Das verschmitzte Grinsen zum herrlich langen Abschied
Non multa — ein Vielschreiber war Philip Larkin allemal nicht, zudem noch sehr selbstkritisch, so daß sein dichterisches Werk nur vier schmale Bände mit insgesamt 117 Titeln umfaßt, wozu ungefähr dreiunddreißig zu Lebzeiten verstreut publizierte Gedichte addiert werden können. Diverse Veröffentlichungen Anfang der neunziger Jahre, v.a. die Biographie von Andrew Motion und die Briefausgabe von Anthony Thwaite, haben eine Debatte um Larkins politische Ansichten, angeblich rassistische Äußerungen und persönliche Eigentümlichkeiten entfacht und zeitweilig an seinem Ruhm gekratzt; nun mögen einige der erhobenen Vorwürfe zwar durchaus berechtigt sein, seine Lyrik bleibt davon zum Glück unberührt, sowohl inhaltlich als auch die Reputation betreffend. Der hohen Wertschätzung Larkins in Großbritannien entspricht allerdings in keiner Weise die Rezeption in Deutschland mit jeweils bloß einer größeren (Auswahl-)Veröffentlichung im ehemaligen Westen wie im ehemaligen Osten. Die Integralübersetzung eines originalen Bandes unterblieb dagegen bislang völlig, was so unverständlich ist wie manche anderen zahlenmäßig nicht eben geringen Versäumnisse im literarischen Bereich. Nun hat sich das kleine Literarische Bureau Christ & Fez der „High Windows“ angenommen und mit einem hübschen Buch in Japanbindung diesen Mangel endlich beseitigt.
Larkins Gedichte zeichnen sich, wie der Übersetzer Richard Glabotki in seinem Nachwort richtig anmerkt, „in Wortschatz und Satzbau durch eine dem Deutschen fremde Kürze aus“, deshalb will seine Übertragung in artistischer Hinsicht erst gar nicht mit dem Original konkurrieren. Dennoch trifft sie den spezifischen Tonfall trotz meist unvermeidlich längerer Zeilen ziemlich genau, ja, ist im Detail manchmal sogar noch etwas eleganter und pointierter, vielleicht weil sie sich einige behutsame und bescheidene Freiheiten erlaubt, die der Vorlage keine Gewalt antun, das Verständnis und den Wohlklang aber unterstützen.
Bereits im ersten Gedicht des Bandes, „Am Meer“, entfaltet sich dieser typische Larkin-Sound, eine verführerische Mischung aus kühler, leicht ironischer (Gegenwarts-)Beschreibung und melancholischer (Vergangenheits-)Betrachtung:
Über die niedrige Mauer zu steigen, die den Asphalt
vom betonierten Weg oberhalb der Küste trennt,
bringt jäh zurück, was man vor langer Zeit kannte —
Fließen hier das Einst und Jetzt im Moment der Epiphanie zu einer neuen Gedichtzeit zusammen, behandeln andere Texte den Verfall der Zeit reflektierender, abstrakter, nicht ohne dem alten Thema eine konzise Form zu geben und, insistiv in beiden Sprachen, zu fordern:
Vergangnes Jahr ist tot, das scheinen sie zu sagen,
fangt ganz neu an, noch mal, ganz neu.(Last year ist dead, they seem to say,
Begin afresh, afresh, afresh.)
Der Begriff „kunstfertige Schlichtheit“ dürfte die Gedichte am besten charakterisieren; sie reden eine klare, nie umständliche, manchmal fast zu schöne Sprache am Rand der Verzweiflung, der Unerfülltheit, die nur leise die Hoffnung auf Hoffnung erklingen läßt. (Und en passant ist es Larkin zudem gelungen, Worte wie „ficken“ und „Arsch“ in Großbritannien lyrikfähig zu machen.) Auf subtile Weise sind die meisten Gedichte des Bandes unterschwellig miteinander verknüpft, der rote Faden verzurrt indessen nicht krampfhaft, was nicht zusammenpaßt, sondern schwebt über den Gedichten wie das immer drohende, immer aufs neue thematisierte Alter, das Verstreichen der Zeit, wobei Eines in Veränderung und Wiederkehr gleich bleibt: die dichterische Wahrnehmung und ihr Notat:
Und die leeren Seiten?
Sollten sie je beschrieben werden,
dann mit wiederkehrendenHimmelsbeobachtungen,
vom Tag, wenn die Bäume kommen,
und wenn die Vögel ziehen.
Der kolloquiale, ironisch behauchte Ton gestattet es Larkin, Zeit- und Gesellschaftskritik zu üben, ohne daß sie moralisierend aufstößt oder einen aufdringlichen Zeigefinger hebt. Das berühmte, titelgebende Gedicht etwa feiert die (durch Pessar & Pille ermöglichte) unbeschwerte Liebe jenseits religiös verbrämter Ängste „wegen der Hölle oder so“; und in „Geld“ wird der Reichtum, der gedankenlose Kaufrausch als Ersatz für Sex, der weder Glück noch Erlösung bringt, ebenso persifliert wie die übermäßige Sparsamkeit — hier ist das Deutsche übrigens deutlicher, schärfer als das Original („I listen to money singing“; „french windows“):
Schrill pfeift das Geld. Mir ist dabei, als blicke man herab
aus breiten, bodentiefen Fenstern auf eine provinzlerische Stadt,
auf Elendsviertel, den Kanal, die Kirchen reich geschmückt
und voller Wahn im Abendlicht. Es ist zutiefst betrüblich.
Die Traurigkeit des Abschieds färbt die meisten Gedichte dieses letzten, elf Jahre vor seinem Tod veröffentlichten Gedichtbands von Philip Larkin ein. Mit der Sorge um das, was man hinterläßt, um Nachleben und Nachwelt, wie sie aus vielen Zeilen hervorstöhnt, hätte sich Larkin wohl kaum nicht quälen müssen, denn unmißverständlich, allen gegen seine Person erhobenen Anwürfen zum Trotz, bleibt seine Lyrik im Gedächtnis, so wie auch der nüchterne, genau registrierende Blick auf die alltäglichsten, in ihrer Banalität schon wieder bedeutsamen Dinge mit leicht amüsiertem Understatement seither nicht gealtert ist.
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