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Kritik

zwischen Glück und Unglück liegt das Meer

Hamburg

Es gibt Gedichtbände, die einen mit Vorfreude auf den nächsten erfüllen. Weitwinkel nah von Barbara Zeizinger war ein solcher, nun ist er da, ihr nächster Gedichtband: Wenn ich geblieben wäre.

Der Titel wirft viele Fragen auf. Was wäre wenn ich geblieben wäre? Wenn ich wo geblieben wäre? Oder wenn ich was genau geblieben wäre? Das erste Gedicht, aus dem diese Zeile stammt, entzieht sich diesen Fragen jedoch etwas und gibt doch Antwort, indem es keine Antworten gibt:

Wenn ich geblieben wäre
im Wispern der Blätter,
im Rot der Kirschen,

Damit ist schon alles gesagt, mehr braucht es nicht, um alles zu sagen. Denn das Klettern auf Bäume steht bei Barbara Zeizinger für die Kindheit, das Kind-Sein an sich, und taucht auch in anderen Gedichten als Motiv auf:

Damals hing ich oft im Kirschbaum,
Himmelsstücke über mir, war Luftwurzel,
fing Worte ein über zaunlose Gärten.

Bäume stellen dabei einen Zufluchtsort dar, stehen für Geborgenheit, da das Kind von den Blättern zugleich verborgen wird, aber doch teilnimmt an der Welt, da es von Oben einen besseren Überblick hat und hört was rundum geschieht. Wenn das Klettern auf Bäume für Kindheit steht, ist es nur naheliegend, dass das Verlassen des Baumes für Erwachsenwerden, bzw. Emanzipation steht. Das lässt sich besonders am Gedicht Lucy in the Sky beobachten. Darin geht es um Lucy, das  3,18 Millionen Jahre alte Skelett, welches 1974 in Äthiopien gefunden wurde. Barbara Zeizinger bezieht sich in ihrem Gedicht auf die Namensgebung, für die der Beatles-Song verantwortlich war und beschreibt den Übergang von Klettern und Laufen, wie Lucy nachts noch Schutz auf Bäumen sucht, aber sich ansonsten sehr bewusst und selbstbewusst für den aufrechten Gang entschieden hat:

Ich sehe sie, klein und zart (Kindergröße 110). Vorsichtig
bewegt sie die Beine, stolpert, gibt nicht auf. Sie hat sich
entschieden, will aufrecht durchs Leben gehen.

Lucy ist damit nicht die einzige starke Frau in den Gedichten von Barbara Zeizinger, es gibt da auch noch Lots Frau, die sich umdreht, statt zu fliehen. Diesen Akt interpretiert Barbara Zeizinger um, sieht ihn als Ausdruck der Willensstärke, nicht der Schwäche:

[…] Lots Frau
hat sich hier umgedreht, den Engeln nicht
gehorcht, an den Kaufmann, den Bäcker,
an Nachbarn gedacht. Ihr Mann lief weg.
Sie aber sah das Feuer. Luft und Lungen sich
mit Staub füllen. Wie konnte sie fliehen
mit brennenden Freunden auf der Netzhaut und
so viel Salz in den Augen? […]

Auch Barbara Zeizinger selbst ist eine starke Frau, was nicht sehr verwundert, wenn man weiß, dass sie ausgerechnet am 8.März, dem Frauentag, geboren wurde, wie eines ihrer Gedichte verrät. Zu Veröffentlichen zu beginnen ist ein großer Schritt, der einem viel Mut und Stärke abverlangt. Barbara Zeizinger hat im Vergleich zu anderen erst spät damit begonnen, wodurch dieser Schritt zu einem ungleich größeren und schwierigeren wird. Ich persönlich bin ihr sehr dankbar dafür, dass sie diesen Schritt gewagt hat und weiter verfolgt, da ich die Lyrik von Barbara Zeizinger sehr schätze. Ihr Umgang mit Worten und Sprache vermittelt den Eindruck von Anmut und Leichtigkeit, zugleich verhandelt sie darin aber mitunter sehr ernste, traurige und schwere Themen. Diese Zusammenführung von Leichtigkeit mit Schwere ist sehr bemerkenswert und bringt die Gedichte in gewisser Hinsicht zum Schweben.

Am Cover von Wenn ich geblieben wäre ist ein herbstlich gelb gefärbter Parkbaum zu sehen. Roter Faden durch den Gedichtband stellt neben dem Rauschen der Blätter vielleicht noch mehr das des Meeres dar, das immer wieder und wieder in Gedichten auftaucht, als Sehnsuchtsort ebenso wie als tatsächlicher. So kann man das Meer auch während einer Fahrt mit der Regionalbahn zwischen den Seiten eines Buches finden:

Du schaust nicht hin, bist in Havanna,
eilst durch Zeilen hin zum Meer.

Das Meer steht bei Barbara Zeizinger auch für ein Dazwischen, für einen Übergangs-, Grenz- und Zwischenbereich, es liegt zwischen Glück und Unglück, zwischen Anfang und Ende:

Hier ist kein Meer, nur dieses Gefühl
ohne Anfang und Ende.

Das Meer selbst wird dabei zu einem Ruhepol, einem haltgebenden Ankerpunkt, da es ganz schlicht und einfach immer noch da ist:

Ich schließe die Augen. Wenn ich
sie wieder öffne, ist da immer noch
das Meer, übersät mit Blau.
Nichts hat sich verändert.

Aber nicht nur das Meer ist bei Barbara Zeizinger in einem Dazwischen angesiedelt, auch ihre Gedichte. Schon der Titel Wenn ich geblieben wäre verweist auf ein davor und auch der Beginn des Gedichtbandes ist kein Beginn an sich, sondern schon ein Mittendrin, denn das erste Kapitel trägt die Überschrift „Die Zeit dazwischen“. Jedes Kapitel fängt, wie auch schon in Weitwinkel nah, mit einem Haiku an und auch im ersten Haiku befinden wir uns bereits mitten auf dem Weg, statt an einem Anfang:

 

Es fehlt der Hinweis
auf dem Weg von A nach B.
Ein Baum ist gefällt.

A und B sind austauschbar, der Weg dazwischen ist es nicht, er ist auch dann noch da, wenn die Hinweise auf ihn fehlen. Das Ganze lässt sich auch ganz einfach von Raum auf Zeit umlegen, was Barbara Zeizinger in einem anderen Gedicht auch tut:

[...] Sekunden,
Stunden, Jahre. Start und Ziel.
Es ist die Zeit dazwischen, die zählt.

Womit wir beim Phänomen der Zeit angelangt wären, dem Barbara Zeizinger sehr viel Aufmerksamkeit schenkt. Besonders angetan haben es ihr Augenblicke scheinbarer Zeitlosigkeit, bzw. Momente der Zeitauffaltung, in denen die Zeit Falten schlägt. In ihren Gedichten kann es passieren, dass man unvermutet eine ganze Stunde Zeit ohne jegliche Verpflichtungen findet, indem man ganz einfach auf die Winterzeitumstellung vergisst:

Ich bin zu früh am Treffpunkt.
Eine vergessene Stunde.
Nichts wird von mir erwartet,
nicht einmal, dass ich da bin.

Oder es ist auch möglich, aus der Zeit heraus zu fallen:

Stimmengewirr. Ich bin aus der Zeit
gefallen, am Rand der Gespräche
lächle ich sprachlos um Verzeihung.

Barbara Zeizinger geht sehr sensibel mit Zeitwahrnehmung um und verortet ihre Gedichte im Hier und Jetzt. Das bedeutet, dass sie sich ihrer Wurzeln sehr bewusst ist und in den Gedichten thematisiert. Ausgehend von einem Individuum wären die Wurzeln zunächst einmal die eigenen Eltern. Im Gedichtband finden sich Gedichte zum roten Tupfenkleid der Mutter sowie zur Bucht in der ihr Vater als Soldat die Amerikaner erwartete und in der heute Segler und Surfer anzutreffen sind. Und damit wären wir schon einen Schritt weiter in der Vergangenheit, beim zweiten Weltkrieg. Ein weiteres Gedicht bezieht sich auf den Krieg, aber diesmal ohne persönlichen Elternbezug sondern ausgehend von Gerhard Richters Fotoübermalungen Birkenau. Denkt man den Rückblick in die Vergangenheit weiter, dann kommt nach der Eltern- die Großelterngeneration und so taucht auch die Großmutter in Gedichten auf:

Sie gehörte nirgendwo hin,
in keinen Ort, in keine Zeit.

Und wenn man noch viel weiter zurück geht, landet man irgendwann bei Lucy, die sich für den aufrechten Gang entschieden hat. Aber auch das war nur ein weiterer Schritt auf einem bereits begonnenen Weg, an dessen möglichen Beginn man dann auf Rote Riesen und Weiße Zwerge trifft, ohne die es uns nicht gäbe. Das wäre einmal die Verortung innerhalb der Gedichte in Richtung Vergangenheit. Aber auch in Richtung Zukunft blickt Barbara Zeizinger, wenn die Kinder ihrer Kinder durch die blaue Tür in einem der Gedichte raus und rein laufen. Oder wenn ein Gedicht mit folgenden Zeilen endet:

Wir werden Zeiten üben. Zukunftssätze.

Das Leben selbst spielt sich eben im Dazwischen ab, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wenn sich Barbara Zeizinger mit ihren Gedichten so genau und bedacht zwischen Vergangenheit und Zukunft verortet, dann tut sie das nicht, um die Gegenwart auszublenden, sondern um sich ihrer im Gegenteil bewusster zu werden. In einigen Gedichten kommen ganz ausdrücklich Nachrichten vor und zum einen wird der Wunsch ausgedrückt „die Dinge beim Namen“ zu nennen, also auch unerträgliche Bilder wie lautlos zusammenfallende Häuser, oder zur Flucht gezwungene Menschen. Zum anderen sind Nachrichten und ihre Bilder, denen man sich kaum entziehen kann, auch etwas schwer zu Ertragendes, denen man manchmal einfach nichts anderes als ein Gedicht über Leonard Cohen entgegen setzen kann:

Im Garten Regenmuster. Heute
ertrage ich keine Nachrichten, keinen
Weltuntergang. Zur Abwehr schreibe
ich ein Gedicht. Über den Sänger, den Poeten.
Über den Riss in allem, durch den das Licht drängt.

Gedichtauslöser kann vieles sein: ein Gespräch, ein Bild wie „Der Mönch am Meer“, ein Foto, eine Erinnerung an eine Farbe, ein Lied, oder auch ein Zitat. So wird beispielsweise im Kapitel „Grundton Büchner“  jedem Gedicht ein Zitat aus einem Text von Büchner vorweg gestellt.

Barbara Zeizinger ist in ihren Gedichten eine ebenso stille wie genaue Beobachterin und Zuhörerin. Sie bemerkt, was andere leicht übersehen:

nur ein Detail: Drei Elefanten
(millimetergroß) verlieren sich im Raum

Und sie entdeckt nicht nur, was leicht zu übersehen wäre, sondern auch, was noch gar nicht zu sehen ist:

Täglich betrachte ich die Knospen
des Apfelbaumes vor meinem Haus, schreibe
ins Tagebuch: immer noch kein Weiß.
Ich schließe die Augen. Sehe, was ich nicht sehe.

Barbara Zeizinger ist ein Mensch, der viel und gerne reist, hat sie doch einige Reiseberichte geschrieben. Doch um zu Reisen, muss man sein Land gar nicht verlassen, begegnet man der Welt und seinen Mitmenschen nur offen und aufmerksam genug:

Gewürze in der Hand. Die fremde Schrift.
Sekunden in Zeitlupe. Wie ihr Blick in ein Land
fliegt, in dem sie alles verstanden hat.
Gegen meinen Willen nimmt sie mich mit.

Schreiben wird bei Barbara Zeizinger zu einem Innehalten um ganz genau hinzusehen und zuzuhören. Sie lauscht der sie umgebenden Welt, dem Wispern der Blätter, den gedachten Schattenworten eines langen Schweigens und hört selbst der langen Geschichte zu, die ihr ein hellgrauer Kieselstein erzählt. Aber vor allem hört sie den Menschen zu, die ihr begegnen und dem, was ihr ihre Blicke und Worte erzählen:

[...] Selten saßen
Sandlerchen auf unserem Haus, sagt er.
Scheue Vögel, mit zimtfarbenem
Gefieder, geeignet für Verstecke.
Nur wenn sie sich lieben, wagen sie
viel, fliegen hoch hinaus und singen.
Dann erst nimmt man sie wahr.

Vielleicht kann man die Gedichte von Barbara Zeizinger als sehr stille Gedichte bezeichnen. Es ist allerdings eine starke Stille, bzw. stille Stärke, die sie ausstrahlen. Ihre Gedichte sind damit...

[...] Gedankenflüge.
Lautlose Libellen, die plötzlich ihre Richtung
ändern, mitunter in der Luft verharren.

Barbara Zeizinger
Wenn ich geblieben wäre
Pop Verlag
2017 · 84 Seiten · 14,00 Euro
ISBN:
978-3-86356-179-6

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