Von der Dekonstruktion des Rebhuhns als Partitur
Michael Fehr, der 2014 für viele überraschend den zweiten Preis beim Bachmann-Wettbewerb zugesprochen bekam, ist ein Autor, dessen Texte sich einer unmittelbaren Einordnung entziehen. Das mag nun ein wenig wie eine Binsenweisheit klingen, denn gute Literatur zeichnet sich ja in der Regel eben gerade durch den kontrollierten Regelbruch aus und geht nicht selten auch mit einer tendenziellen Uneindeutigkeit des Aussagegehaltes einher; doch bei Michael Fehrs neuen Texten im soeben erschienenen Band "Glanz und Schatten" setzt die Verwirrung der Leserschaft schon bei der Frage ein, mit welcher Sorte an Geschriebenem sie da eigentlich konfrontiert wird: Der Einband verspricht "Erzählungen", der linksbündige Flattersatz weist hingegen eher darauf hin, dass es sich um eine Art von in Versen unterschiedlicher Länge verfassten Langgedichten handeln könnte.
Dieser scheinbare Widerspruch löst sich bei der Lektüre auch nie ganz auf und verleiht den achtzehn Texten eine optische Komponente, die sie bei aller narrativer Grundstimmung und -ausrichtung vom reinen Erzähltext abhebt und ein klein wenig dafür entschädigt, dass sie letztlich in der Darreichungsform des Buches nur gelesen und nicht gehört werden können, außer man läse sie sich selbst laut vor. Denn diese Sprachgebilde Michael Fehrs sind von einer unablässig wirksamen Rhythmik durchzogen, die das Entstandene auf einer bestimmten Ebene viel mehr zu Lyrik machen als manch andere explizit als Gedicht gemeinte sprachliche Hervorbringung unserer Tage. Manche Texte, wie beispielsweise "Ein Rebhuhn auseinandernehmen", sind streng dialogisch aufgebaut und haben damit auch eine unübersehbare dramatische Komponente - es verwundert kaum, dass sie wie die am Ende des Buches befindlichen Quellenhinweise vermerken im Vorfeld bereits zu einem Hörspiel verarbeitet wurden. Alle drei Gattungen - Epik, Lyrik, Drama - haben also ihren Anteil an Michael Fehrs "Glanz und Schatten". Wenn sich Autor und Lektorin (Barbara Berger) nachvollziehbar dafür entschieden haben, das entstandene Werk dennoch eindeutig als Erzählungen zu bezeichnen, dann vielleicht deswegen, weil in allen Texten sowohl Erzählinstanzen als auch Ereignisse zu finden sind.
Diese Ereignisse sind von ganz unterschiedlicher Art: einmal wird auf fabelartige Weise von einem alten Mann und seinem Dialog mit einer giftigen Schlange berichtet ("Die Königin im Wald"), ein andermal in Form einer rhythmisch vertrackten Suada von einer jungen Frau, die sich vorstellt, wie sich ihr derzeitiges sexuell freizügiges Leben nach und nach in bürgerlich-konsumorientierte Erstarrung verwandeln wird ("Die Studentin"); In "Babel" wird der Einsturz des Turmes aus der Sicht des Architekten thematisiert, in "Welch Einfall" mittels einer ironischen Paraphrase des Narrativs vom "Schoß der Familie" die unerträgliche Langweile alltäglichen Zusammenlebens.
Die stilistische Klammer um all diese unterschiedlichen Plots sind Ironie und der allgegenwärtige Einbruch des Absurden in das Geschehen. Durch eine mitunter leicht historisierende, von häufig wiederaufgenommenen und variierten Motiven durchzogene Diktion, die mit Lautfolgen und -kombinationen wie mit Pinsel und Farben umzugehen scheint, Nuancen abmischt und mit wenigen Worten Charaktere zum Leuchten bringt, schafft es Michael Fehr, je nach Intention und Text tendenziell Heiterkeit, Befremden oder auch Abscheu und Unbehagen zu erzeugen. Diese innere Spannung, von exemplarischer Dichtheit beispielsweise in der Titelerzählung "Glanz und Schatten", baut sich oft über mehrere Seiten langsam und allmählich auf und dekonstruiert sich teilweise dann wieder, was entsprechende markante und gleichzeitig angemessen kurze Zitate recht schwierig macht. Auch mit offensichtlich Grausamem geht Fehr um, als ob es sich um ganz alltägliche Selbstverständlichkeiten handele, so in der bereits erwähnten Geschichte "Ein Rebhuhn auseinandernehmen", in der sich die Leserschaft - Vorsicht: Spoiler! - erst am Schluss darüber klar wird, dass das Rebhuhn erst getötet wird, nachdem es gerupft, gehäutet und ihm die Augen ausgestochen wurden. Und auch in vordergründig handlungsarmen Geschichten wie "Nichts und Niemand" versteht Fehr es, ein beklemmendes Grundgefühl auszulösen.
Es gibt dann allerdings auch Stellen, an denen er das Lautmalerische so in den Vordergrund stellt, dass eine Nähe zur Slampoetry sichtbar wird, die Fehr als Spoken-Word-Autor, der oft auch mit Musikern zu Bühnenperformances zusammenfindet, sicher nicht ganz leugnen kann:
"da steht er / der verreckte / hehre / Architekt an einem hilben / lauen / Ecken des Geschehens / die Arme verschränkt",
heißt es beispielsweise lautmalerisch in "Babel", und ein paar Seiten weiter:
"'Das ist alles mir in Sinn getrudelt / eingefallen / der ganze Plunder / ein Wunder' / jubelt der Architekt / 'Guckt einmal / wie alle arbeiten nach meinem Sinn und Geist / einer dem anderen in die Hände / das spricht Bände für den Witz meiner Skizze und meine Organisation / und der Trutzturm ist nun mein gerechter Lohn'"
Glücklicherweise bleiben diese Ausflüge in rappende Binnenreim-Plattitüden eher die Ausnahme; sie offenbaren jedoch ein generelles Fragezeichen hinter diesen ansonsten ungemein kunstvoll ausgestalteten Texten: ein Hörbuch, eingelesen vom Autor mit seinem leichten berndeutschen Akzent, womöglich mit Sounds unterlegt, wäre womöglich die angemessenere Form der Darreichung gewesen, verleiht diese Stimme den Texten doch erst den letzten Schliff - ihre eigentliche Skurrilität und ihren unverwechselbaren Charakter. Das Buch ist vielleicht letztlich die Partitur für das, was der Autor auf der Bühne aufführungstechnisch daraus macht. Ein Livererlebnis mit diesen neuen Texten und dem Performer Michael Fehr sollte man sich jedenfalls nicht entgehen lassen.
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