Im Gespräch: Timo Brandt redet mit Raphaela Edelbauer
Versuchen wir doch gleich mal einen Nerv zu treffen: was geht dir, kurz gefasst, an der derzeitigen Literaturproduktion und -landschaft auf die Nerven?
Die sakrosankte Unterteilung ihrer Derivate in sogenannte "Genres". Wenn ich auf etwas Roman oder Lyrik oder Drama drucken muss, bricht mir bereits der Schweiß in Strömen aus. Das sind ja vollkommen archaische Kategorien, vollkommen unzeitgemäß!
Außerdem: Die Verwirrung von Text und Buch, also dass Literatur unmittelbar ein Produkt zu sein hat, aus dem das Scheitern, das Wagen, das Work-in-Progress, das amorphe Menschheitsprojekt, das sie nun einmal ist, herausradiert wird.
Aber bedingt eine totale Aufsplitterung und Vernichtung der Genres nicht möglicherweise einen Prozess, an dessen Ende sich die Literatur gar nicht mehr zu verorten weiß? Wenn sie alles tun kann, aber Form und Inhalt nur noch selten zueinanderfinden?
Nein. (Eine verwandte Fragestellung wäre z.B.: Wenn man klassische Geschlechterrollen aufgibt, stirbt dann nicht die Menschheit aus?)
Was ist dir wichtiger: Resonanz oder Metaphysik?
Ich glaube, dass meine Stärke darin liegt, Metaphysik luftig zu gestalten, also schwere, philosophische Inhalte in solche Entstellung zu treiben, dass man darüber lachen, respektive auf der Stelle in Tränen ausbrechen kann.
Inwieweit wirkt sich Verzweiflung auf das Potenzial an Erkenntnis aus?
Banale Antwort: Bei mir sehr kontraproduktiv, denn ich schöpfe eher aus tiefster Leidenschaft an der Sprache und dauernder nervöser Neugier an der sprachlichen Neuschöpfung. Ich bin beim Schreiben nie verzweifelt, sondern meist euphorisch kichernd am Werk.
Komplizierte Antwort: Sehr stark, da eine existenzielle Verzweiflung immer größere Kreise zieht, die nichts als selbstverständlich erscheinen lassen. Beispiele: Am Menschsein verzweifeln, an der Existenz von allem verzweifeln (warum gibt es überhaupt etwas?), daran verzweifeln, dass man auf einem steinernen Ball um ein Heliumgestirn kreist. Das ist der Brennstoff der Absurdität, die ich so schätze.
Dein Debüt wird von Illustrationen des Zeichners und Grafikers Simon Goritschnig begleitet. Wie wichtig war dir die Einbettung der Texte in die graphischen Elemente, das Anstreben eines Gesamtkunstwerkes?
Simons und meine Gedanken zum Thema "Allverbundenheit" und Universalsprache waren so kongruent, dass wir die Verschränktheit von Bild und Wort gar nicht mehr anstreben mussten, sie ergab sich einfach. Trotzdem wollte ich gewisse Knackpunkte, denen der Leser beim Entdecken des Textes nachspüren soll, in den Zeichnungen in verschlüsselter Form aufzeigen. Das war freilich ein langwieriger Prozess, weil wir es nicht auf billige, plakative Art machen wollten.
An was schreibst/arbeitest du zurzeit?
Zum einen renoviere ich ein nahezu fertiges Großprojekt namens DAVE, eine digitale Dystopie, die ebenso wie "Entdecker" mit Grafiken von Simon Goritschnig ausgestattet wird.
Zum anderen an einem neuen Text, einem phantastischen Antiheimatroman, in dem die Traumzeit der Aborigines eine entscheidende Rolle spielt: Die Erinnerung der Landschaft selbst, die zu einer Spiegelung der Volksseele wird. Auf Österreichs Vergangenheit bezogen, wird das Ganze natürlich eine soghafte Alptraumwelt ergeben.
Wenn es eine bekannte Persönlichkeit gäbe (nicht zwingend ein/e Autor/in; nicht zwingend real), mit der du einfach so auf einen Kaffee oder ein Bier gehen könntest – wer wäre das?
Elfriede Jelinek natürlich.
Was würdest du antworten, wenn man dir vorwerfen würde, nicht politisch genug in deiner Kunst zu sein?
Erstens würde ich den Gegenvorwurf mangelnder Recherche geltend machen, denn ich habe soeben eine dreiteilige Hörspielserie über österreichische Identität und den (Neu)Aufstieg völkischer Rückbesinnung (Oktoberfest, Gabalier, die Tatsache dass selbst vernünftige Menschen wieder Dirndl tragen) geschrieben und teilweise bereits veröffentlicht. Mein aktuelles Großprojekt ist ein Antiheimatroman. Zweitens würde ich antworten, dass nicht jede Art des politischen Sprechens parteipolitisch sein muss, und dass jedem realpolitischen Konzept eine bestimmte Art des Sprechens und In-der-Welt-Stehens vorausgeht, das man in scheinbar "positionslosen" Texten auffinden kann.
Vergleichst du deine literarische Arbeit oft mit der von anderen?
Auch auf die Gefahr hin, dass es albern wirkt, mit dem Zitat eines YouTube-Stars zu antworten, paraphrasiere ich hier Casey Neistat: "If you're doing it like everybody else, you are doing it wrong."
Wenn du die Hauptthemen, um die dein literarisches Schaffen kreist, benennen müsstest, wie würden sie lauten? Gibt es formelle Gesichtspunkte, nach denen sich dein Schreiben immer richten wird?
Poetisch meine Überzeugung der realitätsstiftenden Wirkung von Sprache, oder, wie Sartre sagte: Die Welt ist immer schon wahrheits- und sprachförmig.
Politisch ist es die vermeintlich einende Kraft und trügerische, "identitätsstiftende" Missbräuchlichkeit der Sprache, sowie die soghafte Kraft der Masse.
Neigungstechnisch sind es der Wortwitz und die Absurdität, dass wir alle am Leben sind.
Dank an Raphaela und Timo!
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