Da fragt man sich schon
Ein eingelegtes Lesezeichen des Hanser Berlin Verlages verspricht: „Sie werden über dieses Buch sprechen wollen.“ Über Noemi Schneiders „Das wissen wir schon“. Tja, der Titel sagt es eigentlich schon. Was drin steht, wissen wir schon. Und ich will eigentlich nicht über dieses Buch sprechen, sondern ich muss. Weil ich es mir ausgesucht habe. Schöner Widerspruch. Nun, ich bestelle mir Bücher zum Besprechen nicht blind. Ich schaue mich im Netz ein bisschen um und finde, dass die 1982 geborene Noemi Schneider als Absolventin der Hochschule für Film und Fernsehen München 2013 einen Dokumentarfilm über die israelisch-palästinensische Fußballspielerin Walaa Hussein gedreht hat: „Walaa“. Auch als Buch veröffentlicht: „Kick it, Walaa“. Und da dachte ich mir trotz des etwas lahmen Titels – Das wissen wir schon – interessant, sie hat bestimmt was zu erzählen.
Aber das Lesen der 190 Seiten wurde zum Ausdauersport: Durchhalten. Warum? Es liegt weniger am Thema. Warum nicht eine Mittdreißigerin zur Protagonistin, die eine kiffende weltverändernwollende Mutter hat und selbst nicht so recht etwas mit ihrem Leben anzufangen weiß. Prototyp einer gut ausgebildeten Generation, die ihren Platz im Leben nicht finden kann. Die als fertig ausgebildete Filmregisseurin ständig super ausgearbeitete Exposés verschickt, um dann von den Produktionsfirmen doch abgelehnt zu werden: „Interessant. Dafür haben wir leider gerade keine. Passt irgendwie nicht in unser.“ Das ermüdet auch die Protagonistin.
Die weltverändernwollende hyperaktive Mutter nimmt Flüchtlinge auf und bietet einem mit Abschiebung bedrohten Dschihadisten Unterschlupf, schließlich ist er lange integriert. Für die von den Ablehnungen erschöpfte und sich nach einer Auszeit sehnende Tochter ist kein Platz mehr im Haus der Mutter. Warum nicht eine solche konfliktträchtige Ausgangssituation für einen „Gesellschaftsroman“, wie im Klappentext versprochen. Doch er wird nicht einfach nur als Gesellschaftsroman bezeichnet, sondern als „fabelhaft ausgelassen“. Anscheinend braucht es für diesen modernen Seitenzweig des Romangenres keinen Plot. Denn den gibt es in „Das wissen wir schon“ nicht. Es sind einfach Witzeleien aneinandergereiht, schön skurril natürlich. In unendlichem WG-Geschnassel werden sämtliche Schlagzeilen aus der Entstehungszeit des Romans, 2016, durchgekaut, von Böhmermann bis Trump. Zwei, nur „die Nichten“, genannte Kinder kalauern und googeln sich als satirische Nebenfiguren altklug durch das Buch, sie sollen wohl sinnbildlich für die nächste gebildete aber keinen Halt findende Generation stehen. Die Eltern der Nichten leben zeitgemäß getrennt, das Alter der Nichten scheint unwichtig, mal interessieren sie sich für Heidi Klum, dann lesen sie „Krieg und Frieden“, bauen eine Mauer oder heben die Arme zum Hitlergruß und behaupten, das sei Kunst. Die Ich-Erzählerin ohne Namen versucht den Dschihadisten im Haus ihrer Mutter von seinem Hungerstreik abzubringen, füttert dessen Nerz-Nagetier, empfängt weiter Ablehnungen und betreut immer wieder die für witzige Einlagen vorgesehenen „Nichten“. Schließlich gibt es noch eine Figur – die „Freiheit“, „winzig und fast durchsichtig“. Sie hat Angst vor den Nichten. Und so weiter. Diese Replik mit der personifizierten Freiheit ist nicht etwa ein in die Handlung eingeflochtener Traum. Sie ist oder soll Handlung sein. Sofern der Roman den Anspruch einer Handlung hat. Denn er endet plötzlich mit einem Happy End oder einer Pseudo-Vision im Wald bei einem Holzhacker oder –händler: „Wir schaffen den Kapitalismus ab und pflanzen Apfelbäume. Wir machen es besser. Wir betrügen und belügen uns nicht.“ Und damit der Leser auch weiß, wie das Ganze finanziert wird: „Wir erben“.
Die Schlussszene mit Licht und Musik unterlegt, wie im Film, dem eigentlichen Metier der Autorin. Nun weiß der bis dahin durchhaltende Leser, das Ganze ist ein Fake, ein Spaß. Und doch wird zu Beginn des Buches ein Gewicht auf die Waage gelegt. Die Autorin stellt ein „Zitat“ von Immanuel Kant voran: Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Zitat in Anführungsstrichen, da Kant die Kernfragen seiner Philosophie in der ersten Person stellt: Was kann ich wissen? Was kann ich tun? Was darf ich hoffen? Wie ernst es der Autorin mit diesen Fragen ist, zeigt nicht nur der lasche Umgang mit dem Zitat (ist das keinem Lektor aufgefallen?), sondern die Antwort Noemi Schneiders in einem Interview mit dem WDR auf die letzte Frage: Alles. – Wir dürfen also alles hoffen. So schön allgemein, so nichtssagend ist auch der Roman. Das wissen wir schon – wenn man den Titel gegen die unrichtig wiedergegebenen Kant-Fragen stellt, fragt man sich schon, ob man einfach alles machen kann, wenn man dem Ganzen nur ein tiefsinniges Motto unter schwergewichtigem Namen voranstellt und der Verlag das mit ausgesuchten Blasen auf den Markt dirigiert.
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