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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

„Begehren, das auf »etwas« aus ist”

Hamburg

Volkmar Mühleis’ Annäherung an Jacques Rancière, an das, was Lehrer zu sein, einen Anfang zu machen und Begegnung bedeuten könne, gehört zu jenen Texten, die über den scheinbaren – mit Ressentiment würde man sagen: akademischen – Gegenstand hinaus anregend und wichtig sind.

Höchst lesenswert ist, wie gezeigt wird, daß ein Lehrer Gleichheit zu generieren hat, und zwar in Bezug auf etwas, Emanzipation ist dieser Umweg – und eine Chance, kein Programm. Am Ende steht das Werk des Schülers, das produktive Fragen statt grundlegender Zweifel an seine Qualität gestattet, wenn es das Ende gibt. Und insofern wird Pathos zu Logos, allerdings nicht anders denn als Aufhebung, siehe Hegel. Der Lehrer kommuniziert desgleichen auf diesem Wege – eine Aufführung dessen, worum es geht, Mühleis mit Barenboim:

„The paradox of performance is that the most direct and powerful way to communicate with an audience is to forget that it is there”…

Daran schließen kluge Einlassungen, die auch das Ressentiment, dies oder jenes sei nur akademisch, treffen; etwa zu der Frage, wie elitär Kunst sei, und zwar auch Kunstförderung, die eben dies beheben will. Und, sehr schön, zur Frage, was ein Anfang sei, den ein Ich mache, der aber auch das Ich auszeichne, u.a. mit Waldenfels:

„»Etwas fällt mir ein oder auf« läßt sich in keine Ich- oder Du-Rede und in keine Aktivform überführen. Jede Ichtätigkeit setzt etwas voraus, was keiner Setzung entstammt, sondern einem Begehren, das auf »etwas« aus ist, ohne daß sich sagen ließe, was es ist.”

Hier allerdings dann doch eine Lücke in jenem Buch, die stört, weil man ohne Fichte über genau dieses Moment vielleicht doch nicht schreiben sollte: ohne dessen Schärfe, wo Waldenfels’ Hypotaxen die Setzung grammatisch einem infiniten Regreß aussetzen, gewissermaßen. Schneidender das Rätsel ja im Deutschen Idealismus:

„Das Ich soll sich selbst gleich, und dennoch sich selbst entgegengesetzt seyn. Aber es ist sich gleich in Absicht des Bewusstseyns, das Bewusstseyn ist einig: aber in diesem Bewusstseyn ist gesetzt das absolute Ich, als untheilbar; das Ich hingegen, welchem das Nicht-Ich entgegengesetzt wird, als theilbar. Mithin ist das Ich, insofern ihm ein Nicht-Ich entgegengesetzt wird, selbst entgegengesetzt dem absoluten Ich.”

Wäre hier eine ausführlichere Darstellung mit eben Fichte sinnvoll gewesen, ist aber von dieser Lücke abgesehen das Buch beides: scharf, sozusagen ein Schrapnell in jene Kompetenzen-Pädagogik, die rund und glatt fast alles verspricht und fast nichts weiß, und dann zugleich schon die Ahnung, wieviel mehr als dieses Fast-alles-Ideologem möglich ist. Dementsprechend eine lohnende Lektüre.

Volkmar Mühleis
Der Kunstlehrer Jacotot
Wilhelm Fink Verlag
2016 · 204 Seiten · 24,90 Euro
ISBN:
978-3-7705-6118-6

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