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Kritik

Mehrere Randnummern

Eine Kladde mit mehreren Randnummern, alphabetisch sortiert
Hamburg

Was ich in der Hand halte, ist eine Art Kladde. Darin zusammengefasst: Die Ausgaben 6, 7 und 8 der Literaturzeitschrift Randnummer. Beiträge sind nach Autorennamen alphabetisch sortiert.

 

No. 6

Konstantin Ames' Gedichte sind ein Zupfen, die Sprache zupft sich ständig zurecht, damit sie nicht am Ende der Zeile schon ausfranst. Manches Bild ist fast weich genug, dass man es anfassen will. Das Einzelne wirkt gut zurechtgemacht. Verzeihen kann ich ihm aber vor allem nicht das Auden-Bashing. Ansonsten schön viel Sprachspiel, fast bis zum Erbrechen.

Was Tom Bresemann gedichtet hat, geht in Richtung Deklination: Feststellungen, gewöhnlich daherkommende Verbindungen von Worten; Aufzeichnungen, die einen erden. Eine unsortierte Besinnungsniederschrift – schlicht, aber mit sehr langen Ufern – der man unaufhaltsam folgt, als würde ganz viel passieren.

Von Andreas Bülhoff liegt ein sechzehnteiliges Puzzlespiel bei: Acht Kärtchen, über die Sätze laufen. Die können aneinandergelegt werden, weitergeführt über die schwarze oder die weiße Seite. Der größte Reiz: Vielleicht gibt es, wenn man sie nur findet, die eine richtige Kombination, bei der jedes Fragment sich einordnen lässt. Ich habe schnell aufgegeben.

Die lyrische Prosa von Angela Carr beginnt mit interessanten Beobachtungsstaffagen, Räume suchenden Wahrnehmungswiedergaben

Man konnte Scheine, Flaggen und Pässe zerreißen, nicht aber das harte Material von Münzen, Bildschirmen, Kreditkarten.

Doch warum sich diese Art der Hinwendung in abstraktere, einsilbige Prozesse zerfranst, kann ich nicht ganz nachvollziehen.

Ricardo Domenecks drei Gedichte weisen einen hohen Anteil an Direktheit auf. Eine Direktheit, die nicht offensichtlich ist oder die Dynamik des Textes darstellt, sondern eine Direktheit, die sich einen Weg zu der Verbindung von Gesagtem und Erlebnisübrigem bahnt. Besonders gelungen ist das erste Gedicht, eine schweifende und doch fokussierende Betrachtung eines Geliebten, der wie in den Gedichten von Konstantin Kavafis als strahlender Eros auftritt, aber ohne, dass die Irritation, die zwischen den Liebenden nach und vor dem Akt (überhaupt bei jedem anderen Austausch als dem vom Körperflüssigkeiten) aufkommt, resultierend aus der Verschiedenheit der Welten, verschwiegen wird.

Leicht hyperventilierend sind die Gedichte von Heidi Eckstein. Bei ihrer Fülle, ihren Wendungen weiß man nicht, ob sie mehr dem Nonsens zuneigen oder der Erfassung flüchtigster Gewissheiten. Beipackzettel voller Kieselsteine sind schön, aber was zum Teufel schlägt dieses Bild für uns raus?

Da es ist es schon cooler wenn Sirka Elspass ihre Gedichtcollagen „Ich bin nicht Herta“ nennt. Härter sind die Texte auch nicht, eher sogar weicher als die der Nobelpreisträgerin, und teilweise virtuos geklebt. Coole Texte, coole Optik.

Für meinen Geschmack biedert sich Daniel Falbs „Kosmetischer Kosmos“ – auch wenn er natürlich damit spielen will – allzu sehr bei greifbaren Objekten und Namen an, die nicht nur einen Gegenpol zu seiner lyrischen Vorgehensweise bilden und als Fremdkörper auffallen (was ja alles geplant sein mag), sondern den Text unwichtig erscheinen lassen, weil es ihm nicht gelingt, ihre Banalität zu untergraben oder zu instrumentalisieren. Vielmehr bleibt das Lyrische im Schatten unter dem Hochaufragenden liegen und gedeiht kein bisschen.

David Frühaufs ambitionierter Text über die Nähe des Todes, die Vergänglichkeit, das Zusammenlaufen der Wahrnehmung, die Existenzgerinnung im Augenblick bleibt so ein Text, der sich zu langsam voranschiebt, um ihm nicht davonrennen zu wollen, nicht weiterblättern zu wollen. Würde er doch nicht so geschwätzig daherkommen; nuanciert, aber ohne Ballaststoffe! (Wobei: Man mag diesen Eindruck ruhig auf meine Ungeduld schieben.)

Die Gedichte von Claudia Gabler sind irgendwie knuffig, nicht anarchisch genug, um verschroben zu wirken. Ja, sie tendieren trotz ihrer Ausbrüche fast schon zur Lieblichkeit. Über den Inhalt sollte man noch ein paar Ladungen Verbindlichkeit leeren. Denn die Leichtigkeit und die immer irgendwie schönen Worte, sie schreiben mir auf die suchenden Sinne nicht genügend Sinn.

 

No. 7

Christiane Heidrichs Gedichte sind voller sanft anmutender Bewegungen und Dinge, aber sie leben nicht allein von dem, was sie als Bildern in die Welt setzen, sondern auch von den Umfeldern, die sie erschaffen. Zwischenräume, in die plötzlich ganz viele Eindrücke passen. Ein Schimmern geht von ihnen aus, das alle Regungen Bezug nehmen lässt, und zwar auf die Dinge, die schimmern – und nicht auf das Schimmern selbst.

Andrea Ingleses „Briefe an die kulturelle Wiedereingliederung der Arbeitslosen“: Gedichte, die etwas so Kreisendes haben, dass alles darin unhaltbar scheint. Es ist vor allem dieser Zug von ihnen – das Rastlose, das Vorbeigezogene, das Erschlaffende – das die Lektüre begleitet und uns eine Idee von dem gibt, was sie bewirken wollen.

Rede ich über Algebra, rede ich von etwas, das ich nicht verstehe.

Meditativ, mit ein bisschen Komik, anti-überraschend und auf gewisse Weise belegend, wie es kein Sachbuch, kein Beweis sein kann, sondern nur die Behauptung in der Lyrik: Björn Kuhligks „Das Gedicht geht durch einen Körper und grüßt nicht mal“ berichtet von dem, was es gibt, von den Bedingungen der Rahmen, die jede Handlung zieht, vom Einlassen, den Grenzen und der Obhut desjenigen, das nun einmal geschieht. Es ist Poesie, schlicht und durchweg gelungen, auch wenn sie nicht grüßt.

Norbert Langes Gedichte langweilen mich schnell. Die

Weltteiche der Fiktion

find ich noch ganz nett. Ja: Viele Zeilen sind einzeln nett, aber sie verlieren sich – Fragmente, die nicht wirklich anfangen und nicht wirklich enden – in etwas, das meinetwegen eine Kritik an der Mediensprache oder an unserer zerstückelten Aufnahmefähigkeit sein kann. Aber dadurch werden sie nicht zu guter Lyrik. Mir fehlen da die Ansätze, um das Zusammenkommen von Inhalt und Komposition zu verstehen.

Martin Lechners zwei Geschichten machen es sich vielleicht ein bisschen zu leicht. Um Festgestelltes und Feststellendes herum montiert, drücken sie sich vor den tieferen Schichten, in die sie hinunterrollen und sich dort, hintergründig, sammeln könnten. So schmecken sie nur nach Anekdote. Die in Zusammenarbeit mit Milo Momm gefertigten Grafiken gefallen mir aber wiederum in ihrer Widersinnigkeit.

In den Wortreihen von Yannick Langkeek, wo gerne einmal überraschend Wörter in ihre Silben zerteilt werden, fühlt man sich wohl, vielleicht, weil eine gewisse Lässigkeit immer wieder darin knackt wie Zweige unter wandernden Füßen.

Anagrammdichtung by Titus Meyer: eine Sache für sich. Sprachsinnlich, aber von jedem anderen Sinn größtenteils befreit. Ich weiß nun nicht, ob es nur mir so geht, aber ich denke: Radikale Anagrammlyrik generiert zwar allerhand interessante Fügungen, aber letztlich ist diese Vorgehensweise nicht viel anders als das Verwenden eines Versmaßes – die Form diktiert den Inhalt.

 

No. 8

Entblößend, haltlos, aber auch authentisch in der Kürze, dem Fehlen eines wirklichen Auftritts. Andrea Mittags drei Gedichte halten sich an wenige Regeln und Antiregeln und sind mir allein deswegen schon sympathisch. Sie stehen einfach da. Sie sind dünn, ernst, mit Blässe. Spannen den Hahn einer Heftigkeit. Drücken nicht ab.

Rick Reuther entkommt jedem Verdacht auf Langeweile durch die Souveränität seiner jeweils nächsten Zeile. Dadurch entsteht ein ganz schönes Tempo. Sein gutes (nein, eher: sehr gutes) Gefühl für Rhythmus, Beats, Kurven und Pointen-wider-die-Schussrichtung macht Spaß. Dazwischen hockt das Name-Dropping und irritiert den Inhalt. Anhäufung lautet die Dynamik. Es wird gegen jede Fallhöhe gearbeitet. Manchmal kristallisiert sich etwas, was Wichtiges. Manchmal nicht. Selbst dann steht sie noch, die Virtuosität.

Aberwitzig dockt ein Satz von Lara Rüter an den nächsten an. Ihre Gedichte nehmen Operationen an Zusammenhängen vor, die ich nicht verstehe. Vielleicht müssen, wo so schöne Sätze vorhanden sind und ihre Packung Eindruck aufreißen, keine weiteren Dinge gegeben sein? Ich weiß nicht.

Der Distelhäuser Export, der Realitätsflirt von Klaus F. Schneider -- in diesen verschrobenen Text, da stecke ich meinen Blick rein, da fahre ich über so manches Wort, da löst mein Eindruck das Einzelne aus dem Text. Ein kleines Leseabenteuer.

Mondolon von Tibor Schneider, das will mir ein bisschen zu hip, zu groovy sein. Viele Wortverfremdungen und allerhand Spezielles, das wohl die Dynamik ausmachen soll. Ein paar Einfälle sind auch geil. Gehen mir direkt Gehirn, bohren, stoßen auf Öl. Aber das Gedrängte dieses Prosatextes mag ich trotzdem nicht.

Ein Löwengesicht hat sie
durchschaut. Ist durch
die Stirn gewichen,
wie eine Projektion. Das
war die barsche Idee von
ihr. Haare fielen aus,
dann Gejaule.

Ich würde gern über das Komprimierte oder das Geniale oder das Schöne in den Gedichten von Sonja vom Brocke schreiben, oder in den folgenden von Charlotte Warsen. Würde gerne gut gelaunt drüber reden. Aber ich kann mit ihnen überhaupt nichts anfangen. Ich mühe mich, ich zerschlag meine Erwartungen, ich spanne neue Saiten in mein Auge und versuche nochmal, diese Texte zu spielen. Die vermittelnde Instanz, die Kommunikation darin, eröffnet sich mir nicht. Müssen Gedichte kommunikativ sein, oder können sie auch einfach senden, senden? Vielleicht sind diese Gedichte genial, vielleicht auch schlecht. Ratlos biete ich mich jedem Spott und jeder Aufklärung an.

leerzustehen ist eine Handlung, sagt Tschechow

Wie er über die Zeit spricht, wie Tschechow in dieses Spiel spaziert – eine schöne Melancholie, der Text, der durch diese beiden Elemente perfekt stimuliert wird. Man muss Levin Westermann ein Kompliment machen, denn seine Reise in 10 kurzen Teilen steigert sich und wiederholt sich doch, wie die Zeit selbst es auch tut.

Ron Winklers Gedichte kann man um keine lockere Zeile bringen. Sie öffnen hier und da etwas, weil sie einfach die wortgeformten Schlüssel dafür haben. Sie sind etwas zu leicht, manchmal. Aber das ist das Kritisieren auch, und zwar immer.

 

Summa summarum

Wenn ich meine Leseeindrücke nochmal Revue passieren lasse, muss ich sagen: Ich stoße auf gemischte Gefühle trotz der vielen positiven Erlebnisse. Es bleibt der Eindruck, dass ich nicht der/die richtige Leser_in für diese Zeitschrift bin. (Dieses Fazit soll keine Selbstbefragung werden, aber): Aber wer wäre es?

Die Randnummern 6, 7 und 8 bieten eine sehr breite Palette an Beispielen für Gegenwartsproduktionen von deutschen Schriftsteller_innen und Lyriker_innen. Es ist gut, dass man vielen experimentellen Ansätzen, schwerer zugänglichen Texten und allgemein spezieller Literatur hier Möglichkeiten bietet. Es sollte anhand der versammelten Texte aber auch einmal über die Ausprägungen der zeitgenössischen Lyrik/Literatur diskutiert werden – dafür eignet sich die breite Palette der Zeitschrift hervorragend. Denn neben die Begeisterung mischt sich auch ein großer Verdruss in meine Begegnung mit der Randnummer: Hier wird viel präsentiert, das eben nicht nur schwer verdaulich, sondern meiner Meinung nach auch diskussionsbedürftig ist. Und viele Beiträge, die es sich für meine Begriffe zu leicht machen. Aber jetzt gehe ich auf Nummer sicher und halt den Rand.

 

 

randnummer literaturhefte № 6 · 7 · 8 from abue on Vimeo.

 

 

Autor_innen und Übersetzer_innen dieser Ausgabe_n: Konstantin Ames, Tom Bresemann, Andreas Bülhoff, Angela Carr (Übersetzung: Uljana Wolf, Peter Dietze) Ricardo Domeneck (Übersetzung: Odile Kennel, Sabine Scho), Richard Duraj, Heidi Eckstein, Sirka Elspaß, Daniel Falb, David Frühauf, Claudia Gabler, Christiane Heidrich, Jan Imgrund, Andrea Inglese (Übersetzung: Elisabeth Kreutterer), Hendrick Jackson, Dagmara Kraus, Björn Kuhligk,  Norbert Lange, Martin Lechner, Yannick Lengkeek, Titus Meyer, Andrea Mittag, Johann Reißer, Rick Reuther, Andre Rudolph, Lara Rüter, Klaus F. Schneider, Tibor Schneider, Mathias Traxler, Sonja vom Brocke, Charlotte Warsen, Levin Westermann, Ron Winkler.

Andreas Bülhoff (Hg.) · Peter Dietze (Hg.) · Philipp Günzel (Hg.) · Jennifer Knappheide (Hg.) · Simone Kornappel (Hg.)
Randnummer Heft No. 6 - 7 - 8
Randnummer
2016 · 15,00 Euro
ISBN:
ISSN 2190-7544

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