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Kritik

Mit Glück wird so ein Schuh draus

Hamburg

Am Anfang muß Glück gewesen sein: „In meinem Körper/bin ich die Nummer 1”, sagt das lyrische Ich in Schuhs den Band eröffnendem Gedicht Liebkind, das anblickend aber Mutter Vater und Vater Mutter sehen: „Und alle beiden sehen/die Nummer 1.” Zumindest wenig Glück brauche es, Zufall ist Denken, wo er soviel „Glück” hat, daß er „dem unvermeidlichen Unglück trotzen” kann, so – in etwa – sagt’s Schuh.

Aus diesem „Lebenslauf, der „auf Glück (oder auf das, was »Glück« genannt wird), angewiesen ist” und davon auch hinreichend hatte, kommt Schuh auf eben jenen Begriff. So auf die erste Aporie, die schon angedeutet ist: daß man Glück will, „sich aber aufs Glück nicht verlassen” – und gar dies „müssen”...

Dem folgen wunderbare Texte,  Essays, die denken und das Denken wunderbar inszenieren, Gedichte, die zwischen Ironie und dem angeblich Poetischen changieren, allerdings auch Texte, die entweder Grundlagenkenntnisse einmahnend repetieren – Schopenhauer wird so geboten, daß es fürs Lehrbuch einer kompetenzorientierten Mittelschulphilosophie paßte – oder aber selbst riskant sind.

Dieses manchmal ins Komische umschlagende Moment Schuhs wäre längst einmal zu untersuchen: mir fiel es erstmals wohl 2000 an seinem Band Schreibkräfte auf, wo er nämlich die Vertraulichkeit Hellmuth Karaseks in einem eigentlich schon humorlosen Spott abkanzelte, da dessen Zitierpraxis verräterisch sei: der da nämlich „Karl Krauss (sic!)” kannte – worauf Schuh in ironisch-verächtlich »Helmut« Karasek schreibt. Andererseits zitierte Schuh dann Michel Serres in diesem Buch, beraubte Serres aber jenes s, das eben noch eines zuviel war: „Serre”, mit Nonchalance referiert. – Weil dies aber eine Rezension und keine Seminararbeit ist, sei es nur vermerkt. Und wenn Schuh schreibt, es könne der „messerscharfe[n] Verstand” benutzt werden, und zwar auch „zur Schärfung” der „Paranoia”, mit der man „nicht immer nur falsch” liege, dann ist man genau an diesem Kipppunkt, dann sieht man recht genau, warum er bei Karasek beckmesserisch wirkte, es aber vielleicht nicht war, und daß andererseits an seinem Schreiben meist „spießig die Hybris” wäre, mit der man derlei ihm nachweisen wollte.

Vielleicht etwa, weil er schonungslos dabei auch gegen sich ist; ironisch, aber von einer großen Wärme, das ist Schuh, vor allem, wenn er sich empört, wenn ihn „der Schiach” ankommt, wie er da Wienerisch werdend sagt, weil etwa das Gesunde das Kranke simuliert, es vereinnahmt, etwa auf der Bühne – derlei bringe ihn „auf die Idee eines Bilderverbots.” Das eine denkt Schuh dagegen durchs andere, gegen den „Spaß an der Freude”, für einen Materialismus, für den Brecht sich „formal ans Kirchenlied” hielt. Er denkt und schreibt wider das Totale, noch das verordnete Lachen: „Ja, hätten sie geweint, hätte ich vielleicht gelacht”, so Schuh – solche Sätze, riskant, scharf und genau, findet man bei ihm nicht selten, hier gegen eine Glückskompetenz, die es schon in den Schulunterricht brachte, während er zuweilen im Formalen, das für ihn nur formal ist, wie angedeutet nachlässig sein kann.

Möglicherweise es sein muß; vorletzte Lockerung zu dem, was dann glückt; Glück – das ist ja, und zwar manchmal in einer Person so gegeben, „Zerbrechlichkeit und Kraft”, „Phantasie und Selbstzucht”, wie er mit Thomas Manns Felix Krull formuliert, er ist Essayist, noch wo es ad fontes ginge. Das legt seine Notiz zu Kraus nahe, eben jenem, dessen berühmten Satz zu Hitler er so erklärt:

„Jedoch mit der Souveränität ist es zu Ende. Ihre letzten Reste werden in die Begründung ihrer Unmöglichkeit investiert.”

Souveränität ist keine Kompetenz, darum dieses oft problematisch Freie, das so problematisch nicht ist; das eher das Problematische zu sagen sich die Freiheit nimmt. Die sich und alle „überraschende Zäsur” ist die Schlampigkeit, die eben nicht nur dies ist, aus dem Rücktritt Benedikt XVI. wie aus Kraus’ Manöver gelesen. Der Virtuose dagegen agiert einen „Hass auf das Nichtige” aus – und vielleicht beantwortet das die Fragestellung der Nicht-Seminararbeit dann, daß es gar nicht um den Fehler Karaseks ging, sondern um die Glätte rundum, an der nur dieser Fehler lesbar noch war, das, was ahnen ließ, welche andere Art von Schlampigkeit hier walte, nämlich eine der leeren Virtuosität dienende – sie „erwärmt kein Ding der Welt”, um die Wärme Schuhs ex negativo bei ihm formuliert zu zitieren. Im Virtuosen ist etwas Hinfälliges, das „wirklich hin(fallen)” könne, „ganz tief”; Schuh dagegen imaginiert den Gang zur Bibliothek mit dem Sofa:

„So ein Bibliotheksbesitzer konnte bei sich daheim vom Sofa ausfstehen und ein Buch von Musil oder von Kant oder von Kraus oder von Broch aus dem Regal nehmen. Wieder zurück im Sofa, konnte der Besitzer sein Buch aufschlagen und auf eine Stelle hinweisen, die ihm etwas bedeutete.”

Das ist die Dysfunktion auch schon, die das verteidigt, was das Recht hat, nicht mehr zu funktionieren, vielleicht als Anklage: Wer wollte davongekommen sein, heil, wenn alles ist, wie es ist, wenn das Glück schwierig ist, durch die Zeit, in der man lebt aber fast unmöglich..? Von einer „kapriziösen Gebrauchsgestörtheit” schrieb vor Jahren in einem schönen Essay mit dem Titel Genealogisch denken Karl Thomas Petersen, ähnlich schreibt Schuh hier gegen das „Wegtherapieren”, das Symptome der Krankheit der Zeit maskiere, statt, wie es suggeriert, einen Leidenden zu heilen. „»Abnehmen und Bewegung machen«”, sage man ihm „automatisch”, beweglich aber ist er in seinem Empfinden und Denken, das sich dagegen verwehrt.

Manches paßt nicht, manches „Unpassende” ist aber auch „zum Passenden aufgestiegen”, das kann ein Glück oder ein Unglück sein. „Glücksversprecher” können ja auch unpassend wie Schuh sein, leider indes ebenso Trump, wobei das Versprechen als Lapsus die Wahrheit der Verheißung sein mag – man könne „vor Glück [...] unglücklich” werden, so Schuh. Glück: auszuhalten, sich nicht zu wichtig zu nehmen, aber auch nicht so unwichtig, daß Unwichtigeres zu wichtig schiene.

„Mein Pullover hat Löcher
mein Pullover hat Flecken
Könnte man die Löcher
in die Flecken stecken
oder die Flecken
in die Löcher stecken
dann wäre eh alles in Ordnung.”

„Lachen” – mit Kant! – ist zuweilen die Antwort; und zwar eine, die Zähnefletschen und Lächeln sein mag, Notwehr nach außen, mit einem Schuß Resignation nach innen. Vieles ist hier möglich. Zum Beispiel das Glück der Optionalität im Schreiben Schuhs: „Falsifikation – das ist das Glück” mitunter. Dem setze man sich aus, wie sich Schuh ihm aussetzt, ein unrunder Schluß hier, aber wann wäre, was glückte, ganz rund gewesen, ganz glatt? So aber wird ein Schuh draus.

Franz Schuh
Fortuna
Aus dem Magazin des Glücks
Zsolnay
2017 · 256 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-552-05820-0

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