Wundersam? Jugendsünde?
Ein Text Walt Whitmans, der zwischen Fiktivem und Realem, Autobiographie und Roman changiert, ist vorzustellen: Das abenteuerliche Leben des Jack Engle. Von Beginn an spielt er dabei auch mit dem, was an früheren Texten nun als real rekontextualisiert werde. Oder auch nicht ... wenn nämlich Whitman, der den Roman ohne Namensnennung publiziert hat, dies vielleicht wirklich in der vagen Hoffnung getan hat, seine Leser könnten glauben, hier spräche der Ich-Erzähler Jack Engle höchstselbst.
Dies ist denn auch der Grund, warum erst jetzt dieser Text anzuzeigen ist; er wurde erst kürzlich entdeckt und ediert; bzw. wurde erst jetzt Whitman als Autor identifiziert.
Narrative werden dabei jedenfalls zu dem, was beides verschlingt, von der „Saat des Bösen”, die einem eignen mag, einem durch ein schlechtes Leben „eingepflanzt” werden könnte – oder aber durch Umgang „gedeihe[n]” ... oder nicht. So ergibt sich – frei? notwendig? –, was Leben und/oder Biographie wessen auch immer sei. Daß dabei Whitman das Freie schätzt, ist erkennbar, seine „Locofoco-Sympathien” erwähnt dazu der Kommentar des Übersetzers, also Sympathien für eine radikale Demokraten-Gruppe. Er hat wie sein Held „Unfugstendenz”, er glaubt denen nicht, die sagen, ...
... „the Locofocos would utterly destroy this nation in five years, if they had their own way. Their leaders are blind to truth, and the whole party is regardless of law.”
Sie seien „wahrheitsblind”, nein, das bleibt so nicht stehen. „Das Recht”, das seien „Absprachen”, fertig... Gerechtigkeit sei das nicht. Bestechend sind manche Schilderungen dessen, was auch chaotisch ist, auch von schöner Diversität ist: gegenüber Kleinlichem.
Sogar einen Mord – eigentlich Todschlag – bietet Whitman dann noch auf, doch was wahrlich alles hemmt, sei nicht derlei, sondern Gier. Die Gier, verkörpert durch den Betrüger Covert, steht hier allem im Weg, dieser Stadt, diesem Amerika, das Whitman seinen Trump, so könnte man’s lesen, quasi als Flaschenpost, aber zum Teufel schicken läßt.
Der Text hat viel Witz in den Details, „ein subversiver Witz in der Art, wie Whitman erzählt” fällt Jonis Hartmann bei Fixpoetry auf, das gilt mehr als von der von ihm besprochenen Manesse-Übersetzung wohl vom Original und dieser Übersetzung im neuen Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, ja, in der Tat stürzten sich gleich zwei Verleger auf den Romanfund, daß in der Hektik um die schnellere Übersetzung immerhin eine gedieh, ist erstaunlich.
Witz also, zweifellos; als Erzählung – nämlich deren Entfaltung, nicht das Spiel mit ihren Gesetzen – taugt der Text allerdings weniger, der „Roman ist bestenfalls schwach, im Sinne eines Romans”, so zurecht nochmals Hartmann; schablonenhaft mitunter die Handlung wie die Figuren, auch wenn es ungerecht ist, darum sogleich pauschal wie der WDR von bloß einer „Jugendsünde” Whitmans, die ihm selbst peinlich war oder sein hätte sollen, zu reden. Interessanterweise urteilt auch die FAZ ähnlich: „eine rührselige Waisengeschichte” erzähle der Autor, mehr nicht – als gäbe es da nicht manchen Widerhaken.
Ganz so einfach ist es vielleicht eben nicht; gewiß gibt es ungleich Stärkeres Whitmans, aber zwischen den Qualitäten von Details und den Flachheiten des Ganzen entspinnt sich doch etwas, ja, Wundersames, etwas, das jedenfalls die Flachheit aufzeigt, „fast eine Parodie seines Genres” ist der Text dadurch, so ein letztes Mal Hartmann … und so ist dieser Text einer, der verunstaltet doch Witz hat – und dann manchmal sogar mehr als das.
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