dieses Komikerverhalten aus. Er drehte derart auf, dass schließlich sogar sein bester Freund, der spätere Richter Avishai um einen Platz in einem anderen Zelt bittet: ein Verrat, der Dov zutiefst verstörte. Und dann wird er plötzlich abgeholt, zur Beerdigung "eines nahen Familienangehörigen", er erfährt im Auto nicht einmal, wer es ist und muss darüber nachdenken, ob es ihm lieber ist, dass sein Vater oder seine Mutter tot ist. Mit Witzen versucht der Fahrer den 14-Jährigen aufzuheitern - wie der einst seine Mutter.
Geschrieben hat Grossman diese tour de force in einem nicht enden wollenden Monolog, hin und wieder unterbrochen von Einwürfen der Zuschauern und von Beobachtungen, Kommentaren und Erinnerungen des ehemaligen Richters. Es ist ein bösartiger und komischer Schwall von Worten, der sich auf die unvorbereiteten Besucher des Abends und auf die unvorbereiteten Leser des Buchs ergießt. Nie weiß man, was Dovele als nächstes sagen oder tun wird. Was er ernst meint, was Provokation ist. Was einstudiert ist, was improvisiert. Was ihn selbst im Moment überfällt, als er einmal in Fahrt ist.
Es ist ein verstörendes, tieftrauriges und selbstanalytisches Buch, mit einem nicht sehr sympathischen Helden, der sich selbst entblößt, der von der Beerdigung seiner Mutter erzählt und seiner jugendlichen Hilflosigkeit. Man fürchtet sich vor der Wucht seiner Gefühle, aber man hat auch Angst um ihn. Man spürt seine innere Not und sieht den Versuch, sich selbst zu heilen, indem er die Zuschauer, vor allem seinen alten Jugendfreund, in seine verletzte Seele blicken lässt. Auch Avishai sieht das:
Wie hat er das geschafft, frage ich mich, wie hat er uns so schnell umgedreht, sein Publikum und in gewisser Weise auch mich? Wie hat er uns dazu gebracht, uns in seiner Seele zu Hause zu fühlen und uns zu seinen Geiseln gemacht?! Die meisten Gäste im Saal sitzen gebeugt da und starren ihn an, wie von einem Zauber gebannt.
Keine leichte Kost, und eine für Grossman-Leser ungewohnte. Aber sie lohnt sich.
Fixpoetry 2016
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