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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Cora gal maralt ibolotte nogesk

Hamburg

Ulrike Anna Bleiers Roman Schwimmerbecken, erschienen in der edition lichtung, ist ein schwieriges Stück Literatur. Das trotz Unwetterwolken auf dem Coverfoto eher froh gestaltete Paperback entpuppt sich als nicht nur inhaltlich schwergängige Kost, sondern auch stilistisch. Obwohl eine "Sogwirkung" attestiert wird laut Verlagsangabe, stellt sich ein soghafter Lesefluss nicht ein, da die Komposition des episodisch angelegten Romans dagegen an arbeitet. Die Episoden, beinahe 60, stehen in zufälliger Reihenfolge und umfassen einen großen Zeitabschnitt, von Kindheit bis Jetztzeit einer jungen Erwachsenen, der titelgebenden Schwimmlehrerin Luise. Immer wenn sich ein Rätsel, ein Mysterium oder gar Cliffhanger anbietet, schneidet der Fluss in einen anderen Erzählraum hinein, und die Erwartung wird ausgebremst. Trotz der Kürze des Romans, kaum 160 Seiten, strengt das Bremsen und Neuanfangen an und obwohl diese kompositorische Strategie reizvoll sein kann, baut der erzählerische Tonfall selbst, nämlich die Stimme Luises – eine klassische unzuverlässige Erzählerin – die nächste Hürde auf. Sie spricht in endlos gereihten Hauptsätzen, viele davon ins Leere führende Wiederholungen, und sie schneidet ihrerseits in die direkte Rede anderer Beteiligter Meinungen hinein, sodass pro Absatz jeweils ein Konvolut an Stimmen und Kommentaren auftaucht, die das potentiell Erzählte und Erzählbare distanzieren, abfedern oder für unwahr erklären. Auch das sicherlich keine uninteressante Strategie. Doch irgendwie wollen diese beiden Erzählschweren nicht ganz zusammenkommen. Man mag argumentieren, dass beide Methoden, der umständliche anomale Tonfall Luises und ihre zufällige, fragmentierte Erinnerung, wohl in die Zeichnung ihres Charakters gehören, dass sie also offensichtlich selbst Anomalien aufweist und ein problematisiertes Leben führt, doch macht es wenig Sinn, wenn die eigentliche Fabel der an sich klaren Handlungen darum geht, aufzuzeigen, dass nicht sie, sondern der Bruder Luises, Ludwig, genannt "Bruderherz", einer offensichtlich gravierenden geistigen Umnachtung anheimgefallen ist.

Die Leser allerdings werden abgeschnitten von allem geführt: Das, was man wissen will, erfährt man nicht beziehungsweise nur schleppend, das, was einem Halt geben könnte, womit man Sympathien (für das Buch) aufbauen könnte, wird über bis kaputt stilisiert. Wiederholung ist nicht gleich Stil, bewusste sprachliche Ungeschicklichkeit ist nicht gleich Erkenntnis, kompositorische Effekte sind nicht gleich Sinn. Man mag sagen, wenigstens konsequent ist das alles und wenigstens werden Wagnisse eingegangen. Ja, in der Tat, wäre da nicht der Hang, alles zu psychologisieren, das heißt zu kommentieren, zu prognostizieren, zu bewerten und bis ins Spannungsfreie auszuformulieren. Als ob die Autorin ihrem eigenen Hürdensystem nicht trauen würde. Das ist möglicherweise der neuralgische Punkt, an dem das Buch immer wieder kippt und eben jenen beschworenen Lesefluss nachhaltig zerstört. (Es macht wenig Spaß, wenn Episoden aus der Kinderperspektive in also kindlicher Wahrnehmungswiedergabe mit analytischem, kommentierendem Vokabular der Erwachsenenwelt wie "zwanghaft", "natürlich" oder "trostlos" beschallt werden.)

Inhaltlich gesprochen, handelt sich um eine psychologische Familiengeschichte in einem bayrischen Dorfmilieu. Dessen sprachliches Kolorit dringt in den Text ein: "Schupfen, Katzerln, Griesnockerln, Maidult, Türl" und Namen wir Hintergreiner, Kramer Anne usw. erzählen von einer kleinen, sich selbst überwachenden Welt, in der Luise und ihr Zwillingsbruder Ludwig sich immer weiter voneinander entfernen. Er der ordnungsliebende Aktionist, sie die leise Träumerin. Nach einem gestörten Wiedersehen scheint klar: Irgendetwas ist passiert. Etwas ist aus den Angeln.

"Währenddessen bin ich im Auto geblieben und habe das Mikrofon eingeschaltet. Was sagst du dazu?, habe ich gefragt, als er wieder eingestiegen ist. Das Handy ist auf einer Ablage unter dem CD-Player gelegen, ganz harmlos wirkt es da. Cora gal maralt ibolotte nogesk, antwortet er, das hat die Aufnahme später ergeben. Das ist Indonesisch, hat er dazu nur gesagt. Ich habe aber hernach in der Bibliothek nachgesehen, in der Fremdsprachenecke in der Bibliothek, und tatsächlich war auch ein indonesisches Wörterbuch darunter, ich habe nachgesehen, es gibt weder das Wort cora noch gal noch maralt. Ibolotte auch nicht. Die anderen habe ich mir gespart nachzublättern. Später hat er noch ein paar Sätze gesagt, ich habe alles gelöscht, ich weiß nicht, in welcher Sprache er mir sagen will, was er mir nicht sagen will."

Nach einer Reihe Episoden mit merkwürdigem Verhalten des Bruders, Grausamkeiten gegenüber Tieren, neuen Verhältnissen, Freundschaften, ländlichen Land- und Leuteschilderungen/ -fantasien des Ortes, Kollbach mit Namen, dessen gleichnamiges Wasser schwarz ist, wie auch gewisses Blut und andere Dinge, wird immer offenbarer, wie wenig Luise in ihre Welt passt, wie sehr auch der Bruder Rebell ist, trotz seines als psychotisch eingestuften Verhaltens und wie sehr Sprachlosigkeit oder wirkungsloser Sprachgebrauch die Klammer um etwas hält, das in Erstarrung sich selbst aufgegeben hat. Bei einem überraschenden Perspektivwechsel in die Schriften des Bruders Ludwig sagt dieser über seine Schwester, wie um deren Existenz und ihren Erzählstil im Buch zu sichern (auch im selben Stil):

"Wenn sie nicht blutet, dann erzählt sie alles, was sie denkt, von allem, was in ihr ist, muss sie sich sofort befreien, weil alles ihr zu viel ist, alles, was in ihr ist, ist zu viel für sie und muss raus [...] Es hat ein permanenter Winterschluss- und Sommerschlussverkauf in ihr angefangen, alles, was sie sagt, sagt sie unter dem Wert, den es eigentlich wert ist, weil es einfach nur raussoll, wegsoll, man hat keine Zeit es anzuschauen, es fliegt auf einen zu und man hat keine Wahl, dann breitet man die Arme aus und fängt die Worte und Gedanken auf, die Laute und Töne, das Zischen, das Gurren, das Andocken an den Schneidezähnen, das Rutschen auf der Zunge, es ist egal, was es ist, es ist eben immer alles auf einmal da, keine Zeit, etwas zu ordnen."

Das Buch verlangt dem Leser aufgrund seiner Überladenheit einiges ab und es bleibt die Frage, ob das, was erzählt wird, nicht eigentlich auch einfach so erzählt werden darf, ohne den Effektbombast. Welcher Mehrwert soll sich einstellen? Zudem stößt jener erzähltechnische Hang zum Ausformulieren und Kommentieren auf. Wem das einerlei ist, und wer in eine düstre nicht ganz klischeefreie Provinzwelt eintauchen und mit Luise in ihre gesplitterte Vergangenheit schwimmen will, der wird mit einer durchdachten und stellenweise originellen Fabel belohnt.

Ulrike Anna Bleier
Schwimmerbecken
edition lichtung
2016 · 160 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-941306-30-1

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