Rein in die Komfortzone!
Dass Deutschland sich immer noch seiner Dichter und Denker rühmt, ist eins. Dass sich darunter auch eben viele Deppen tummeln, ein anderes. Heutzutage mehr als sonst, so scheint es zumindest nicht allein mit Blick auf die SPIEGEL-Sachbuch-Bestseller der Monate Juni und Juli. Während in den USA seit, na, ungefähr Ende Januar dieses Jahres Hannah Arendts Ursprünge und Elemente totalitärer Herrschaft diskutiert wird, hat das Böse scheinbar mit seiner ganzen Banalität den deutschsprachigen Kulturbetrieb erfasst.
Unter dem Titel Renegaten, Verräter, Konvertiten, Überläufer oder Überzeugungstäter vollzog Georg Seeßlen zuletzt in der Online-Zeitschrift getidan nach, warum so viele Intellektuelle derzeit nach rechts abdriften und mit Blick auf die Diskursschwächeleien der letzten Jahre bestätigt sich immerhin, dass es eher einen Schritt nach rechts denn vorwärts geht. Das geht vom esoterischen Kulturkonservatismus eines Shooting-Stars wie Byung-Chul Han über Peter Sloterdijks theoretische – und nicht immer praktisch durchdachte – Orgasmusforschung hin zu den anti-intellektuellen Großkotzigkeiten eines Michael Kleebergs, der die »deutsche Neurose« bezüglich des Holocausts und den vermeintlichen Übertrag auf deutsche Flüchtlingspolitik für ein wenig überholt findet.
Es geht aber noch viel weiter und also noch viel schlimmer. Das mag manche nicht stören, das mögen einige vielleicht für den natürlichen oder zumindest gesellschaftlichen Lauf der Dinge halten – wenn sie es nicht sogar begrüßen. Fakt ist aber zumindest eins: Wie verträglich oder verstörend der deutsche Anti- oder Rechtsintellektualismus auch sein mag, es fehlt im deutschsprachigen Raum an Widerspruch. Theoretiker wie Wolfgang Streeck oder Armen Avanessian halten sich kaum noch damit auf, selbst auf Deutsch zu schreiben, andere hingegen verlieren sich in Partikularfragen oder in, mit Gruß an Richard David Precht, was auch immer gerade angesagt ist. Vielleicht also mag es stimmen, was insbesondere von den USA kritisiert wird und die sogenannte Postmoderne – konkreter: der Poststrukturalismus französischer Prägung – hat den politischen Diskurs ruiniert. Vielleicht aber sind die Gründe dafür jedoch ebenso banal wie von Seeßlen skizziert. Vielleicht geht es um Profilierung, um reine Ideologie, um ökonomische Interessen.
So oder so scheint in der Philosophie, zumal ihrer deutschen Ausprägung, etwas am Ende angekommen zu sein. Alain Badiou zumindest sieht den »französischen Moment« der Philosophie in den letzten Zuckungen begriffen. Dieser Moment, so der erklärte Vertreter einer Art messianischen Kommunismus, sei als deutsch-französischer geboren worden und das Projekt habe darin bestanden, sich in einem »neuen Ort« einzurichten, sich die Philosophie »nicht akademisch zu begrenzen, sie in einer sehr lebendigen Weise zu ihrem Äußeren in Bezug zu setzen«. Badiou sagt das im Januar 2016 schon am Anfang einer von Jan Völker moderierten Diskussion mit Jean-Luc Nancy an der Berliner Universität der Künste, die nun bei Matthes & Seitz unter dem Titel Deutsche Philosophie erschienen ist und ihr Projekt offenkundig selbst aufgegeben hat.
Immer wieder dringt Völker mit Fragen zur Schnittstelle von Politik und Philosophie oder zur Gegenwartsbestimmung auf die beiden ein, doch die Antworten zerreden das Potenzial dieser Anknüpfpunkte mit entweder größeren Rundumschlägen (Badiou) oder penibler Kleinteiligkeit (Nancy). Nicht selten wirkt es, als wüssten Badiou und Nancy nicht unbedingt, was sie überhaupt sagen sollen oder warum sie überhaupt als zwei Franzosen – »Das ist doch merkwürdig!«, wirft Nancy ein – dazu eingeladen wurden, über deutsche Philosophie zu sprechen.
So geht es dann auch im Verlauf um die üblichen Hausnummern und deren Auslegungen durch Badiou und Nancy: Kant, Hegel, Heidegger. Über Marx sprechen die beiden und tun es doch nicht, zumindest wollen sie ihn nicht unbedingt als Philosophen gelten lassen oder jedenfalls sein Diktum von der Philosophie als Interpretation der Welt nicht so ganz stehen lassen. Da immerhin sind sie miteinander einig, das freut sie. Auf Adorno angesprochen lässt sich Badiou allerdings dazu hinreißen, einen Schatten des alten Projekts wiederaufstehen zu lassen und fordert, »neue Formen der affirmativen Dialektik zu erfinden«, das heißt letztlich mit Schmackes die Probleme positiver anzugehen, als es der Frankfurter Griesgram seinerzeit tat.
Konkreter wird und muss es auch nicht unbedingt werden, mehr als das bisschen produktiver Lesebiografismus der beiden Überlebenden des französischen Moments und ein paar Detailüberlegungen zu diesem oder jenem deutschen Denker bleibt aber nach neunzig Seiten Gesprächstranskript. Das ist nicht nur deshalb schade, weil es der überbordenden Überschrift nicht gerecht wird – wie könnte es auch? –, sondern weil es sich aus dem Geiste des Überlebthabens oder vielleicht sogar Überholtseins weitgehend der Gegenwart versperrt. In jüngerer Zeit entstandene Strömungen wie den spekulativen Realismus, der immerhin mit seiner Ausrichtung auf bildende Kunst und Literatur das alte Projekt unter neuen Umständen reaktualisieren könnte, werden von Nancy in den abschließenden Worten als »naiv« in ihrer Grundannahme verworfen. Sieht so poststrukturalistischer Philosophiepessimismus aus?
Deutsche Philosophie liest sich als Gespräch wie eine Parabel auf eine Philosophie, die ihr Projekt nicht nur für endlich erklärt, sondern es gleich aufgegeben hat – und alle möglichen Alternativen gleich mit. Badiou wendet sich schon am Ende seiner ersten Wortmeldung an sein vorwiegend deutsches Publikum und erklärt, dass »die Frage nach dem französisch-deutschen Verhältnis« und, implizit zumindest, das erklärte Projekt von ihm abhängen werden. Das stimmt sicherlich und vielleicht sollten es sich einige hinter die Ohren schreiben. Danach hätten aber auch im Anschluss an einem gemeinsamen Glas Rotwein im Foyer alle nach Hause gehen können. Rein in die Komfortzone – oder was?
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