Glücksversprechen unter Dünen
Verlassene Orte, aufgeladen mit dem Leben und Lieben verstorbener oder verschwundener Personen, sind Claire Vaye Watkins‘ Metier: Geisterstädte, die in den Goldrauschtagen einen Boom erlebten und dann rapide verfielen, anonyme Motels in den Randbezirken ehemals lebendiger Metropolen, ausgediente Filmkulissen, die zum Schauplatz schrecklicher Verbrechen werden. Bereits in ihrem viel beachteten Erzählband „Geister, Cowboys“ von 2012 huldigte Watkins den traurig-faszinierenden Überbleibseln des amerikanischen Traums. In ihrem dystopischen Roman „Gold Ruhm Zitrus“ geht sie noch einen Schritt weiter: Die Apokalypse ist eingetreten, in Form einer katastrophalen Dürre, die den gesamten Südwesten der USA in eine todbringende Wüste verwandelt hat. Der Exodus bewegt sich Richtung Osten – dorthin, von wo einst die Pioniere des Wilden Westens aufbrachen, um in Kalifornien ihr Glück zu suchen. Ein zweifelhaftes Glück, das Watkins lakonisch in drei Worte packt: „Gold, Ruhm, Zitrus“. Im Romantitel klingt bereits die makabere Ironie an, dass eben jene Gier, Ausbeutung und Verschwendungssucht, die damals einhergingen mit den wechselnden Glücksversprechen, Watkins‘ postapokalyptisches Szenario mit herbeiführten.
Phoenix ist in Flammen aufgegangen, Las Vegas unter einer Sanddüne begraben, Los Angeles evakuiert. Eine großartige, bildgewaltige Eröffnung, die an Filme wie „Mad Max“ erinnert, oder – um bei der jüngeren deutschsprachigen Literatur zu bleiben – an Juan Guses „Lärm und Wälder“ oder Roman Ehrlichs „Das kalte Jahr“. Wer je die ausgedehnten Golfanlagen gesehen hat, die um Las Vegas aus der Wüste sprießen, die Entsalzungsanlagen bei San Diego und Santa Barbara, weiß, dass Watkins‘ Dystopie keine allzu weit hergeholte ist. Und damit wir das Jetzt auf keinen Fall vergessen, reicht sie uns durch die Zeilen immer wieder Versatzstücke des Vertrauten, denen das Ende bereits eingeschrieben ist.
Das gespenstische morgendliche Pochen der Pools von Palm Springs, die zwar trocken waren, deren Solarzellen aber randvoll geladen waren und hell leuchteten
oder die heute floskelhafte Frage:
Trinkst du genug Wasser?
die für Watkins‘ Protagonisten zu einem bitteren Witz verkommen ist. Genau: Protagonisten gibt es auch. Und so etwas wie einen Plot. Dass diese allerdings erst derart spät ins Spiel kommen, könnte bereits auf eine gewisse Schieflage verweisen.
Während „Geister, Cowboys“ getragen wird von seinen komplexen Figuren – Gefangene ihrer Einsamkeit, an trostlosen Orten Gestrandete, von winzigen Hoffnungen und unmöglichen Sehnsüchten Angetriebene – überstrahlt in „Gold Ruhm Zitrus“ eindeutig das grandiose Setting den Plot und seine ausführenden Organe. Wobei auch hier die Ausgangslage des tragischen Paars, um das herum der Roman zentriert ist, durch eine einzigartige Mischung aus visueller Opulenz und existenzieller Melancholie besticht.
Zum einen wäre da das labile Ex-Model Luz Dunn, ehemals bekannt als „das goldene Kind des Naturschutzes“, das von Geburt an zu Propagandazwecken von Kameras begleitet wurde. Mit gerade mal 25 gehört Luz zum alten Eisen, das einfach in der Wüste zurückgelassen wird, während ihre Agentur nach New York flieht. An den ausgetrockneten Rändern von L.A. harrt sie mit ihrem Freund Ray aus, einem Ex-Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung. Ray hat sich eingerichtet in seiner Rolle als Luz‘ Beschützer, über seine eigenen Traumata jedoch schweigt er. Sie hausen in einer verlassenen Villa in Laurel Canyon und vertreiben sich Langeweile und Zukunftsängste mit diversen mehr oder weniger sinnvollen „Projekten“: Luz probiert sich durch die extravagante Garderobe des geflohenen Hollywood-Sternchens, Ray streift umher und saugt das Benzin aus den in der Umgebung zurückgelassenen Luxuslimousinen. Skorpione lauern in den Abwasserrohren, Kojoten-Skelette liegen in der Schlucht verstreut, erbarmungslos ausgeleuchtet von der sengenden Sonne. Über allem hängt eine grelle Leere, die an David Hockneys Kalifornien-Zyklus erinnert – bloß gänzlich ohne Wasser. Das einzig Lebendige scheint die in jähen Eruptionen hervorbrechende Libido der beiden Liebenden zu sein, die allerdings rasch geschluckt wird vom alles überwältigenden Gefühl der Trägheit und Sinnlosigkeit:
Zu heiß für Sex. Der Nerz lag auf dem Boden – Skulptur eines Irrtums.
Watkins gelingt es meisterhaft, aus der Dürre, dem Überdruss, dem Nichts eine morbide Schönheit herauszukitzeln, an der man sich endlos festlesen könnte. Problematisch wird es eigentlich erst, als die Story – die ein Publikumsverlag für einen 400-seitigen Roman wohl als zwingend erachtet – Fahrt aufnimmt: Bei einem Regen-Rave in den ausgetrockneten Kanälen von Venice Beach läuft Luz und Ray ein merkwürdiges kleines Mädchen in die Arme, das sich „Ig“ nennt und lose zu einer zwielichtigen Bande von Junkies zu gehören scheint. Kurzerhand nehmen sie Ig mit – ob Entführung oder Rettung, bleibt offen. Aus Angst vor Verfolgung, aber auch, um Ig eine bessere Zukunft zu ermöglichen, brechen sie auf in Richtung des riesigen Dünenmeers namens „Amargosa“, das sie von der Zivilisation im Osten trennt. Es kommt, wie es kommen muss: Der Wagen bliebt liegen, die Liebenden werden getrennt. Während Ray alleine in die Wüste hinein wandert, um Hilfe zu holen, landen Luz und Ig in einer kleinen Kolonie von Starrsinnigen und Aussteigern, die an das reale kalifornische Slab City erinnert.
Watkins versteht es, Spannung aufzubauen und ihre Leser mitzureißen – doch wirkt die Handlung von Anfang an zu schwach, zu unterkomplex im Vergleich zum sonnengetränkten, bildmächtigen Opening, beinahe wie nachträglich aufgepfropft im Zuge der Bedingung, dass auch ein Endzeitroman nun mal eine Handlung braucht. Zwar wird die Amargosa in ihrer unwirtlichen, alles verschlingenden Unüberschaubarkeit als ideale Projektionsfläche für Träumer und Verzweifelte angedeutet, doch wird diese Idee kaum entwickelt. Stattdessen beißt sich die Autorin etwas zu sehr fest an bekannten Konstellationen und vorhersehbaren dramatischen Wendungen, die weit mehr als die sperrigen Stories aus „Geister, Cowboys“ gängige Lesererwartungen erfüllen, dafür aber wenig Neues bieten: Die polyamore Hippie-Kolonie, der potente, aber zwielichtige Guru, das unausweichliche Beziehungsdreieck, und im Hintergrund die fiesen Pläne der Mächtigen, die Amargosa-Wüste zum nuklearen Sperrgebiet zu erklären.
Levi, der als Wassersucher und Prophet verehrte Anführer der Kolonie, verführt Luz zum Kauen einer halluzinogenen Wurzel, von der sie schnell abhängig wird, und zieht sie tiefer und tiefer hinein in seine wahnhaften Pläne. Sektenhafte Zusammenschlüsse, angesiedelt irgendwo zwischen Flower-Power und psychopathischer Verblendung, sind noch so ein Thema, das sich durch Watkins‘ Prosa zieht. Verständlicherweise: Ihr Vater war Paul Watkins, Ex-Mitglied der berüchtigten Manson-Family. Gerade weil hier ein Stück Autobiografie mit eingeflossen ist, hat man das Gefühl, die Figur des charismatischen, aber undurchsichtigen Gurus hätte noch weitaus mehr hergegeben. Leider verhakt sich das letzte Drittel des Buches oft in esoterisch-aufgeblasenen Predigten –
Wir beide haben etwas Größeres. Umfassenderes.
– und Dialogen, die klingen, als wären sie bei Selbsterfahrungs-Gruppengesprächen aufgezeichnet worden –
Ich brauchte es, dass du mich brauchtest, das verstehe ich jetzt.
Oder ist hier vielleicht die Übersetzung nicht ganz unschuldig? Liest man von einer
freimütigen und eleganten
Erektion, fragt man sich zumindest, was da wohl im Original gestanden haben mag. Überhaupt wirkt die Übertragung ins Deutsche stellenweise seltsam gehetzt oder lustlos – was schade ist, da auf diese Weise vermutlich nicht nur die Flüssigkeit der Dialoge, sondern auch einiges an Poesie verloren ging.
Trotz des Pathos (ob nun durch schiefe Übersetzungen verstärkt oder nicht) ist der Autorin zugute zu halten, dass sie an keiner Stelle versucht, eine Läuterungsgeschichte zu schreiben oder den anfänglichen Nihilismus in ein künstliches Happyend zu verkehren. So sehr man Luz wünschen mag, ihre selbstbeschworene Schwäche zu überwinden, so sehr ihre Passivität mitunter nerven kann, so glaubwürdig ist sie letztendlich als tragischer Charakter, der nie gelernt hat, vom Symbol zum Protagonisten zu avancieren. „Gold Ruhm Zitrus“ scheint auf ein kitschiges, vorhersehbares Ende zuzusteuern. Doch dann überrascht Watkins mit einem Finale, das einen jener Sätze des Buches zuspitzt, die herausstechen in ihrer düster-romantischen Schönheit:
Was immer sich zu tun lohnt, tut man im Schatten des Todes.
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