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Kritik

Fast Food für die Seele

David Schalkos Romanerstling „Frühstück in Helsinki“

„8 Beziehungen und 14 Jobs in 10 Jahren. Von den 36 Seitensprüngen mal abgesehen.“ So weit zu Daniels knapper, aussagekräftiger Vita, mit der er bei einem Vorstellungsgespräch vermutlich nicht punkten würde. Mitte dreißig legt der Protagonist eine beachtliche Lebensbilanz vor, die ihn ideal für die Rolle einer Romanfigur qualifiziert. Doch Moment! Der junge Mann aus Frühstück in Helsinki verdient sich seit zwei Jahren als Sexkolumnist redlich sein Brot. Ebenso lang ist er übrigens mit der Stewardess Lisa liiert, deren Parfum und Lippenstift er freilich verabscheut.

Seit zehn Jahren versucht er außerdem vergeblich, sich dauerhaft von Wien zu entfernen, wo jeder mit jedem bekannt ist und alle auf der Stelle treten. Mag sein, dass die biedere österreichische Metropole nicht gerade die Seele beflügelt, gleichwohl ist es dem Helden gelungen, in diesem Biotop beachtliche sexuelle Aktivitäten zu entwickeln, ohne sich verbindlich auf eine Frau einzulassen. Daniel zählt zu jenem Typ Mann, der, ein wenig verträumt und unbeholfen, im Hinblick auf etwaige Paarungsversuche nicht gerade durch Eigeninitiative glänzt. Von den gängigen Potenzemblemen wie Ansehen, Macht und Kapital hat er ebenfalls keines vorzuweisen. Aber die Frauen mögen ihn und irgendwie mag er sie auch – im Klartext: Er kann sich nicht entscheiden. Tania, Britta, Katharina, Bettina, Nina und Lisa (um nur einige zu nennen) in ihrer Funktion als Haupt- und Nebenfrauen, Sexgöttinnen, Liebesdienerinnen, One-Night-Stands, Internetliebeleien etc. sind dem rastlosen Helden bloß „Fast Food für die Seele“. Auf Dauer entsprechen sie einfach nicht seinen Wünschen und Phantasmen, die ihm auf der Suche nach einer ernsthaften Beziehung im Weg stehen.

In dieser vertrackten Situation braucht es ein Klassentreffen, um festzustellen, dass ein Leben als Teilzeit- und häufig Vollzeitsingle nicht nur Nachteile mit sich bringt. Als sich Daniel nämlich von seinem kiffenden Freund Paul dazu überreden lässt, ihre ehemaligen Mitschüler samt Lateinlehrer im Café Hermann zu treffen, weichen die anfänglichen Befürchtungen alsbald der Ernüchterung. Hinter der kleinbürgerlichen Glücksfassade der Anwesenden verbergen sich die obligaten Lebenslügen und –krisen. Zwischen Small Talk und Tristesse werden Fotos von Kindern ausgetauscht und offene Rechnungen beglichen. Die Schulzeit ist definitiv vorbei, vorbei ist auch die Lebensfreude.

Betrunken begibt sich Daniel nach Hause und rechnet aus, dass er noch fünf Tage hat, bis Lisa von Tokio zurückkehrt. Der Moment ist gekommen, alte Schulden einzutreiben. Er besteigt ein Flugzeug nach London, wo er seine Jugendliebe vermutet, die vor mehr als zehn Jahren spurlos verschwunden ist. In Soho läuft er Thomas über den Weg, den er ebenfalls aus den Augen verloren hat. Von ihm erfährt er den wahren Aufenthaltsort von Nina, nämlich Amsterdam. Dort angekommen, nimmt Daniel sogleich Kontakt mit seiner Verflossenen auf. Die ehemalige Diplomatentochter hat einen unehelichen Sohn und lebt mit einem Sozialarbeiter zusammen. Im Zuge seiner Stippvisite in der Stadt Rembrandts erhält Daniel Klarheit über seine Beziehung zu Nina. Erstens hegt sie keinerlei Gefühle mehr für ihn. Zweitens ist Daniel der leibliche Vater von Ninas Sohn. Und drittens weiß er nun, zu wem er sich wahrhaftig hingezogen fühlt.

Schalkos Roman berichtet von den Irrfahrten, die sein ihm nicht unähnlicher Held unternehmen muss, um sein männliches Selbst zu finden und in der Folge ein beziehungsfähiges Wesen zu werden. Der von der Filmästhetik beeinflusste Text verhandelt in flotten Dialogen und abrupten Szenenwechseln die diffízile Problematik neu zu definierender Geschlechterverhältnisse. Dabei werden überkommene Rollenklischees satirisch unterwandert und mit frechen Sentenzen kommentiert. So erreicht etwa Daniels Charakteristik der Ehe Kabarettreife und befördert den Leser auf ungeahnte geistige Höhen: „Der Familienvan das Panzerfahrzeug im Krieg gegen verlorene Werte. [...] Geschützter Lebensraum hinter dem Panzerglas des geräumigen Renault Espace. Es lebe die Familie!“
Nicht weniger scharfzüngig und treffsicher nehmen sich die metaphysischen Selbstgespräche des Ich-Erzählers aus, die das Dasein sozusagen im Vorbeigehen seiner Schwere entledigen. „Das Leben als Erledigung zwischen 2 Jenseitsterminen“ parodiert existenzialistischen Tiefgang aufs Vorzüglichste. Mit dem kryptischen „Wien ist das Resonanzloch eines Landes, das aussieht wie eine Gitarre für Linkshänder“ wäre selbst Konrad Paul Liessmann überfordert. Wenn der Schwerenöter Daniel schließlich verkündet, „Heimat ist dort, wo man sich seine CDs anhören kann“, dann haben Integrationsbüros allen Grund, den Laden dicht zu machen.

Frühstück in Helsinki, das muss indes mit aller Entschlossenheit betont werden, beschränkt sich nicht auf billige Pointen, nein, es trachtet vielmehr, in kurzweiligen Satzstakkatos das Großhirn seiner Leserschaft zu stimulieren und Antworten auf menschliche Herausforderungen zu bieten, die erst in unserer demokratisch-liberalen Gesellschaft als solche erkannt worden sind.

Während der Protagonist staunend über das unhinterfragte männliche Selbstverständnis seines Vaters sinniert, fühlt sich Daniel von Lisas Wunsch, Mutter zu werden, in die Enge getrieben. Er gehört eben jener Generation an, die Selbstverwirklichung zum Lebensmotto erhoben hat und darüber vergisst, dass sich Glück allen Anstrengungen zum Trotz meist als beiläufiges Nebenprodukt einstellt, wobei sich in Anlehnung an Goethes Wort empfiehlt, nicht unbedingt in die Ferne zu schweifen.

Die schmachtende Lisa mag auch noch so nah sein, Daniel hat nicht gelernt, seine Chance zu ergreifen. Stattdessen hetzt er einer Chimäre nach, die in ihrem Amsterdamer Versteck längst mit dem einstigen Liebhaber abgeschlossen hat. Aber auch die diversen Begegnungen unterhalb der Gürtellinie, die Daniel inzwischen gemacht hat, bezähmen keinesfalls seine Angst, wichtige Erfahrungen zu versäumen. Insofern bleibt er ein Flüchtiger und Flüchtender, der lieber träumend vor der Bildtapete mit dem Palmenstrand von Sansibar verharrt, als sich ins Los des Faktischen zu fügen.

Dieser fiktionale Verschnitt aus Don Quijote und Parzival fungiert nicht nur als Sprachrohr des Autors, der die Befindlichkeiten der Generation Golf geschickt in Szene setzt, er bildet auch das narrative Scharnier in einer überraschungsreichen Geschichte, in der sich Handlungselemente und Figuren wie zufällig spiegeln. Hat Daniel zu Beginn des Romans aufgehört, seine Freundin zum Flughafen zu bringen, kann ihn am Ende nichts mehr davon abbringen, seiner Liebsten ebendort entgegenzueilen.

Desgleichen staunt man über Daniels Ansinnen, einen Roman zu verfassen, der ausgerechnet Frühstück in Helsinki betitelt ist und obendrein von den uns inzwischen vertrauten Abenteuern eines hormongesteuerten Mittdreißigers erzählen soll. Wenn der bei seiner Mutter aufwachsende Sohn des Protagonisten den gleichen Namen wie sein Vater trägt, dann ahnen wir, dass in diesem Fall der Autor seine Hand im Spiel gehabt hat. Aber das macht nichts, denn auf diese Weise wird in dem wirren Handlungsgeflecht eine Art von Ordnung geschaffen, die sich dem Zufallsprinzip zu entziehen scheint. Irgendein Schicksal oder David Schalko, könnte man schließen, meint es endlich gut mit dem strapazierten Frauenhelden und führt ihn geradewegs in die Arme seiner ihm nicht immer treu ergebenen Lisa. Es fragt sich, ob es der Autor, der uns mit Esprit, Witz und einer Prise Unflätigkeit bei Laune gehalten hat, nicht doch etwas zu gut mit uns meint. Andererseits: Was vergeben wir uns schon, wenn wir ausnahmsweise zugeben, dass uns der glückliche Ausgang der Geschichte ein wenig froher stimmt?

David Schalko
Frühstück in Helsinki
Czernin
2006 · 213 Seiten · 15,90 Euro
ISBN:
978-3-707602708

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