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Kritik

Kuhle Demokratie in der Pornojacke

Hamburg

Diese Gedichte sind anders, anders zeitgenössisch. Den beim Lesen der ersten Textes dieses Bandes aufkommenden Verdacht, hier demonstriere ein Dichter seine irgendwie postmoderne Coolness, durchkreuzt schon bald die Erkenntnis, dass diese einnehmende Lässigkeit im Jargon die Tarnkappe einer popkulturell wie philosophisch fundierten existentiellen und intellektuellen Arbeit ist; auf diese innere Struktur der Wirkung der Poetik Tibor Schneiders macht auch Monika Rinck in ihrem Vorwort aufmerksam. Ein solches, im besten Sinne närrisches, die eigenen ideologischen und poetologischen Voraussetzungen zugleich vorführendes und verfremdendes Konzept, ermöglicht Tibor Schneider in seinem ersten Gedichtband die Schaffung hochgradig hybrider Gebilde. Die Dialektik dieser Texte irritiert den Leser von Beginn an auf enorm verlockende Weise: Die Coolness des scheinbar beiläufigen Parlandos wird durch zahlreiche, teils explizite, teils verdeckte Verweise auf das Denken Hegels sowie die Gedichte Paul Celans zugleich gebrochen und fundiert. Ein solches Verfahren ist natürlich nicht ohne Vorbilder in der modernen und zeitgenössischen Poesie; in dieser Hinsicht singulär sind nach wie vor die Gedichte Thomas Klings. Doch bereits Rilke arbeitete, besonders in den bekannten späten Zyklen wie den Duineser Elegien und den Sonetten an Orpheus, an der Durchkreuzung seines zunehmend die Realien der Dingwelt abstrahierenden Idioms anhand einer Einbettung banaler, gebrauchssprachlicher Ausdrucksweisen; ein in hohem Maße kritische poetische Methode, die in den bereits erwähnten Gedichten Celans, speziell jener der letzten drei Gedichtbände, in noch härterer und kühnerer Form weiterentwickelt wurde. Eine zeitgenössische, in einem Gedicht ausdrücklich adressierte Referenz für die Vorgehensweise Tibor Schneiders ist die Poetologie Ron Winklers, der, ähnlich wie Schneider, durch die Verflechtung heterogenster Diskurse in die eigenen Gedichte eine vergleichbar bipolare Wirkung erreicht. Eine signifikante Differenz scheint mir darin zu bestehen, dass Schneider aus der Dialektik seiner Gedichte heraus eine gewissermaßen höhere Albernheit erreicht, gipfelnd in rätselhaft lustigen Zeilen wie & und in deiner / neuen pornojacke herrscht kuhle demokratie. Kritisch sei angemerkt, dass seitens des Verlages ein nüchterneres, die Gedichte purer darstellendes Buchdesign nötig gewesen wäre, um beim potentiellen Leser des Bandes nicht von vornherein den falschen Eindruck zu erwecken, es handele sich bei diesen Gedichten bloß um oberflächlige Parodien zeitgenössischen Dichtens.

Tibor Schneider
zimt fuer deutschland
[RE]DADA//GE::DICHTE
Größenwahn Verlag
2016 · 110 Seiten · 12,99 Euro

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