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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Reflexionen und Maximen

Hamburg

Andy Fierens ist ein flämischer Lyriker, dessen Werk/ Output eng mit dem Bühnenvortrag verbunden ist. Solcherart steht er dem slam und dem social beat nahe. Seine beiden Bände Großer schmieriger Schmetterling und Wonderbras & Pfefferspray von 2009 resp. 2014 sind diesen Herbst auf Deutsch im Verlag Das Wunderhorn erschienen, zusammengefasst unter dem eigentümlichen Titel Gambaviecher in fetter Tunke. Er erinnert an die extravagante Titelsprache eines Dimitri Verhulst, der unter anderem Die Beschissenheit der Dinge, Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten oder Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau erfunden hat. Fierens, dem eine beeindruckende Bühnenpersona nachgesagt wird, strotzt in seinen Versen vor Selbstbewusstsein, das in jedem Fall durch sein äußerliches Charisma und die Art des Vortrags unterstützt wird, aber für sich genommen, streng nur auf dem Papier, nicht immer sattelfest ist. Viel wird auf der sprachlichen Senftube ausgerutscht, gepöbelt, geschmiert und mit Fettfingern betatscht, scheint's. Die Gedichte in Großer schmieriger Schmetterling wirken schnell geschrieben, vielleicht runtergehauen. Das kann man machen, muss man aber nicht. Häufig landen ganze Passagen im Witzebuch, andere liest und vergisst man noch schneller, als sie geschrieben worden sind.

 

 

Dennoch: Andy Fierens besitzt etwas. Dieses etwas ist vollkommen klar, in jedem Gedicht. Es ist eine reife, originelle Frechheit, die in anarchischen Passagen aus gut getimter Dada-Explosion zu köstlichen Früchten kommt. Unkenntlich und deswegen absolut das Gegenteil von einem ernsthaften, aufklärerischen, sich selbst abgerungenen „So ist’s“-Buch wie La Rochefoucaulds Reflexionen und Maximen, das natürlich keinen Deut mehr an objektiver Wahrheit zu enthüllen vermag als die Gambaviecher, obwohl es seit 1664 so tut und jedes Jahr Nachfolger erzeugt hat, kommt Fierens in allen seiner Gedichte, ungefähr zwei- bis dreimal, zu selbst erarbeiteten, unsinnigen, parodistischen absurdistischen Quatsch-Reflexionen und Maximen. Seine „Weisheiten“, die auch stets so angekündigt werden („fest steht,…“), sind wie goldige Eisbrecher in Zeiten eines omnipräsenten Ratsuchens in allen Teilen der Gesellschaft angesichts (scheinbar) zunehmender Verkomplizierung des Lebens und immer akuter werdendem Verlernen und Unverständnis gegenüber elementarsten Bedürfnissen wie Ernährung, der Erziehung von Kindern zu Glück und Erschöpfung und bis zur quälenden Frage: Wo hab ich bloß meine Hand hingelegt? Fierens stellt wie ein Hofnarr seine gebastelt wirkenden adhoc-Regeln auf, aber in Wirklichkeit stecken hier Spiegel und Anti-Witz von ganz und gar bösen Kommentaren auf den Ist-Zustand der Welt. Aus Großer schmieriger Schmetterling:

„du sollst niemanden zwingen nackt
eine mit schmirgelpapier beklebte
rutsche herunterzugleiten“

„wenn sich sonst irgendwer rasiert ist er angesagt
Wenn ich mich rasiere habe ich eine kahle lippe“

„irgendwo
gibt es jemanden
der mir das glück schenken kann

solange ich
ein gesicht habe
hat sie einen platz

um sich zu setzen“

„der eine gäbe dir kein wasser auch wenn dein haar brennen würde
der andere würde dein haar anzünden
wenn er wüsste dass kein mensch kommt um es zu löschen“

„ich weiß ja nicht ob du jemals ein tim-und-struppi-heft gelesen hast
aber tim in tibet ist das einzige
in dem tim jemals geheult hat“

„und die haare auf meinem rücken
sind ein dorn im auge
der kahlen männer“

„aber fakten bleiben fakten
der himmel ist blau
krebs ist hip“

„schnupfe studentenfutter
dann bist du eine rassel“

„nur weil dicke kinder
schwieriger zu kidnappen sind

bedeutet das nicht dass du deine nachkommen
mästen musst.“

Der zweite Teil Wonderbras & Pfefferspray ist anders. Es ist derselbe Andy-Fierens-Sprech mit seiner teilweise fast aufgesetzten ich-bin-depri-aber-lieber-so-als-wie-ihr-Attitüde, allerdings noch ein Stück hysterischer, paranoider, unkontrollierter und auch skrupelloser als im ersten Teil. Fierens macht keinen Hehl aus seiner Verehrung von Sci-Fi à la Burroughs, Trash-Verbeugungen an Tom Six‘ Human Centipede (Raupe im Maßanzug) und Beatnik-Geschnatter, ist aber dennoch abgeklärter und seriöser hierbei.

„schwierige insel

[…]
manchmal bin ich
so glücklich
wie ein deutscher
der in der gosse
einen sack
voller umlaute
gefunden hat

aber
meistens
nicht

[…]“

Kerngedicht ist das seitenlange, derbe Poem nie werden wir irgendwo eingeladen, das in seinem treibenden Rhythmus Explosion an Explosion reiht, manchmal etwas ziellos Metaphern wie Geschosse im Dauerfeuermodus loslässt und schnell in einen macho-paukenden Schwall schlittert, das aber dennoch auch viele zündende Ideen und zum Innehalten zwingende Momente abschleudert. Danach verflacht der Band etwas. Aber alleine nie werden wir irgendwo eingeladen lohnt sich.

Anmerkung der Redaktion: Um den Text in der Originallänge der Zeilen darzustellen, haben wir die Form der Lightbox am Ende des Beitrags gewählt. Klicken Sie auf das Rädchen oben rechts für eine optimale Lesbarkeit. Danke!

Man sollte sich auf Fierens einlassen. Man sollte keine Formalia-Wut erwarten, er schreibt und macht den Umbruch wie es ihm gefällt, er schreibt alles klein, aber ansonsten ist seine Dichtung eine Auswahl aus alles-ist-möglich-und-indem-ich-es-aufschreibe-geschieht-es, also eher ein Einfrieren des status quo von frei fließenden Wort(an)fällen und Stromschnellen. Es ist hierbei völlig subjektiv, welche Passagen berühren, welche angehen, welche abweisen. Mit Sicherheit ist Fierens ein großer Performer und durch die inhärente Dramaturgie vieler Gedichte ist klar, dass sie auf der Bühne mitreißend funktionieren werden. Als Lyriker unter Lyrikern wird Fierens eher ein Außenseiter bleiben. (Was nichts Schlechtes ist)

 

Andy Fierens
Gambaviecher in fetter Tunke
Aus dem Flämischen von Stefan Wieczorek
Wunderhorn
2016 · 96 Seiten · 18,90 Euro
ISBN:
978-3-88423-526-3

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