Von der Unausführbarkeit der Liebe im Irrenhaus
1915 als letztes von neun Kindern einer Bergarbeiterfamilie in Kärnten geboren, war Christine Lavant zeitlebens arm, krank und die meiste Zeit unglücklich. Bekannt wurde die hagere Frau mit den großen Augen und dem weißen Kopftuch, unter dem sie die Verbrennungen der Kopfhaut verbarg, mit der ihre Tuberkulose geheilt worden war, mit ihren Gedichten, während ihre Prosa kaum wahrgenommen wurde, oder für sie entmutigend negativ besprochen worden ist.
Die „Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus“, die erst Ende der 90er Jahre im Nachlaß von Nora von Wydenbruch aufgefunden wurden, die Lavants Erzählung in den 50er Jahren übersetzte und sie in England herausbringen wollte, sind bereits 2001 im Otto Müller Verlag in Salzburg erschienen. Im Rahmen des bei Wallstein erscheinenden Gesamtwerks von Christine Lavant, liegt die Erzählung jetzt mit einem ausführlichen Nachwort und reichhaltigem Glossar versehen, so vor, dass der Ursprungstext so exakt wie möglich wiedergegeben wird.
In dieser schmalen Erzählung, springt Lavant mitten in das Geschehen hinein:
„Ich bin auf Abteilung zwei. Das ist die Beobachtungsstation für die Leichteren und man kommt eigentlich von Rechts wegen nur hinein, wenn man Drei schon hinter sich hat.“
Die Beobachtungen und Beschreibungen machen mehr als deutlich; Christine Lavant war nicht verrückt, sondern „nur“ abgrundtief unglücklich und verzweifelt. Und so kommt es für sie, die immer wieder nach Liebe und Zuneigung suchte, zu einer erneuten Zurückweisung, denn der Versuch sich in die Gesellschaft der Irren zu integrieren, muss scheitern.
„Und da ging mich eben alles so wenig an, ich hatte nur da zu sein und gedämpft auf allerlei unbeschreibliches Grauen hinzuleuchten“.
Dieser Satz beschreibt sowohl das Dilemma als auch die Erzählhaltung in den „Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus“. Es ist ein besonderes Licht, das Christine Lavant auszubreiten versteht, ein Licht, das das Grauen so formvollendet beschreibt, dass es eine ganz eigene Schönheit entfaltet, und man sich wundert, wie liebevoll sogar der Hass geschildert werden kann.
Inhaltlich geht es neben den persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen in einem österreichischen Irrenhaus 1935, um Armut, um die zusätzliche Beschämung, die eine Patientin ohne Geldmittel erfährt, also nicht zuletzt um Machtverhältnisse.
In welch prekärer Lage Christine Lavant sich damals befunden hat, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass kurz nach ihrer Entlassung die ersten Morde an den Insassen begannen. In der Landesirrenanstalt in der sich die Aufzeichnungen abspielen, wurden zwischen 1940 und 1945 mehr als 1.500 Menschen ermordet. Einige der Personen, die Lavant in ihren Aufzeichnungen beschrieben hat, sind nach dem Krieg angeklagt und verurteilt worden.
Bestechend ist Lavants sehr genau Beobachtung. Sie beschreibt die Beziehung und Dynamik der Bewohner untereinander, der Pflegerinnen zu den Insassen und andersherum, mit einem unbestechlichen Blick. Es ist vor allem die Aufrichtigkeit, mit der sie beobachtet. Eine Aufrichtigkeit, die die eigene Angst sehr genau registriert, von einer am Rand, die auf der Kippe steht, von der Beobachterin zu derjenigen zu werden, die mit einem Schauer beobachtet wird.
Dabei beschränkt sich Lavant auf einfache Szenen, benutzt kurze Sätze und nur wenige Bilder, die dafür sehr aussagekräftig sind.
Sie versteht es, die latente Angst der Insassen vor der vollkommenen Entmündigung und Demütigung mit der Zwangsjacke wie ein Gespenst über allen Szenen schweben zu lassen.
Einen Kontrast zu dem von Hass, Ohnmacht und Zwang dominierten Anstaltsleben bilden die Beschreibungen der Besuche von Angehörigen. Besuche, wie sie die zwangsernährte, gerade 20jährige Hansi von ihrer Mutter und ihrem Mann erfährt:
„Es wachsen hier ewig Berge der Qual, aber die Gipfel bilden jene, die täglich liebend hierher kommen und verzweifelt wieder gehen.“
Oder einer alten Frau, die sich für die Dauer des Besuches ihres Sohnes verwandelt:
„Hier gehen noch Veränderungen vor, die keinem Wunder nachstehen. [...] Wie Christus über das Wasser, geht diese Mutter in der Gegenwart ihres Sohnes über das Meer ihres Irrsinns.“
Die Erzählerin selbst befindet sich in ständiger Selbstbeobachtung, die in nahezu allen Fällen darin mündet, dass sie „Fehler“ entdeckt, die sie hätte vermeiden können. Quälend oft überführt sich Lavant als Verursacherin ihrer Lage, die besser war und hätte bleiben können, wenn sie gewisse Fehler vermieden hätte. All das ist aber nicht selbstmitleidig, sondern mitunter kokett beschrieben.
Ebenso wie der Kampf diesem überall wabernden Hass, der „Hass- und Elendsstrahlung“, nicht zu verfallen, der feste Wille dem Liebe entgegen zu setzen.
Denn darum, so habe ich es gelesen, so lese ich auch die Gedichte der Christine Lavant, geht es ihr, was auch immer sie schreibt, um dieses höchste Ideal, zu lieben, und all die Hindernisse, auf die eine stößt, die nie gelernt hat, sich selbst zu lieben.
Was stattdessen geschieht, ist ein Abstumpfen, das Lavant auch an sich selbst beobachtet. Wenn sie vom einsamen und würdelosen Sterben einer Mitinsassin schreibt, und dabei kaum erschrocken feststellt, wie sehr auch sie selbst schon abgestumpft ist:
„Eigentlich hätte ich ja beten können, aber mein erster Gedanke war der, ob ich nun doch ihr Bett bekommen könnte, um nicht mehr meine wachen Nächte so nah am Leibstuhl verbringen zu müssen.“
Geschickt äußert Lavant, wie nebenbei, immer wieder Kritik an den Verhältnissen im Irrenhaus, nicht nur an Grobheit, Klassendenken und daran, dass die „Irren“ beinahe umgehend ihre Menschenwürde verlieren, sondern auch an der fehlenden Bereitschaft der dort Arbeitenden, wenigstens manches durch Einfühlung, statt durch Zwang zu bewältigen.
Und was für Bilder sie für die Verzweiflung findet:
„Wenn ich einmal Kinder hätte, würde ich ihnen sagen: Kinder lacht nicht, das Lachen hat der Teufel erfunden. – Und dies wäre vielleicht die einzige Wahrheit, die ich ihnen zu geben hätte.“
Christine Lavant hat Zeit ihres Lebens streng autobiografisch geschrieben. Sie beschrieb die Welt, aus der sie kam, ohne Abstand und ohne jegliche Verfremdung. Ihre Prosa war für Lavant ein Stück ihres Lebens. „Ich kann ja nichts Unwirkliches schreiben“ betont sie in einem Brief an ihre Übersetzerin, bei der das verschollen geglaubte Manuskript, Ende der 90er Jahre schließlich gefunden wurde.
Sich mitzuteilen, war nach Lavants eigener Aussage, nach der Sehnsucht geliebt zu werden, die „zweitgrößte Begier“.
Und diesem Umstand ist es zu verdanken, dass sie ihr Talent, ihr Leiden in Literatur zu verwandeln, genutzt hat. Christine Lavant berichtet nicht nur aufrichtig, sondern sie findet ein ums andere Mal eine Form, die auch das Komische und Groteske an ihrer traurigen, scheinbar ausweglosen Lage, erkennen lässt.
Sie selbst schreibt zu den Aufzeichnungen in einem Brief an ihre Übersetzerin:
„Es fehlt ihnen der zärtliche Schmelz des Duldens.“
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