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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

„was zählt“

Hamburg

Gold

Wenn es mir gut geht
ist alles plötzlich nur eine Frage der Zeit
und Zeit gibt es mehr als genug

Es ist ein häufiger Rohstoff
Er folgt unmittelbar auf das Gold

Auf beides weicht man aus

Auf das eine in Zeiten der Not
Auf das andere in der Verzweiflung

Dies ist der Beginn des Gedichts „Gold“, das in der Zeitschrift Matrix 2/15 erstmals abgedruckt wurde und titelgebend für Richard Wagners nunmehr 12. Lyrikband ist, einer Auswahl von 136 Gedichten seines bisherigen Schaffens, die zum Teil bisher unpubliziert waren, wie den detaillierten Anmerkungen zu entnehmen ist. Ergänzt wird das Buch durch das Nachwort der Literaturwissenschaftlerin Christina Rossi, die Einblick in Richard Wagners Schaffen gibt und Facetten seines Werdegangs beleuchtet.

Das Buch ist in 6 Kapitel gegliedert, die als Titel Zeiträume angeben. „Gold“ ist das erste Gedicht des 6. Kapitels „2013-2016“ und es geht folgendermaßen weiter:

In der Not wird das Gold gewogen und in der
          Verzweiflung schluckt man die Uhr

meine Stirn ist jetzt kalt
eine goldene Hand fährt ihr unter die Haut

Ich verdrehe kurz mal die Nase
wie um Zeit zu gewinnen

Für das
was vergeht

...

für den Schatten
den die Zeit wirft
Für das Wort
das den Barren vorsichtig auf die Zunge legt

In diesem Gedicht sind einige Konstanten der Gedichte Wagners genannt: Da sind Not, unterschwellige Angst und Verzweiflung, Übergriff und Ausgesetztsein, Versuche, damit zurechtzukommen. Und da ist das sorgsam gewählte, das abwägende Wort.

Richard Wagner wurde 1952 als Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien geboren. Bereits 1969 wurden vier seiner Gedichte in einer Zeitung abgedruckt. 1973 erschien sein erster Lyrikband „Klartext“, er war 21 Jahre alt. Ein Jahr zuvor hat er mit anderen die Aktionsgruppe Banat gegründet

„auf der Suche nach den formalen Mitteln ..., mit denen der hiesigen Wirklichkeit beizukommen ist.“

Ziel war die Erneuerung der deutschsprachigen Literatur Rumäniens, die Entwicklung zeitgemäßer literarischer Texte in einer sozialistischen Diktatur mit ihren mannigfaltigen Restriktionen. Die Gruppe wurde nach drei Jahren vom Geheimdienst Securitate zerschlagen. Der Kampf gegen Zensur und Bespitzelung prägte und erschwerte Alltag und Arbeit der SchriftstellerInnen, Gefahr drohte auch aus den eigenen Reihen in Form informeller Geheimdienstmitarbeiter – hierzu äußerte sich Wagner wiederholt in den letzten Jahren.

Die Sprache ist Richard Wagners Rückzugsraum. Wichtiger Impulsgeber ist für ihn anfangs Bert Brecht, später Rolf Dieter Brinkmann. Vom Jahr seines Debüts bis 1983 kann Wagner fünf Gedichtbände in Rumänien publizieren, manch andere Publikationsversuche fallen der Zensur zum Opfer. 1984 stellt er schließlich einen Ausreiseantrag. Nach Jahren zermürbenden Wartens siedelt er 1987 gemeinsam mit seiner damaligen Frau Herta Müller in die Bundesrepublik über. Sein sechster Lyrikband „Rostregen“ erscheint 1986 bereits in einem deutschen Verlag. In Deutschland wendet Wagner sich vermehrt anderen literarischen Formen zu und publiziert Romane, Essays und Sachbücher. Das Gedicht bleibt ihm jedoch wichtige Ausdrucksform. Fünf weitere Lyrikbände folgen, zuletzt „Linienflug“ 2010.

Wagner sucht und findet Zuflucht in den Worten, ringt um das Sagbare „jetzt hart am Rand der Wörter“, um das Wie? des Sprechens im Aufbegehren gegen die Zensur, um die Wahl des gerade noch möglichen Worts.

ich behaupte:
die anzahl meiner worte ist um eins
größer als die anzahl der vorhandenen wände

lesen wir im ersten Gedicht „Der Fischbesprecher“ (aus: „Klartext“, 1973), darin auch den zuversichtlichen Vers „jedes wort bricht eine wand“. In anderen Texten wird Wagner „die schlote der worte hochziehen“ oder „mit wörtern messen / und ruhig bleiben“. Es ist eine Ruhe, zu der sich der Dichter anfangs zwingen muss, denn er ist, wie manche seiner Worte, „geduldlos“. So lesen wir im ersten Kapitel „1972-1983“ auch zwei Gedichte, die er aufbegehrend „den kleinbürgern“ bzw. „den wohlstandsbeflissenen“ widmet, denen er mit jugendlich-rotzigem Furor ihr kleinkariertes Denken und ihre Hinnahme der ihm unerträglichen Verhältnisse vorhält.

Das Bedrohliche, das von Worten ausgeht, wird immer wieder thematisiert. Worte können „Irrlichter“, mal schaurig, schwach, matt, „bügelfrei“, tot oder nichtig sein, dann aber wieder „Kronzeugen“, schimmernd, heiter und aufmunternd. Es bleibt das stete Verlangen des Zweiflers, Worte, die sich in beglückenden Momenten „ganz ruhig“ einstellen, auf ihre Treffgenauigkeit abzuklopfen. Und er hält fest, dass ein Wort ums andere daneben trifft.

Jedes Wort
das ich schreibe
schaut mich an

und ist ein Unwort

schreibt der Dichter in „Wandermond“ (2015). In „Momentaufnahme“ (Mitte der 80er Jahre) resümiert er zweifelnd:

nie wieder kommt ein wort hinzu

Häufiger noch als dem „Wort“ begegnen wir in den Gedichten Wagners dem „Auge“. Es ist das eigene, manchmal dein oder unser Auge, das genau hinsieht, hinsehen muss, den Blick nicht abwendet. „Das Auge rennt zum Tor“, lesen wir und auch, dass jemand „mit irrenden Augen“ schlaflos im Bett liegt, stets auf der Hut vor Bedrohungen. Sehen wird zum erzwungenen Vorgang, wenn sich dem Betrachter etwas ins Auge „wälzt“, dem nicht auszuweichen ist. Und manchmal tritt der Dichter aus sich heraus und betrachtet sich in seinem Spiel mit der Perspektive von außen, etwa wenn er seine eigenen Augen anschaut (oder, im gleichen Gedicht, an seinen Ohren horcht).

Gern verwendet Richard Wagner die Worte Hand, Kopf, Stille. Das Wort „Uhr“ wird ihm zum Symbol für die langsam oder schnell vergehende Zeit wie auch für das Fallen aus dem Zeitmaß. Darüber hinaus haben Uhren Bedrohungspotential, etwa wenn es im titelgebenden Gedicht von Wagners zweitem, 1977 erschienen Gedichtband „die invasion der uhren“ heißt:

da rückten uns die uhren auf den leib

Formal unterscheiden sich die Gedichte des Buchs. Es gibt ein paar Zeilen kurze Miniaturen mit aphoristischer Zuspitzung, und längere Texte, die sich über zwei oder drei Seiten erstrecken und zumeist strophisch gegliedert sind. In seinen Anfangsjahren verwendet Wagner noch die durchgehende Kleinschreibung, von der er bald wieder abkommt. Irritierend wirkt der eine oder andere eigenwillige Zeilenbruch, der dem Platzmangel im Buch für zu lange Zeilen geschuldet zu sein scheint.

Thematisch ist diese Auswahl wie aus einem Guss, was bei einem Zeitraum von 44 Jahren dichterischer Tätigkeit erstaunt. Ausgangspunkt sind existentielle Bedrohungen, die Wagner auf schmerzliche Art und Weise nachvollziehbar macht, früher die Belastungen in der Diktatur in Rumänien, heute seine schweren Erkrankungen, sein lebenslanges Ausgesetztsein. Es sind Texte, die, zum Teil voll Lakonie, von Begebenheiten berichten, etwa einer Verhörsituation, in der ihm geraten wird, das Schreiben zu lassen. Vor allem aber sind es Texte, die von Zurichtungen, Beschädigungen und Verlusten erzählen, vom Befremden und von Entfremdung, von Vereinsamung, vom Alleinsein, von Isolation.

Grundiert sind viele Gedichte von tiefer Melancholie. „Nichts rührt sich an mir“, heißt es im Text „Schlaflos“ (1982), in „Lachendes Paar“ (1986) gibt er seiner Verwunderung Ausdruck, dass es „noch glückliche Menschen“ gibt. Wagner ist ein Leben lang hin und her gerissen zwischen Unbeirrbarkeit, Verlorengeben und Abfinden. Es verwundert nicht, dass der Tod schon in frühen Gedichten gegenwärtig ist, etwa in „Versicherung“ aus seinem ersten Lyrikband „Klartext“. Mit der Ausreise nach Deutschland fällt die staatliche Bedrohung weg, doch es gibt kein endgültiges Ankommen im neuen Land, nicht nur wegen der latenten, oft unverhüllten Fremdenfeindlichkeit, die Wagner in seinem Gedicht „Raus“ aufgreift. Wagners Texte bezeugen, dass man Durchlittenes nicht abwerfen kann und mit der Ausreise in ein freies Land nicht automatisch frei wird, weil man sich von Vergangenheiten nicht befreien kann.

Immer noch rasen die Züge mitten durchs Herz

schreibt Wagner in „Abschiedsgedicht“ (2000). Es ist Teil einer Wirklichkeit, die Wagner mit vielen anderen Menschen teilt, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Wie es sich anfühlt, können wir auch in seinem wohl bekanntesten Gedicht aus dem Jahr 1987 nachvollziehen:

Curriculum

Nicht erschlagen, fertiggemacht.
Belogen, bis ich selber log.
Nicht nackt, nur mir selber entzogen.
Nicht mit Steinen beworfen, nicht mit Worten.
Bloß mit Schweigen traktiert.
Nicht verhungert, aber der Kopf eine Höhle.
Davongekommen, überlebt, das auch, ja.

Richard Wagner
Gold
aufbau
2017 · 208 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-351-03676-8

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