Ich meine, lassen wir den Scheiß und reden wir Klartext
Ich habe manchmal das Schreiben als Krankheit bezeichnet. Falls das stimmt, bin ich jedenfalls froh, dass sie mich befiel. […] Manchmal denke ich, es kam mir vor allem auf das Geräusch der Schreibmaschine an. […] Es gibt keine bessere Art, dem Tod ins Gesicht zu spucken und ihm gleichzeitig zu gratulieren.
Schätzungen zufolge (angestellt von seinem Verleger John Martin) hat der amerikanische Schriftsteller Charles Bukowski in seinem Leben über 10.000 Gedichte geschrieben. Er bewahrte sie haufenweise in Pappkartons auf und schickte sie in größeren Stapeln an Literaturzeitschriften und Verlage. Des Weiteren schrieb er unzählige Short-Storys, die zunächst vor allem in Sex-Blättern und Underground-Magazinen erschienen. Von seinem Schreiben leben konnte er erst, als er bereits über 50 Jahre alt war.
In meinem Bücherschrank stehen einige von Bukowskis Gedichtbänden und immer wieder entdecke ich neue. Diese Bände waren schon oft Ziel des Spotts oder des Argwohns – für die einen ist Bukowski schlicht ein promiskuitiver Autor, der mit seinen Geschichten bei niederen Instinkten und Ideen ansetzt und zusätzlich ein Chauvinist erster Güte war, für andere nur ein Möchtegern und Nörgler, der nicht wirklich etwas zu sagen hat und sich deshalb in Selbstmitleid, heroischem Männertum, sowie in erotischen und brutalen Phantasien ergeht, während er seine eigene Lebensweise glorifiziert und überzeichnet darstellt.
„Wenn alles andere so hässlich, so lebensfeindlich ist, haben wir dann nicht eine Verpflichtung zur Schönheit?“, schreien Sie mir in Großbuchstaben ins Gesicht. Ronald, „Verpflichtung“ ist ein schmutziges Wort, und mit „Schönheit“ macht man Leute nieder. wenn Sie jemandem die schwachen Beinchen weghauen wollen, brauchen Sie nur zu fordern, er möge bitte „schön“ sein.
Was die Nörgelei betrifft, so dürfte es schwer sein, diesen Verdacht je ganz von Bukowski zu nehmen. Seine Briefe zumindest strotzen davon. Von zahllosen Rechtfertigungen, seine Texte und seinen Stil betreffend, aber vor allem vor Wut auf seine Zunft und den Betrieb drum herum, sowie die wiederholt durch ihn attestierte Unfähigkeit seiner Generation, wirklich über das zu schreiben, was auf den Straßen, was im Leben der Massen passiert, was die Menschen auffrisst bei lebendigem Leib. Ödön von Horvaths Spruch über den Lehrer, der die Welt nicht erklärt, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte, hätte Bukowski unterschrieben – nur hätte er vorher das Wort Lehrer durchgestrichen und es durch poet oder author ersetzt.
Halten wir also fest: Ich habe etwas gegen die Menschheit an sich, ganz besonders aber gegen Schriftsteller.
Gelten konnten vor ihm nur wenige: die frühen Werke von Hemingway, William Saroyan, Sherwood Anderson, und Henry Miller, die Gedichte des Einsiedlers Robinson Jeffers, die Werke von Dos[tojewski] und natürlich die Romane seines großen Idols John Fante, den er vor dessen Tod noch kennenlernen durfte und an den ein paar der schönsten, herzlichsten Briefe in diesem Band gerichtet sind. Die meisten anderen bedachte er mit nicht gerade schmeichelhaften Abstrafungen, warf ihnen Weichheit und Bequemlichkeit und Schlimmeres vor. Auf dieser Ebene war er, im wahrsten Sinne des Wortes, kompromisslos, wie es überhaupt seine Art war, auch was seine Einstellung zu heiklen Themen und Darstellungen anging.
Als Schriftsteller fotografiere ich – mit Worten –, was ich sehe. Wenn ich also über „Sadismus“ schreibe, dann nur, weil er existiert. Ich habe den Sadismus nicht erfunden und wenn in meinen Büchern noch weitere schlimme Dinge passieren, dann nur, weil sie in unserem Leben passieren.
Wer sich in diesem Band Einblicke in Bukowskis Schreiballtag erhofft, wird durchaus fündig werden; auch was die Entstehung seiner Werke betrifft und das Echo auf seine Bücher. Letzteres allerdings oft am Rande und oft wird dieses Echo nur als Ausgangspunkt für eine Tirade hergenommen.
Zu seinen privaten Beziehungen wird dagegen wenig verlautet, es handelt sich bei diesen Briefen nahezu ausschließlich um Schreiben an Redakteur*innen von Zeitschriften, seine frühen Förderer, seinen Verleger John Martin und einige Autor*innen und sonstige Geschäftspartner*innen. Manchmal spricht Bukowski über das Schreiben, wie viel es ihm bedeutet; manchmal über das Trinken, das immer wichtig ist, neurotisch erwähnt wird; sein Lieblingsthema aber ist, wie er sich nie etwas bieten ließ und wie er es immer geschafft hat, irgendwie, und was er von diesem oder jenem hält, warum das eine Unsinn ist und das andere lächerlich.
So gehen fast fünfzig Jahre auf dem Papier ins Land, mit wenigen Briefen pro Jahr; in einigen frühen Jahren gibt es auch gar keine Korrespondenz. Wenn ein Brief einer Einleitung oder einer Erklärung bedarf, ist diese kurz und knapp vorangestellt; ein Personen- und Sachregister liegt hinten ebenfalls bei, zusammen mit einem Nachwort des Herausgebers.
Das Seltsame ist, dass das ganze Schimpfen und Knurren nicht unbedingt langweilig wird. Klar, irgendwann würde es selbst dem größten Fan reichen und es war weise, die fast 2000 Seiten nachgelassene Korrespondenz auf diese knapp 250 Seiten zu kürzen. So entsteht die richtige Dosis aus Einsichten und Geschwätz, aus Pöbeln und Polemik, aus Niedertracht und Revolution. Gerade genug, dass man das Gefühl hat, an einem wilden Leben teilzuhaben, einer ausschlagenden, auf diesem Papier noch sehr lebendigen Existenz. Diese Lebendigkeit, sie ist Bukowskis Markenzeichen und sein Verdienst; man kann ihm viel vorwerfen, seine Meinungen und seinen Ton verurteilen; es gibt wenig Autor*innen, die so bereitwillig Angriffsflächen boten, wie Bukowski. Aber das Lebendige – schmerzlich, eklig, erstaunlich, abstoßend, langweilig, dumm, verloren – es pulsiert durch seine Storys und Gedichte und auch durch seine Korrespondenz.
Ich meine: Fuck that! Ich brauche nicht mehr als Papier, Bier, ein bisschen mehr Glück, eine gute Verdauung, ab und zu einen Fick und schönes Wetter. Was noch? Richtig, die Miete. Darüber hinaus fällt mir nichts mehr ein.
Man könnte den ganzen Briefwechsel auch als Dokument von Bukowskis langem Kampf um Unabhängigkeit lesen, aber dann wird er eher uninteressant (wobei sicher jede/r Autor/in sich in seinen Ringen um Geldmittel und dem Wunsch nach Ruhe und Inspiration wiederfinden kann). Sein Widerwillen gegen das Anheimfallen beim Establishment, sein Rumreiten auf seinem Alter, die beinahe manischen Wiederholungen seiner Ansichten, variiert durch immer neue zynische bis boshafte Schnörkel, das alles mag ein Vorhang sein, der vor einer verzweifelten, um Worte ringenden, versoffenen Existenz baumelt, aber aus Bukowski ein Steh-auf-Männchen zu machen, würde ihm nicht gerecht werden, dem guten wie auch dem schlechten Teil seines Charakters.
Warum es sich lohnt, Bukowski zu lesen, lässt sich ganz einfach erklären: weil es ist als würde man plötzlich in eine Schlägerei geraten, plötzlich seinen Job verlieren, plötzlich die Untreue seines/r Partners/in ins Gesicht geklatscht bekommen oder von einem Auto angefahren werden. Weil das, was er schreibt, frontal ist; es versucht sich nicht einzunisten, eine Perspektive vorzugaukeln und etwas zu vertiefen, es kommt nicht von der Seite, mit der Hand auf deiner Schulter, oder beginnt am Horizont aufzuscheinen oder schleicht sich von hinten an. Es ist da, du siehst es sofort.
Mit 16, 17, 18 hatte ich den Eindruck, als sei ich besonders gut, ich ging in die Bibliotheken, aber es gab nichts zu lesen. Ich suchte in sämtlichen Lesesälen, durchsuchte sämtliche Bücher. dann ging ich hinaus auf die Straße und sah das erste echte Gesicht, die Häuser, die Autos, nichts von dem, was in den Büchern stand, hatte irgendeinen Bezug zu dem, was ich draußen sah, es war nichts als Theater, eine Farce. und keine Rettung weit und breit. […] Ich soff und fickte mich durchs Leben, ich randalierte in Bars, warf Scheiben ein und bekam auf die Fresse, dass mir Hören und Sehen verging, aber ich lebte zumindest. Ich hatte von nichts eine Ahnung, aber ich arbeite dran. […] Mit meiner Schreibmaschinen-Zunge leckte ich meine ganze gottverdammte Seele aus. […] Ich will so vieles, aber wenn wir in das wenige, das uns am Ende interessiert, noch ein bisschen Kunst reinschlenzen können, dann soll mir das reichen.
Es liegt mir fern (sehr fern), Bukowski zu glorifizieren. Ich verurteile seine Misogynie, vermisse immer wieder Sensibilität, ich fühle mich unwohl bei vielen seiner dahingesagten Behauptungen, ich teile sein Faible für Männlichkeit und Misstrauen nicht. Bukowski war wohl so ein Typ, mit dem man in einer Bar versehentlich ins Gespräch kommt oder nachts um Vier an der Würstchenbude und der einem dann einfach zu straight ist, zu heftig. Man bekommt Angst, ist kleinlaut, wird vielleicht sogar ohne es zu wollen in den Bann geschlagen.
Aber diese Menschen gibt es nun mal. Und Bukowski wusste selbst, dass er so jemand war. Und seine einzige Antwort darauf war: scheiß drauf. Ich bin so. Das nötigt weder Respekt noch Huldigung ab, aber es führt kein Weg dran vorbei, dass Bukowskis Texte und Briefe von einer ungefilterten Realität sprechen, von Elend und Gewöhnlichkeit, kleinen Freuden und zum Himmel schreienden und stinkenden Verhältnissen.
Und auf all den Seiten voller Gedichte oder Storys oder eben Briefe, was auch immer, wird einem bewusst, was dieses beschriebene Elend von den Menschen fordern muss. Es sind keine Menschen, die in Kriegsgebieten oder Erdteilen, die von Hunger und Seuchen heimgesucht werden, leben, das nicht. Aber sie leben trotzdem im Elend; in einem Elend, das nichts Herzergreifendes hat, sondern nur banal, hässlich, einfältig, dumm und roh ist – oder zumindest so scheint.
die Kunst transportiert ihre eigene Wahrheit bzw. Unwahrheit, und erst die Zeit wird zeigen, was was ist.
Klartext: dieser Briefband ist keine Offenbarung, er ist keine schöne Lektüre, höchstens eine heitere und unterhaltsame. Wer Bukowski schätzt, wird gut bedient. Wer Krawall-Lektüren mag und Bücher, bei denen keine Blätter vor den Mund genommen werden, bei denen es zur Sache geht, der wird ebenfallls zufrieden sein. Wer hofft, zwischen diesen Buchdeckeln eine Erklärung für das Phänomen Bukowski zu finden ... einige Ansätze und Selbstbeschreibungen sind enthalten, aber eigentlich unterscheiden sie nicht von denen in seinen teilweise wunderbaren, teilweise wahnwitzigen Gedichten und seinen größtenteils unerträglichen Romanen (mit Ausnahme von Post Office). Sie heben sich vielleicht etwas deutlicher ab als in den belletristischen Werken.
Bleibt nur, am Ende, nach dem Schwall der Schimpfworte und Hoffnungen, das Buch zuzuschlagen und wieder mal ein Gedicht von Bukowski zu lesen. Ich empfehle „Rain“ oder „The History Of One Tough Motherfucker“ oder „My old man“ oder „Luck“ oder kauft euch nen Band oder „Ende der Durchsage“.
Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Sie können diese Gedichte behalten, solange Sie wollen, denn wenn Sie sie zurückschicken, schmeiße ich sie doch nur weg.
Fixpoetry 2017
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