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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Schwellensituation

Hamburg

Wenn die Lage ernst ist, ist es schwierig, ohne die Satire auszukommen, difficile est satiram non scribere (Juvenal; 9-15), immer und gerade dann. Zugleich ist die Ironie das erprobte Mittel, eben jenen Ernst zu treffen, der sich ernstlich nicht mehr fassen ließe, und ihn in den gesellschaftlichen Diskurs zu schmuggeln. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung ist also nach Grabbes berühmtem Stück nun ein Band, den Boris Manner und Oswald Panagl herausgeben, benannt, der genau diesem Spannungsfeld auf den Grund geht.

Wie ungenau unsere Sprache ist, zeigt bald Fritz Schweiger an der Mathematik (17-23). Eine Witzsystematik, die durchaus nicht witzlos ist, steuert Panagl bei (25-41), inklusive „Übertrumpfungswitz” (28), schließlich geht es darum hier ja insbesondere, mit besonderem Gewicht auf jenen, die linguistisch in ihrer Funktion zu erklären sind; Wagner-Trenkwitz geht in der Folge auf die Schönheit der Selbstironie, und der Einsicht ins Vergebliche wie auch jener des Dennoch ein, welche dem jüdischen Witz eignet (43-54). Spannend auch die Frage, wer der Auftraggeber der Kunst nach dem Zeitalter der Gönner und Mäzene sein könne, zumal jener verstörender Kunst (87-104), die „aus der totalen Banalität” (89) hülfe, welche Peter Fritzenwallner als seine Herkunft angibt. Die Operette als Form, die Kitsch wie abgründige Ironie umspannt, wird mit Karl Kraus von Albrecht Gier analysiert (105-120). Doderers System von Unschuld, Schuldunfähigkeit und dergleichen unterzieht Gerald Sommer einem lesenswerten close reading (121-33). In der Schönheit der Verse Ingeborg Bachmanns entdeckt Hans Höller Abgründiges (135-46), mit Wittgenstein und Nestroy wird herauspräpariert, wie das Schöne „Schwellensituation” (139) ist, Ironie, Utopie, das heiter Scheinende, das „hier nicht komisch ist” (Nachlass, Bl. 5199; 146), wie sie Wahrheit und Komik verklammert. Und Uta Degner behandelt Jelineks Satirekunst, die jener Bachmanns mitunter nahestehen dürfte, wo es ums „realistisch-anti-realistische Hybridwesen Satire” (162) geht. (147-62)

So wird die Satire facettenreich auf nicht den, sondern viele Begriffe gebracht, an ein Ende ist nicht zu kommen, es steht zuletzt Alfred Goubrans Text, Aus »Aus« (163-71), nämlich ein Auszug aus seinem Roman. Die Fragen bleiben großteils offen; nein, sie wurden teils erst geöffnet – was wäre angemessener?

Boris Manner (Hg.) · Oswald Panagl (Hg.)
Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung
Lit-Verlag
2015 · 176 Seiten · 29,90 Euro
ISBN:
978-3-643-50692-4

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