Das Feld
Das Feld (dän. Marken) ist ein bereits 2010 erschienenes Langgedicht des umtriebigen Kopenhagener Lyrikers, Essayisten und Kinderbuchautors Martin Glaz Serup, der – Stand heute – genau acht Lyrikbände und ebenso viele Kinderbücher veröffentlicht hat. Serup ist in allen Belangen ein philosophischer Textarbeiter, ob er Dinge für Kinder aufbereitet, seine Dissertation über „Relationelle Lyrik“ an der Kopenhagener Universität einreicht (und dafür eine Goldmedaillen erhält) oder einen Band wie „Das Feld“ schreibt. Mit ihm zu sprechen, offenbart dementsprechend tiefsinnige, interessierte und gebildet-bescheidene Kommentare zu allem, was die Sinne streift – so geschehen bei der letzten Hamburger Hafenlesung im Juni, bei der Serup aus dem „Feld“ gelesen hat. Man fühlt sich begleitet, mitgenommen auf eine Reise in Serups behutsamen Kosmos.
„Das Feld“ sagt als Titel schon viel. Man denkt an Heidegger und den Feldweg, ein chthonisches Etwas, das in seinem Kern so etwas wie echt und gut und bodenständig im wahrsten etymologischen Sinne ist. Und doch ist ein Feld ja auch ein Begriff für Weite oder die Gültigkeiten einer Mehrheit von etwas wie Meinungen, Handlungen, Theorien oder Energien, Elektrizität usw. Über diese einfache und sachte Ambivalenz erfindet Serup mit dem Feld einen kleinen und darum großen Kosmos der Sinne und ihrer Möglichkeiten der Wahrnehmung von Phänomenen und Ausgeburten heutiger Zeit. Das Feld betrachtet irgendetwas, macht sich Gedanken, oder verreist, um sich in der Ferne etwas zu besehen. Und immer ist es ein Abbild einer heutigen, selbstkritischen Mehrheit, die z.B. zu viel Zeit auf facebook verbringt, sich in Ängsten um seine Gesundheit der aktiven Fitness-Steigerung zuwendet usw., aber gleichzeitig ist es einfach ein Feld. Eine uralte, zutiefst menschliche Daseins-/ Dingform, der ein romantischer Wunsch der Rückkehr ins Minimalistische oder auf das Wesentliche reduzierte zukommt. Eine Lebensform des einfachen Zyklus: anbauen, hegen, ernten, pflügen, und die Zeit vergeht.
Aus diesem Blickwinkel heraus schichtet Serup Abschnitt um Abschnitt des Gedichts. Die in prosaischer Notation gehaltenen Strophen/Abschnitte nehmen jeweils eine Seite ein und besitzen zwar keinen Umbruch, jedoch eine äußerst rhythmische, präzise, einfache Sprache. Die Themen sind vielfältig und tauchen überraschend in einem unvorhersehbaren Fluss auf. Naturbetrachtungen, Wetter, Sex, Fotografieren, Entspannung und das Blau des Himmels lässt Serup im Wechsel aufeinander folgen, um bisweilen auch so etwas wie eine sich steigernde Sequenz zwischen den Abschnitten aufzubauen. Eigentlich kann man von lyrischen Miniaturen sprechen, die anregend und intim, fast nackt, zum aphoristischen Nachvollzug freigegeben sind. Kein Koan oder hermetischer Eimer. An dieser Stelle einige von Serups eigenwilligen essayistisch, kindlich, lyrischen Fallbetrachtungen des Felds:
Das Feld findet es beinahe blasphemisch, dass man
sich an die Schönheit der Natur gewöhnen, sie als
gegeben voraussetzen, ihr gegenüber blind werden
kann. Man plötzlich am Strand entlang laufen kann,
als wäre man nur zu einem anderen Ort unterwegs,
man nicht länger von einer Aussicht gefesselt wird,
den weißen Bergkuppen am Horizont, dem auf-
gewühlten Meer. Man nicht länger die tiefroten
Farben der Wolken im Sonnenuntergang sieht,
sondern nur registriert, dass jetzt wohl bald Abend ist,
oder dieser Tag auch schon wieder vorbei, oder was
auch immer man gerade denkt. Das Feld hat eine
Regel aufgestellt; jeden Tag will es etwas Schönes
in der Natur angucken, allein der Schönheit wegen,
mindestens zwei Minuten lang. Das Feld stoppt die
Zeit mit einem Handy. Die Blätter, die Vögel, die dicken,
farbenfrohen Fliegenpilze am Waldboden. Es fühlt sich
ein bisschen dumm, wie es so dasteht und guckt.
Kann sich nicht mehr erinnern, was es damit eigent-
lich bezwecken wollte; ein Blatt, ein Vogel, ein
Fliegenpilz und so weiter, doch, natürlich sind sie für
sich genommen schön, aber, würde das Feld am
liebsten ausrufen; und was weiter. Ist nicht alles
irgendwie schön, wenn man es nur lange genug
anguckt. Es fürchtet, jemand könnte vorbeikommen
und es beim Gucken ertappen, jemand könnte sich
wundern und es fragen, ob alles in Ordnung sei, es
fragen, was es da eigentlich gerade mache. Das Feld
weiß es nicht.Das Feld ist Vieles.
Das Feld fährt nach London, um mit eigenen Augen
im British Museum eine der Statuen von den
Osterinseln zu sehen und sich mit ihr zusammen
fotografieren zu lassen. Nach London zu fliegen ist
billiger als auf die Osterinseln. Doch einmal dort
angekommen, ist es ihm plötzlich unangenehm. Es
möchte nicht um Hilfe bitten, möchte nicht fragen, ob
jemand so freundlich sein würde, das Bild zu knipsen.
Am nächsten Morgen isst es im Hotel gebackene
Bohnen mit Tabasco und Toast und Eiern und fliegt
wieder nach Hause.Als das Feld klein war, wünschte es sich nichts
sehnlicher als ein Hochrad.Über das Hören denkt das Feld, dass es in
naher Zukunft ein Comeback erleben wird.Das Feld war die meiste Zeit seines Lebens gut
angezogen, das Feld ist immer noch gut angezogen,
trägt immer etwas Passendes, etwas Neutrales,
Dezentes, Normales, aber immer mit diesem
besonderen Pfiff, diesem kleinen Extra, einem lustigen
Detail, etwas Gefärbtem oder Geerbtem oder etwas
ganz anderem.Das Feld findet, es küsse zu wenig mit der Zunge, dass
zwischen den Ausbrüchen spontaner Leidenschaft viel
zu viel Zeit vergehe.
Das angenehm philosophierende Gedicht ist kongenial von Ursel Allenstein übersetzt worden, die den leichten Klang des oft wie hüpfend wirkenden Dänischen in die deutlich schwerere, fast pflügende deutsche Sprache treffend und melodisch transportiert hat. Der Band, dieses Frühjahr in der Kölner Parasitenpresse erschienen, lässt sich hervorragend lesen, er verkündet neben einer durchgehend präsenten Melancholie eine fast niedliche Wärme und scheut sich nicht, oft ins skurril-komische Fahrwasser zu steuern, ohne dabei humoristisch oder gar platt zu werden. Martin Glaz Serup ist ein smarter Autor, von dem nun endlich und zu Recht etwas in deutscher Sprache vorliegt.
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