Ein Meteor aus der narkotischen Finsternis
Kaum ein deutschsprachiger Autor ist derart produktiv wie der Münchner Friedrich Ani. Er ist in vielen Genres unterwegs, am erfolgreichsten wohl als Autor von Kriminalromanen, deren Kern auf unkonventionellen Ermittlern beruht, sowie der eigenwilliger Verwendung von Zeit, Zeitverstreichen und existenzialistischen Raumverhältnissen. Seine Krimi-Reihen heißen u.a. nach ihren Figurenzyklen Tabor Süden, Polonius Fischer, Jonas Vogel etc. Als ob die Produktivität in Sachen Krimireihen nicht schon hoch wäre, verfasst Ani Krimis auch außerhalb den genannten Reihen, weiterhin Jugendbücher, Romane, Erzählungen, einen Gutteil Hörspiele und Dramen, ein ganzes Arsenal Drehbücher und… Lyrik!
Sein neuer Gedichtband Im Zimmer meines Vaters ist dieses Jahr bei Suhrkamp erschienen, mittlerweile sein sechster. Also auch hier: Ani schreibt hochtourig. Der Hardcover-Band erinnert in seiner Aufmachung, der Typografie und der Farbgestaltung an frühe 50er Jahre Bücher, reiht sich gewissermaßen dort ein bzw. scheint sich selbst ein wenig retrograd zu verorten. Das gelingt den Texten allerdings erst recht. Sie stehen da, als hätte es in den letzten 20 Jahren keine Lyrik gegeben. Oder noch länger? Definitiv schreibt Ani in nur einigen wenigen bevorzugten Formaten, sprengt sie nicht, sondern benutzt sie, um Inhalte griffig und ungefährdet anzubringen. Ist das ok? Auf jeden Fall. Es ist eine Entscheidung. Im Zimmer meines Vaters wagt sprachlich gesehen nichts. Arbeitet sich nicht an dem ab, was seit längerem im lyrischen Fokus steht: die Modellierung/ das Experiment mit der Sprache an sich, der Form, dem Wort. Solcherart ausgeblendet, zwingen Anis Gedichte zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Sein dichterisches Argument liegt in der Hauptsache im Hintereinanderschalten (scheinbarer) inhaltlicher Widersprüche, dem Meiden von Bildern zugunsten von konkretem Benennen und auch – das ist der eigentliche Kritikpunkt – dem damit einhergehenden Angewiesensein auf Pointen, Überraschungen und Erklärungen. Anis Lyrik ist unoffen, um nicht zu sagen geschlossen. Bei aller Griffigkeit und sprachlichen Eleganz ist der Deckel bei den meisten Gedichten immer schon draufgelegt, bevor der Text sich selbst entfalten, abheben kann. Das gilt indes nicht nur für seine minimalistische erste Abteilung mit dem Titel So schwer ist das nicht. Sie strahlt Ruhe aus. Es geht um Kindheit, Ahnen, Trauer, auch das Gefühl von Missverstehen und Sprachlosigkeit. Eine Welt aus Eindrücken, Kindheit und Lebensregeln. Letztere erzeugen das Geschlossenheitsgefühl bei der ansonsten tadellos lesbaren Kleinform.
„VERMISSEN
Dunklere Schatten erwarten uns jetzt,
das Meer ist verlandet in uns und
die Tische im Garten sind alle besetzt
von Ahnen mit steinernem Mund.
Sie sehen uns an, und wir wissen:
Die Stimmen des Sommers sind weit,
wir spielen wieder Vermissen
im Garten, im Zimmer, zu zweit.“
In der zweiten Abteilung, namens Ein beinah geglücktes Leben wechseln Anis Themen nicht, es bleibt bei der schon aus dem ersten Abschnitt bekannten Erkundung einer Welt der Ahnen, doch bricht sich die Form Bahn. Es gibt zusätzlich mehrstrophige und mehrseitige Gedichte. Prägend auch hier der Reim, binnen wie End-.
„VOM VERSÄUMEN
Als ich ein Bub war, klein und zart,
da spielte ich nach meiner Art
an jedem Tag im Garten sterben.
Ich wollte, dass die Käfer um mich werben
und der Mond. Den Eltern ihre Macht verderben
wollte ich und endlich bloß ich selber sein.
Ich starb und starb und wartete vergebens
(mein Schatten ließ mich bald allein)
Auf den Anfang meines Lebens.“
Die dritte Abteilung ist ein Langgedicht mit der titelgebenden Überschrift Im Zimmer meines Vaters. Hier lässt Ani der Form freien Lauf und setzt sich ausschließlich dem Persönlichen einer Vater-Sohn-Beziehung aus. Lässt diese vielgestaltig Gedicht werden. Wie in den anderen Teilen strahlt die Lyrik hauptsächlich Ehrlichkeit aus und eine fast narrativ-rationale Form des Mitteilens. Obwohl auch hier die Tür zum Kitsch offen steht, wirkt Im Zimmer meines Vaters weniger glatt und auf eine nicht unsympathische Weise notwendig. Es ist der stärkste Teil des Bandes.
„XIV
(Wie wegsam war den Weg? Wie straßenlos
die Weite deiner Herkunft? Man erzähltemir, an deinen Bäumen
wuchsen Datteln, und Jesussprach die Sprache deines
Vaters, wenn wir schwiegen,hausten wir in einem Zelt, in
einem du, in diesemSchatten ich, und zwischen
uns ein Tisch, ich sitzehier und schabe Tränen aus
dem alten harten Holz.)[…]
XVII
Später am Tag werde ich an meinen Vater denken, wie
er weinte – – –Ein Meteor aus der narkotischen Finsternis einer
Transplantation hatte eingeschlagen auf dem Planeten
seiner Erinnerung und ihn fragen lassen nach dem
Weg, den er begonnen hatte zu beschreiten vor mehr
als fünfzig Jahren, und bis heute ging im
einundzwanzigsten Jahrhundert – – –[…]“
Die letzte Abteilung Was einmal war beschließt den Band und wirkt wie ein Sammelbecken verschiedener Texte und Themen, die, um politische Notate erweitert, u.a. auch eine quasi Abrechnung mit Anis Heimatstadt München, zusätzlich andere Stimmen und Haltungen einnehmen, wiedergeben (In der Mission). Vielleicht der Einzug eines Jetzt in die vornehmlich rekonstruierte Erinnerungswelt der vorhergehenden Teile.
Anis neuer Gedichtband mag nicht wenige Leser finden, ist er doch verhältnismäßig leicht verständlich und zurückhaltend und unaufdringlich komponiert. Er hat allerdings, wie angesprochen, mehr mit Wilhelm Buschs Sprechen oder dem des Expressionismus zu tun, oder auch Nachkriegsminimalismus, als mit irgendeiner lyrischen Sprache von heute, sodass die Frage bleibt, wie lange man darüber sprechen muss, was der Band in der heutigen Zeit möchte oder gar bewegt haben wird. Es ist ein persönliches Schreibprojekt Anis, dessen Ambitionen und (vermutlich) auch Fertigkeiten/ Techniken stärker in anderen literarischen Gebieten einschlagen.
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