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Kritik

diner von such

Hamburg

Mara Genschel hat ein neues Buch geschrieben gesimst, und genau genommen (und wie nicht anders zu erwarten) ist es auch kein Buch, sondern ein Urs Engelersches roughbook (Nr. 042, erschienen: Januar 2017), also wörtlich genommen ein „Schmierbuch“, und in der Frage, wie man mit SMS „schmieren“ kann, liegt wohl bereits die erste Pikanterie. „Cute Gedanken“, wie das 96seitige Werk heißt, beruht auf Dreizeilern, die M. G. mit ihrem „preiswerten amerikanischen Mobiltelefon“ während der 75 Tage eines Stipendiums – im Herbst 2016 – in Iowa City (genaue Adresse und Tel. Nr. des Handys dem roughbook entnehmbar) nach Europa geschickt hat. Dank der „rustikalen Korrekturfunktion“, wie es im Vorwort heißt, attestiert sich M. G. den damit verfaßten, deutsch gemeinten, aber amerikanisch umprogrammierten Texten, deren „ich mich nicht schämen musste, da das Gerät mich um immer noch eine Peinlichkeit oder Dummheit übertraf“, selbst „Gedichtförmigkeit“. Manchmal bestehen diese Tagebucheinträge aus einem einzigen Wort (wie am Tag 16), manchmal, wie an Tag 53, als sie mit einem „♥“ genannten Begleiter einen romantischen Ausflug macht, aus 17 Strophen (SMS). Die Buch- roughbook-Form ermöglicht es, in diesen Aufzeichnungen M. G.s als „nationale Repräsentantin“ bzw. „Amerikanerin auf Zeit“ zu blättern, doch unterlaufen die Nachrichten teilweise selbst die Chronologie, wie gleich zu Beginn, als Tag eins (1) auf null (0) zurückspringt:

    1
    Am ersten Tag ist ja nie viel
    Los

    0
    Nicht?

Das gibt den spielerisch-ironischen Modus vor, in dem man sich vor allem an den ‚Korrekturen‘ der Apparatur ergötzen kann. Passieren tut nämlich nicht besonders viel: am Anfang knobelt sie „eine cute / Performance as“ („aus“ kennt das Handy nicht), dann kommt inhaltlich lange nichts mehr: „Denn ich war nun rest / mal nicht mehr dean…“

Als Leser versucht man zu Beginn, die Ergebnisse der anglophonen Rechtschreibprüfung („erst“ zu „rest“, „dran“ zu „dean“) noch rückgängig zu machen. Mehr und mehr entfaltet sich diese sprachliche Verhohnepipelung jedoch zur eigenen Kunstform, und man ist, bei Tag 73 angelangt, nicht mehr sonderlich interessiert daran, die Buchstabenbündel „Be is / tell to sch chen“ als „Beistelltischchen“ zu dechiffrieren. Der nervtötend-amüsanten Selbstreflexion des Mediums entsprechen semantische Versuche der Autorin, ihre Rolle zu reflektieren („Stets klatschten // alle.“ Tag 3) oder mit einem burmesischen Autor, der im Gefängnis gesessen hatte (ein Text mit vielen Streichungen), politisch zu diskutieren: „DA mm acgte ich natürlich / keine allzu cute Figure.“ (Tag 29) An Tag 42 scheint der Tiefpunkt erreicht gewesen zu sein, denn hier (S. 58) steht kein Wort. Am darauffolgenden Tag kommentiert sie ironisch:

Stille, nur an und an last
eine ungeschickte Student
in MIT GC eduschten

Haaren ihr Iphone fallen.

Als Verweigerungskünstlerin, die stets die Bedingungen von und für Literatur auslotet, hat sie es inmitten ihrer 35 eher auf oberflächlichen Erfolg getrimmten Kollegen in Iowa nicht leicht. Das gipfelt etwa in einer Selbstbezichtigung wie am Tag 63, der durch Anführungszeichen Zitatcharakter verliehen wird:

„Ich bin doch nur die blöde
Generälin does deutschen
Avant garde time leu und

genauso w I rd das auch verstaut!“

Formal ist das roughbook wohl als eine Fortsetzung der inzwischen vergriffenen (über das Internet ausleihbaren!) sechs Folgen von M. G.s „Referenzfläche“ (Nr. 0# bis 5#) zu sehen, wobei den Part des ‚präparierten Klaviers‘ das unbestimmbare, weil immer falsch gestimmte Mobiltelefon übernimmt. An Tag 70 kann sie denn auch zum ironischen Resümee ansetzen: „Derart zogen die Tags ins / Land und derart näherten / Such Mir die finalen Visionen“.

Mara Genschel bleibt sich treu: nicht mehr musikalisch zerbrochene Lyrik, keine textuellen Anwürfe auf leere weiße DIN-A5-Seiten (wie in den „Referenzflächen“) – in ihrem „Schmierbuch“ wird die vorprogrammierte Apparatur selbst zur Künstlerin. Der Effekt ist verblüffend – wer Spaß hat an Sprache, sieht in ihrer – gut gemeinten – Zersetzung eine Art von Humor am Werk. „Ich bin diner / von such.“ Wer hätte gedacht, daß Mara Genschel sich mit so klaren Worten zu den Poeten bekennt! (Der Rezensent hat Tintenflecken an den Fingern.)

 

Handschriftlicher Auszug: Arbeitsprobe Rezension von Patrick Wilden

Mara Genschel
Cute Gedanken
roughbooks
2017 · 96 Seiten · 10,00 Euro

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