Wenn das Leben ausschlägt
Mit und in dem Moment holt meine Liebe zum Gegenschlag aus legt Doris Anselm, Siegerin des open mike-Wettbewerbs 2014, ihren ersten Erzählband vor. In sechzehn Kurzgeschichten, oft nur wenige Seiten lang, erzählt sie von Menschen, die an Wendepunkten ihres Lebens stehen. Dabei geht die Autorin vor allem der Frage nach den Ursachen und Auslösern nach.
Die Protagonisten der einzelnen Erzählungen sind wie ein Querschnitt durch die Gesellschaft, so unterschiedlich sind sie. Es sind Alte und Junge, Karrieretypen und Loser, einsame Menschen und Familien – vor allem sind es die einen, die solch lebensverändernde Momente auslösen und andere, die diese Momente an sich selbst erfahren. Doch wie sieht sie nun aus, diese lebensverändernde Wendung? Es sind der Anruf einer beinahe vergessenen alten Freundin, die Verzweiflungstat einer flüchtigen Bekannten oder unerwartete Begegnungen, die in die Vergangenheit zurückversetzen, die das eigene Leben überdenken lassen oder auch die Kraft zum Aufbruch geben.
„Sind Sie eine Person?[...]
Immer fragte er das, wenn jemand das Turmrestaurant allein betrat. Die anderen Kellner fragten es auch. Noch nie hatte er über die Formulierung nachgedacht. [...]
Ja, hatte sie geantwortet, ja, ich bin eine Person.“
Familie Schwarz wird von einem Schicksalsschlag getroffen - nach dem Umzug in ein Häuschen am Rand eines Waldes, der plötzlich nicht mehr das Zeichen für einen Neubeginn ist, sondern zur Bedrohung wird, als der Sohn dort vergiftet wird. Pony legt nicht nur ihren Kosenamen ab, sondern auch den silbernen Kettenanhänger in Form einer Feder, der einst das Symbol ihrer Freundschaft zu Jaz war, als sie Heimatstadt und Freunde verlässt, um ihren Traumberuf zu erlernen. Mit Empathie und subtilem Humor erzählt die Autorin von Greta, einer Witwe, die auch nach dem Tod ihres Mannes gemeinsame Rituale und Gewohnheiten aufrechterhält. Sie schreibt weiterhin Zettelchen mit der Nachricht, wo sie hingeht, geht niemals im Streit zu Bett und bestellt im Café zweimal Likör: einmal Rosenlikör und einmal Marille.
„Greta will nicht, dass Greta sie weiter besucht.
Wenn ich einfach nur weiß, dass du bleibst, wie du bist, murmelt sie, die Augen halb geschlossen, und dass du die Wohnung in Schuss hältst.
Natürlich, sagt Greta.
Und nicht so viele Zettel verbrauchst.
Bestimmt nicht.
Und wenn du mal einen Marillenlikör für mich mittrinkst.
Nee, sagt Greta.
Wieso nicht, murrt es vom Kissen.
Marille schmeckt scheußlich.
Papperlapapp, sagt Greta und dreht den Kopf zur Wand, damit niemand ihr Lächeln sieht. Niemand außer Greta.“
Es sind viele aneinandergereihte Lebensausschnitte und Momentaufnahmen, die sich durch klare Beobachtungen auszeichnen. Vieles wird in der Schwebe gelassen oder ganz ausgespart, ausführliche Schilderungen oder Nebenhandlungen sucht man vergebens und es wird deutlich, dass auch mit wenigen Worten manchmal viel gesagt werden kann. Mit einem genauen Blick für Details schildert Doris Anselm mal alltägliche Geschehnisse, mal eher skurril anmutende Szenen und lässt den Leser mal nachdenklich, mal gerührt oder schmunzelnd zurück.
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