Produktives Missverstehen

Statement

In Jans Text heißt es an einer Stelle: „Ich komme vom Weg ab.“ Und ich frage mich: kann man vom Weg abkommen, wenn man den Weg nicht kennt? Kafka soll ja mal gesagt haben: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ Und schon bin ich in den Zeilen verrutscht und lese die Aufforderung: „Lesen Sie zwischen den Zeilen!“ und weiter: „Zwischen den Zeilen steht nichts. Zwischen den Zeilen ist das Papier weiß und unbefleckt. Lesen Sie zwischen den Zeilen? Es ist eine Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen. Die Worte stehen auf den Zeilen. Zwischen den Zeilen kann man nicht lesen? Was dennoch zwischen den Zeilen steht, hat jemand hineingekritzelt. Oder Sie sollten es hineinkritzeln. Oder zwischen den Zeilen steht nichts. Oder zwischen den Zeilen ist sauberes Papier. Lesen Sie zwischen den Zeilen.“

Zunächst: Kann ich zwischen den Zeilen verweilen, ohne selbst etwas mit den Zeilen anzustellen, ohne mich an ihnen interpretierend zu verschreiben, ohne sie selbst zu schreiben, zu bekritzeln, zu verschmieren, ihre Spuren zu verwischen, indem ich mich zu den Worten begebe, sie betrete, sie beflecke? Ich denke der Text (be)lässt hier die Antwort zwischen den Zeilen, ohne dass man sie aus den Zeilen nehmen könnte, ohne die Zeilen zu verändern. Man muss hier produktiv missverstehen, um eine Chance haben zu können, falls es sie gibt.

Bei Martin heißt es nun: „Lesen Sie zwischen den Zeilen! Zwischen den Zeilen steht sauberes Papier. Zwischen den Zeilen steht nichts. Lesen Sie zwischen den Zeilen. Es ist eine Kunst, hat jemand hineingekritzelt. Die Worte stehen auf den Lesenden. Zwischen den Zeilen kann man nicht lesen. Zwischen den Zeilen kann man nicht zwischen die Zeilen? Was dennoch zwischen den Zeilen steht. Oder Sie sollten es hineinkritzeln? Oder zwischen den Zeilen ist das Papier weiß und unbefleckt. Oder zwischen den Zeilen ist nichts. Lesen Sie zwischen den Zeilen.“

Ich könnte mich jetzt darauf beschränken und schreiben, dass das Palimpsestartige sinnbildlich für das gesamte Buch ist, aber auch hier muss man wohl wieder zwischen die Zeilen, wieder produktiv missverstehen, oder? Ist nicht auch das Schwarze, das die Buchstaben konturiert, ihnen Form und Figur gibt, „sauber“ oder wird hier – zumindest ansatzweise – eine Säuberung des fest-geschriebenen und geformten Wortes gefordert. Wohin fällt man auch hier, verliert man die Worte unter den Füßen oder verliert man das Verständnis (aus den Augen)? Es wird (etwas) an- und abgestoßen, denn die Worte stehen auf den Lesenden, (der (aber – oder Aber aber aber) doch zwischen den Zeilen lesen soll), (was man nicht kann). Wenn man nicht zwischen den Zeilen zwischen die Zeilen kann, was macht man, wenn man trotzdem schon da ist? Unerwartet. Mit Weiß und mit Schwarz in den Augen, mit Etwas und Nichts...

Rimbaud schrieb: „Que comprendre à ma parole? / Il fait qu'elle fuit et vole! (Versteht Ihr was von meinem Wort? / Es flieht und fliegt und ist schon fort!)“ Also hinterher (zwischen die Zeilen) .