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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

„Bibeldaumenkino”

Hamburg

Gott ist absent. Zumal im Christentum, wo nach und in einer „theopoietischen Synthese” von Gott und Gotteskind Jesus „als autodidaktischer Sohn” zugleich vaterlos und sozusagen ein Bastard höchster Dignität sei, so Sloterdijk in Die schrecklichen Kinder der Neuzeit.

Michael Stavaričs Gotland führt Gott- und Vatersuche eng, und zwar eben auf Gotland – was etwas kalauerverdächtig ist, aber funktioniert. Hier nämlich sei der Protagonist gezeugt worden. Dabei beginnt alles über einen Umweg, und zwar einen Exkurs zum Monumentalen, „ab Seite 2500 war ich überzeugt davon, ich sei besser als die meisten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts”, so Stavarič beziehungsweise sein Ich-Erzähler, „ab Seite 6000 war ich allein auf weiter Flur, jenseits aller Kategorisierung” – und ab da weiß man, daß es unterhaltsam wird, der Autor hat ja schon in der Vergangenheit Talent als Ironiker bewiesen, der dann unvermittelt Großes zu packen weiß, wie hier, als der Roman aus Sicht des Verlags 300 Seiten habe, ein Textgebirge, aus dem diese 300 Seiten nur der „Prolog zum ersten Kapitel” sind... Zuletzt stirbt die Verlagsleiterin, nach approximativ 60 000 Seiten. – Umschlag, wie viele, Mörder durch Qualität: vor den Augen der Welt, vor den Augen eines Pfaus, der so herrlich zum Vertreter Argus’ wird, daß man, wenn man es nicht wußte, es nun weiß: Nur, wen die Augen dieses Edelhendls erschrecken, der fürchtet auch Mythen – und sei’s jener der NSA. Oder ginge man da zu weit?

Und von da geht’s dann erst los, nämlich zu jenem, der alles sähe, während er unsichtbar ist. Der einzige Gott aber sei auf Gotland, wird behauptet, man ahnt, da geht’s in besagte Vatersuche über. Sonst seien dort „tote Gedanken, [...] die besser nie gedacht worden wären”, im Wüsten aber: „Gott spricht [...] zu uns, und man weiß nie genau, was man zu hören bekommt” – und ob es das Lauschen „sich überhaupt lohnt”.

Die Genesis ist dann eine doppelte: jene des Gott- und Vatersuchenden und jene Gottes. Die Welt, die sich erzählt, macht aus der Bibel dann unter anderem ein „Bibeldaumenkino”... Die Welt macht auch aus Pappe eine zweite Arche, die dann ein in die Schulaufführung unauffällig integrierter Wasserschlauch aufweicht, weil, man ahnt es, der Teufel nicht schläft, dem die glatte Inszenierung hier aber womöglich erst die Wahrheit verdankt.

Dann „Denken und Fühlen” als „Ab- und Zuwarterei”, bis ... – würde, wenn es keinen Vater und keinen Gott gibt, das Trauma geben, das „einen normalen, menschlichen Akteur zu einer Götterfigur” zu machen vermag, Captain America etwa, Flash Gordon..? Und „Unreinheiten” – Risiko, etwas, das eine „Heilkunde gegen die Unreinheiten” erfordert, oder Chance..? Wieder Teuflisches, also, von einem Ich-Erzähler, der teuflisch an Gott zwar glaubt, mitunter, aber nur, um ihn als „vage(n) Schatten”  für die Zumutung verantwortlich zu machen, daß es seinen Begriff gibt und an ihn manche auch noch glauben. „Gott war in unserem Haushalt, tat aber nicht viel”...

Alle Wege führen so nach eben Gotland, wo alle Summe, „nach Chorälen, nach windigen Schellen, nach Tod und Auferstehung” klingt, vielleicht von Engeln, die „keine Lungen oder Stoffwechsel” haben, „doch hatten das Viren auch nicht”, auf ins Parasitär-Engelhafte Michel Serres’ also, bei Stavarič sind so viele virtuose Intertextualitäten, daß man sie fast überall sieht, aber oft nicht ganz – wie Gott. Der dann vielleicht ja auch irgendwie gefunden wird, vielleicht auch der Teufel, in einer Wende und noch einer und noch einer, samt Unbehagen, trotz „Gardena Comfort 530”.

„Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein geplagter Geist” – ein in allem also doch wieder gottgefälliger Text, an Plagen da schon längst reich, diese aber raffiniert und klug entfaltet, von einem teuflisch guten Autoren.

Michael Stavarič
Gotland
Luchterhand Literaturverlag
2017 · 352 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-630-87543-9

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