Mehr als eine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule
„Ein reicher armer Mann stirbt, beunruhigt über das Elend auf der Welt. Er stiftet in seinem Testament eine große Summe für die Errichtung eines Instituts, das die Quelle des Elends erforschen soll. Das ist natürlich er selber.“
Mit diesen kritischen Worten fasst Bert Brecht die Finanzierung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung durch Herrmann und Felix Weil zusammen. Jeanette Erazo Heufelder geht in ihrem Buch Der argentinische Krösus den Hintergründen dieses großzügigen Mäzenatentums nach und liefert hiermit einen sehr lesenswerten Beitrag, der über die Geschichte des Instituts weit hinausgeht.
Die Frankfurter Schule, das sind die großen Namen: Adorno, Marcuse, Horkheimer, Pollock, um nur einige zu nennen. Wichtige Personen, die sich ab 1924 unter dem Dach des legendären Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main zusammenfinden und dort die „Kritische Theorie“ begründen. Jeanette Heufelder verfasst mit ihrem Buch – so der Untertitel – eine „Kleine Wirtschaftsgeschichte“ dieser Frankfurter Schule. Diese Untertitelung führt etwas in die Irre. Man könnte einen trockenen Stoff erwarten. Schnöde Zahlen, öde Wirtschaftsberichte.
Aber dieser Leseerwartung wird – und dafür kann man der Autorin danken – nicht entsprochen. Heufelder wartet mit einem gut lesbaren und spannenden Buch auf. Die Gründe hierfür sind - natürlich – zum einen in der lebendigen und anschaulichen Sprache der Autorin zu finden. Zum anderen liegen sie in der Person des Protagonisten selbst begründet: Felix („Lix“) Weil, der „argentinischen Krösus“ ist der Mäzenat und Finanzier der Frankfurter Schule. Heufelder hat aus Manuskripten, Briefen und anderen Quellen das Leben dieser schillernden Persönlichkeit rekonstruiert. Entstanden ist dabei eine Biografie, die das Institut für Sozialforschung aus einer unbekannteren Perspektive lebendig werden lässt. Es geht kaum um die komplexe Theoriegeschichte des Instituts, als um die Geschehnisse im Hintergrund. Denn Felix Weil ist eher „Mittelsmann und Netzwerker“, versteht sich als „Macher nicht so sehr als Denker“.
Felix Weil (geboren 1898 in Buenos Aires, gestorben September 1975 in den USA) wird als Sohn eines Multimillionärs geboren. Sein Vater Herrmann Weil, deutschstämmiger Jude, verdient sein Geld im internationalen Getreidehandel. Die Familie zieht von Argentinien nach Frankfurt, wo Felix und seine Schwester ihre
Ausbildung in Einrichtungen der Reformpädagogik und die Mutter eine medizinische Behandlung erhalten sollen. Beide Kinder neigen zur Rebellion. Der designierte Firmenerbe Felix tummelt sich an der Universität Tübingen in sozialistisch-marxistischen Kreisen und wird nach einer Verhaftung 1919 aus Württemberg abgeschoben. Immerhin kann er im Folgejahr seine Dissertation in Nationalökonomie abschließen.
Im selben Jahr heiratet Weil Käthe Bachart, die Tochter Clara Zetkins, und bewegt sich weiterhin in linksorientierten Kreisen. Seinem Vater gelingt es, Felix das Versprechen abzutrotzen, im Anschluss an die ausgedehnte Hochzeitsreise nach Argentinien, die Firmenleitung zu übernehmen. „Solange die Revolution nicht siegte, war die freie Wirtschaft die gegebene Realität“. Das Paar lebt in Buenos Aires. Felix Weil fehlen als Filialdirektor der „Sinn für Marktentwicklungen“ und die Bereitschaft, sich auf die scheinbar normalen „geschäftlichen Gepflogenheiten“ einzulassen. Unter dem Decknamen „Lucio“ führt er ein Doppelleben als „Geburtshelfer der Kommunistischen Partei Argentiniens“. Aus dem Bedarf heraus, die marxistische Theorie in die Praxis umzusetzen, entwickelt er die Idee der Gründung eines Instituts in Frankfurt, die er nach seiner Rückkehr aus Argentinien 1922 in Angriff nimmt.
Felix Weil investiert sein mütterliches Erbe in den Bau des Institutsgebäudes, seinen Vater, der der medizinischen Fakultät der Universität bereits große Summen gespendet hatte, kann er dazu bewegen, die Finanzierung des Instituts zu übernehmen und es im Testament großzügig zu bedenken.
„Lix“ führt ein rastloses Leben. Er ist wohlhabend, unermüdlicher Mäzen und unbeständig in Liebesdingen. Heufelders Protagonist bringt alles mit, was einem Roman Würze geben könnte. Die Entwicklungen im Deutschland der dreißiger Jahre treffen den links-progressiven Juden und seinen Kreis empfindlich. Früh denkt man über eine geordnete Emigration des Instituts in die Schweiz nach und muss schließlich nach New York umsiedeln. Heufelder recherchiert akribisch und schildert und auch die kleineren Ungeheuerlichkeiten, zu denen es unter dem Nazi-Regime kommt. Außerdem deckt sie interfamiliäre Intrigen auf, die durchaus das Zeug zum Romanstoff hätten.
Sein Alter verbringt Weil unter einfachen Verhältnissen. „Lix war kein Krösus mehr. Das unvorstellbar große Vermögen, von dem in den zwanziger Jahren die linke Kulturszene Berlins profitiert hatte (…) war aufgebraucht“.
Die Biografie des „argentinischen Krösus“ hat – auch dank Heufelders Erzählfertigkeiten – immer wieder komische Momente. Es ist anerkennenswert, dass Jeanette Heufelder sich der Biografie Felix Weils auf eine solch anschauliche Art angenommen hat. Das Buch beschreibt die Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule in ihren komplexen finanziellen Details (vor allem wenn es um verzweifelte Versuche geht, das Weilsche Vermögen nach Möglichkeit vor dem Zugriff der Nazis zu schützen) auf äußerst einleuchtende und verständliche Art. Aber das Buch ist weit mehr als das: Es entwirft ein Panorama der intellektuellen Szene der 20er Jahre und der Exilzeit und ermöglicht aufschlussreiche Einblicke hinter die Kulissen der Frankfurter Schule.
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