Interview

Im Gespräch: Stanisław (Stan) Strasburger redet mit Martin A. Hainz

Stanisław Strasburger, der vermutlich angesichts dessen, was Deutsche mit dem ł in seinem Namen anstellen, Stan angeredet zu werden bevorzugt, und ich kamen am Rande einer Lesung ins Gespräch, und zwar einer Lesung aus seiner Sachbuchfiktion Besessenheit. Libanon und dem Roman Der Geschichtenhändler, der in deutscher Fassung Anfang 2018 erscheint. Dabei ergab sich schnell mein Interesse an einem Fortsetzen des Fragens und Antwortens (oder Zurückfragens) – und erfreulicherweise teilt der Autor das Interesse, weshalb es zu folgendem Q/A via E-Mail kam.

 

Martin: Lieber Stan, abgesehen von dem, was man aus der Lektüre deiner Texte und der wikipedia etc. erfährt – was sollen deine Leser über dich unbedingt wissen? Und was glauben sie nur zu wissen?

Stan: Wenn man ein Buch liest, soll man etwas über den Autor wissen? Die Meinungen gehen da weit auseinander. Deshalb möchte ich hier niemandem etwas aufzwingen. Ich persönlich mag es, mir einen Menschen hinter einem Text vorzustellen. Beim Bücherkauf schaue ich mir gerne Infos über den Autor im Vorfeld an. Wenn ich politische Kommentare schreibe und mich auf Aussagen von Politikern oder anderen Personen des öffentlichen Lebens beziehe, versuche ich ein Gefühl dafür zu bekommen, was ist das jeweils für ein Mensch. Stundenlang mit einander zu reden klappt in vielen Fällen natürlich nicht. Aber auch eine kurze persönliche Begegnung ist mir viel wert. Gerade in der Politik bin ich da ein wenig idealistisch: Suchten wir nach dem Menschlichen in der Politik, könnten wir so manchen Konflikten aus dem Weg gehen. Gewalt entsteht, wenn der Mensch von abstraktem Gedankengut in den Hintergrund gedrängt wird. Als Schriftsteller suche ich nach dem persönlichen Kontakt zwischen Autor und Leser. Ich gehe gerne auf Lesungen oder engagiere mich in Diskussionen. Ich beneide auch Musiker, die im direkten Kontakt mit dem Publikum Musik machen können. Als Schriftsteller, vor allem einer, der Romane schreibt, kann man nur etwas vorlesen. Literatur live „machen“ geht bei mir leider kaum.

Martin: Begegnet man Stan persönlich in deinen Texten?

Stan: Ich schreibe gerne in der „Ich“-Form. In Polen benutze ich oft auch noch ein Pseudonym. Damit möchte ich dazu einladen, meine Texte als ein Spiel zu betrachten zwischen der realen Person, also mir, mit meinen persönlichen Erfahrungen, und den Figuren, deren fiktives Leben ich sozusagen erdichte. Nebenbei (s)ein Leben zu erdichten ist nichts Ungewöhnliches. Jeder von uns macht das. Wenn wir von uns selbst erzählen – Freunden, Arbeitskollegen, Unbekannten – vermischen sich Erfahrungen, Erinnerungen, Selbstdarstellungen und Fantasien. Schriftsteller machen sich aus diesem Vermischen einen Beruf.           

Martin: In Besessenheit. Libanon wie auch sonst in deinen Texten geht es um die Frage, was man überhaupt verstehe, wenn man nicht wisse – wenn man also dem vertrauen muss, der einem das zeigt, was man durch das Zeigen allein doch nicht verständlich sein muss und vielleicht auch nicht verständlich sein kann. Dementsprechend verhalten sich deine Reportagen zu ihrem Genre kritisch, sind aber dabei auch nicht einfach Erzählungen; könntest du das genauer erklären?

Stan: Das (Nicht-)Wissen betrifft ja freilich nicht nur Selbst-Erzählungen. Besessenheit. Libanon ist ein Untertitel beigefügt: Sachbuchfiktion. Gerade wenn es um Geschichte, Gesellschaft oder Politik geht, wollen wir darauf vertrauen, dass journalistische oder sachliche „Berichte“ uns irgendeine verlässliche Erkenntnis vermitteln. Je ferner die Welt, über die „berichtet“ wird, desto mehr Klarheit erwarten wir. Ich habe insgesamt einige Jahre im Libanon, Syrien und Jordanien verbracht. Gegenüber einer fremden Realität fühlte ich mich vor allem verloren. Ganz ehrlich, geht das nicht jedem von uns so? Komischerweise fehlt in Sachbüchern von dieser Verlorenheit jede Spur. Als Schriftsteller möchte ich diese Verlorenheit thematisieren. Deshalb schrieb ich ein Buch, das mit den literarischen Mitteln eines Romans über die heute so turbulent erlebte Welt des arabischen Nahen Ostens erzählt. Das „Ich“ und seine Verlorenheit in der Fremde steht dort genauso im Mittelpunkt wie die Politik in der Region. Es ist eben eine persönliche Begegnung, kein Bericht.  

Martin: Der Geschichtenhändler ist dein Debütroman – was erwartet den Leser, ohne zuviel zu verraten? Oder wäre dieses Nicht-zuviel-verraten-Wollen da schon ein Missverständnis?

Stan: Jan, mein Ich-Erzähler, reist nach Syrien kurz vor dem Bürgerkrieg. Er arbeitet für einen Gaskonzern und wird in die syrische Wüste entsandt. Es ist die Gegend, die man heute als Gebiete des sog. IS kennt. Seine Begegnung mit der fremden Welt ist von Texten geprägt: Er liest Reiseführer, aber auch Romane und Poesie, die Bezug zu der Region haben. Mithilfe der Lektüre versucht Jan mit der neuen Realität klar zu kommen. Das ist manchmal nur lustig, manchmal auch tragisch. Nach und nach gerät sein Leben ins Wanken. Er schmeißt seinen Job hin und irrt durch die Großstädte der Region (Aleppo, Damaskus, Akaba, das libanesische Tripolis). Dabei verliebt er sich unglücklich in eine junge Studentin und findet sich auf geheimnisvolle Art und Weise in seine Pubertät zurückgeworfen. Plötzlich passieren ihm ganz seltsame Dinge: Dante dichtet vor seinen Augen mit seinem syrischen Konkurrenten Al-Ma'arri um die Wette, der Wüstenheilige Simeon erzählt ihm von seiner Verlobten, die er für den Ruhm als weltberühmter Asket verstoßen hat, und in einem Damaszener Bad muss Jan vor einem Affenkopf unter den Rock seine Mutter flüchten ...          

Martin: „Mich gab es damals überhaupt nicht“, heißt es im Geschichtenhändler.  änderst du dich von Text zu Text und Ort zu Ort, wenn du u.a. zwischen Köln, Warschau und Beirut unterwegs bist – und wenn ja: wie?

Stan: Verändert man sich nicht ständig, von Minute zu Minute? Das ist für mich gerade das Spannende: Durch das Reisen wird man damit direkt konfrontiert. Denn eine neue Umgebung darf einen nicht darüber hinwegtäuschen, wo die Veränderungen verortet sind – nicht nur „da draußen“, also in einer neuen Stadt, in einer neuen Landschaft, sondern vor allem: Man wird selbst zu einem neuen „Ich“. Man kann sich diese beiden Prozesse der Veränderung wie zwei Spiegel vorstellen, die jemand einander gegenüber gestellt hat. Schreiben ist für mich, als ob ich selbst zwischen diesen zwei Spiegeln stehen würde. Egal ob ich links oder rechts schaue, ich sehe eine unendliche Spiegelung, immer leicht verändert.       

Martin: Du sprichst Deutsch, lebst in Berlin, schreibst aber auf Polnisch und lässt deine Bücher übersetzen. Ich möchte damit zu etwas kommen, das mich bei deinen Texten rasch beschäftigte – ich muss gestehen, dass ich mich ja erst einlese und orientiere –: Du hast das Polnische als Muttersprache, wiewohl du insbesondere im Deutschen ja auch zuhause zu sein scheinst. Wie ist es für dich, in eine Sprache übersetzt zu werden, die du kennst, wie groß ist die Versuchung, manchmal zu intervenieren oder zu korrigieren, und wann besonders?

Stan: Meine Partnerin ist gleichzeitig meine Übersetzerin ins Deutsche. Dabei bilden wir ein Arbeitsteam. Ich betrachte es als ein besonderes Glück, dass ich einer Person, die mir nahesteht, meine Texte anvertrauen kann und gleichzeitig in der Lage bin, mit ihr über den Text auf Deutsch inhaltlich zu reden. Das Ergebnis nennen wir eben immer „deutsche Fassung“ und nicht etwa bloß „Übersetzung“. Der Text lebt und wandelt sich in einer neuen Sprache.

Martin: Und wäre es denkbar, dass die Übersetzung andererseits deinen Text schon fast berührt, als „Nachreife“ (W. Benjamin) oder jedenfalls als Infragestellung dessen, dass der Text noch dein Text und diese deine Sprache ist? Wann, wo..?

Stan: Mein Text in einer neuen Sprache ist immer eine Infragestellung des Originals. Das ist auch gut so. Ich habe Schriftstellerkollegen, die sich von ihrem Text nach der Veröffentlichung so gut wie verabschieden. Sie wollen ihn nicht mehr lesen, interessieren sich nicht für die Übersetzungen. Für mich lebt mein Text mit mir weiter fort. Ich mag es, ihn zu begleiten in den diversen Gestalten, die er bei den einzelnen Lesern und in den einzelnen Sprachen annimmt. Am liebsten würde ich mich in jedem Exemplar meiner Bücher verstecken. Dann könnte ich das Lächeln, die Empörung oder die Langeweile meiner Leser direkt beobachten ...

Martin: Du erwähntest als einen Lieblingsautoren Robert Menasse – was zeichnet ihn für dich aus, wo kannst du dein Schreiben mit seinem in Beziehung setzen?

Stan: Robert Menasse habe ich als politischen Autor kennen gelernt. Ich fühle mich vielen Ideen nah, die er vertritt. Ich glaube, dass das nationale Projekt inklusive der Nationalstaaten, wie sie sich Anfang des 19. Jahrhunderts herauskristallisiert haben, ausgesprochen viel Leid über die Welt gebracht hat. Warum sollte man an einem solchen Konzept festhalten? In Europa haben wir zwei sog. Weltkriege erlebt und eine Reihe von weiteren Konflikten. Außerhalb unseres Kontinents sehe ich noch weniger, wo das nationale Gedankengut Früchte getragen hätte. Ich denke, wir brauchen heute Mut, unsere politische Gegenwart neu zu denken. Die Auflösung von Nationalstaaten und die Gründung einer europäischen Republik verspricht meiner Meinung nach eine bessere Zukunft für die Bewohner unseres Kontinents. In diesem Sinne stehe ich mit Robert Menasse auf einer Seite.

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