Der Schritt aus dem Lärm zu „sternen und stimmen“
Das knappe Gedicht steckt seine Gültigkeit ab. Schnell stehen die Eckpfeiler, von denen aus gemessen wird. Worte als Raumgeber und „Lichtfransen“. Sie fungieren als Zungen, die den Text zur gleichen Zeit erkunden, in der sie ihn auch begrenzen. Und zwar nicht indem sie ausgehorcht, zuende gehorcht werden wollen im Einzelnen (wie man das aus den vielen bedeutungsschwangeren Arrangements esoterischer Tiefenforschung kennt), sondern eher indem sie eine Bei-Läufigkeit der Ruhe durch ihre eigene Bloßheit erstellen. Fast schon japanische Kargheit - Studium des strohigen Grashalms und seines Schattenwurfs im Schnee. Aber hier bei Wagner eine alpenländische Poetik, die sich an Adalbert Stifter („einer der / hintergründigsten / dichter der weltliteratur“) geschult hat - bei dem sich das Subjekt an der Realität zu bewähren hat, indem es die unklaren und unkalkulierbaren Wesenszüge zu subtrahieren lernen muß, wenn es einen Blick auf die Welt werfen will, der größere Gültigkeit besitzt als nur eine private.
„Jede Größe ist einfach und sanft, wie es ja auch das Weltgebäude ist, und jede Erbärmlichkeit poltert wie Pistol in Shakespeare, und die Unkraft lärmt auch und schlägt um sich, wie es die Knaben in ihren Spielen tun, wo sie Männer darstellen.“ hat Stifter einmal gesagt. Wagner hat diesen Schritt aus dem Lärm längst getan und erzählt uns in seinen schmalen Gedichten von dieser Einfachheit. Trotzdem aus der Kulisse hereinbricht, wovor man sich nicht schützen kann – „hätte ich doch / lider“ wünscht er sich, für die Ohren. Lieber ist ihm „der satte / atem der / dunkelheit / ein aus“.
Michaela Schmitz charakterisierte kürzlich Wagners Lyrik sehr treffend mit dem Stichwort „alpenländische Haikus“ – obgleich die Gedichte keine Haikus sind, steckt in ihnen dieselbe Bewegung, das gleiche Vorgehen, das selbe Zugehen auf die Welt. Eine Bewegung, die sich verlangsamt, sobald sie einsetzt, um schließlich dem Augenblick gegenüberzustehen. Das Wort als Pore eines Moments. Keine comments, keine Übertönung, keine aufgepropfte Neuschöpfung. Das Außen wird wesentlich. Das Wort verknüpft diese Wesentlichkeit mit dem Innen.
krumau / ceský krumlov
fischgräten
am tellerrandessbesteck-
geklimperlichtfransen
treiben auf
der moldauund eine rose
im würgegriff
der vase
Wagner lebt in und mit der Natur genauso wie mit und in den Gegenden des Menschen. Wir finden uns auf einer Almhütte und in New York, in Marokko, in der Metro der Stadt, am Bergsee. Und überall findet er in kleinsten Momenten überraschend formatierte Bilder, die zu Gedichten werden können, wenn man nur richtig subtrahiert, Stille herstellt, die es dem Leser erlaubt ebenso dort anzukommen. Wagner verführt zum Innehalten. Die Bewußtheit seiner Lyrik tut gut wie eine warme Tasse Tee nach einem hektischen Tag in Kälte und Gestöber und die Erkenntnis: man muß nichts. Vor diesem schlichten Hintergrund will sie gelesen werden, und es gibt keine Beipackzettel und kein Kleingedrucktes, keinen Index der eigenen Komplexität.
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