Fakten – ein Nachtrag
Unlängst gestattete ich mir die Frage, wie sinnvoll der Begriff des Postfaktischen sei.1 Damit verbunden ist natürlich die Frage, was Fakten seien – wodurch unterscheidet sich irgendeine Behauptung vom Faktischen?
Das Wort selbst macht es einem dabei nicht leicht, factum, das Gemachte: da wird man entweder den Witz sich nicht verkneifen können, daß Faktum als das Gemachte das ist, was an Informationen … verdaut … wurde. Analog zu Karl Kraus’ Bild, daß zuerst einmal „die Lehrer verdauen”, was dann „die Schüler (essen)”, verhält es sich mit den Fakten Generierenden und ihren Konsumenten…
… oder man wird nachhaken, ob es einer Methode gemäß zu machen sei, was dann – epistemologisch – factum sei. Wie diese Methode aussehe, wie man an der Epistemologie partizipieren müßte, um nicht nur Gemachtes zu konsumieren. Man wird beispielsweise nicht jede Krankheit als Faktum behandeln dürfen, ohne sich zu fragen, wer sie diagnostizierte, „we value diversity and individuality”, aber wir operieren mitunter mit von Nazi-Ärzten geschaffenen Begriffen, deren „persistence” vorsichtig formuliert erstaunlich sei, wie beispielsweise Edith Sheffer unlängst in einer Fallstudie zeigte…2
Oder fragen, ob im Faktum das Wahrheit berühre, was unterlaufe, was mit der Methode in Friktion gerät, etwas andeutet, was der Methode so zu nicht anzusehen gewesen wäre.
Zum Beispiel: Als einem Historiker (… irgendeiner … was sind schon Fakten…), der wissen wollte, wie der Widerstand gegen das Dritte Reich konkret in einer Region ausgesehen habe, man die wichtigen Archive nicht öffnete, aber zur Vertuschung der Vertröstungsstrategie Zugang zu den Aufzeichnungen der regionalen Feuerwehren verschaffte, verzeichnete er schließlich dort einen „Mangel” an Anschlägen, die belegt hätten, daß es Widerstand gegeben habe. Das ist methodisch kohärent, es war aber zunächst nicht sein Plan, in dieser Recherche vorzugehen – und schon gar nicht war das so beabsichtigt bei jenen, die, was sie wohl geahnten, nicht offenzulegen gedachten, es war ihr Lapsus3.
Und falls das nun erfunden sein sollte, dann kann man es dennoch überprüfen. Nein, das führt alles natürlich schon fast zu weit; einen Schritt zurück:
Wenn Nachrichten immer mehr auf Fakten verkürzt werden, ohne die Fragen, wie man sie generiert habe, was ihre Aussagekraft ausmache, wodurch Fiktion und Faktum sich unterscheiden könnten, und zwar eben ohne Fetischisierung der Faktizität und mit einem Blick auf „Faktizität als Fantasy”4, wird man dem „Lügenpresse!”-Geschrei nicht beikommen. Und wenn man, wo es Fakten gibt, aus diesen Sachzwänge ableitet, verzichtet man auf das, was Politik ist: nämlich das Abstimmen darüber, was sich aus Fakten ableite, und dies sowohl in Hinsicht auf deren Bedeutung als auch in in Bezug darauf, was wünschbar sei. Was man bei affektiv stark besetzten Begriffen leicht vergißt: Sicherheit, beispielsweise. Die gibt es nicht, schade eigentlich, man kann manches sicherer machen, aber ein Zustand, der in Sicherheit gerinnt, wäre dann gegeben, wenn nichts mehr verloren werden kann … was auf vertrackte Weise den Empfehlungen der Waffenlobby entspricht, ist alles zerstört und jeder getötet, kann niemand mehr beweinen, was niemand mehr verlieren kann…
Wir brauchen Fakten; wir brauchen aber auch Kriterien für Faktizität und einen sinnvollen Umgang mit ihnen.
- 1. http://www.fixpoetry.com/feuilleton/essays/martin-a-hainz/postfaktisch
- 2. https://history.stanford.edu/publications/soulless-children-reich-hans-a...
- 3. https://www.verlag-koenigshausen-neumann.de/product_info.php/info/p7781_...
- 4. http://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/hans-juergen-balmes-joerg-b...
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