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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Feindliche Umgebungen

Hamburg

doomsday kam und ich wünschte
ich könnte erzählen davon

Nun, warum es nur wünschen und es nicht einfach mal versuchen! In den Gedichten von Mario Osterland, die im Band „heimische Arten“ versammelt werden, hat man durchaus das Gefühl sich auf dystopischem, möglicherweise sogar apokalyptischem Terrain zu bewegen. Unterstrichen wird dieser Eindruck nicht nur durch das düstere Cover und die dunkle Lapidarität der Verse, sondern auch durch das Nachwort von Crauss, das die Lesenden geradezu einschwört auf die prophetische Intonation und die unheilverkündende Kraft dieser Texte.

Mario Osterland gelingt es, uns wie nebenbei beklemmung und schließlich grauen einzuflößen. […] am ende des bandes sind wir überzeugt, nicht die einzigen zu sein, die sich vor dem kommenden fürchten – aber die letzten.

Melodramatischer kann man ein Buch eigentlich nicht in Szene setzen. Da wurde etwas zu heftig auf die Pauke gehauen, etwas zu überdimensioniert orchestriert, in diesem Nachwort. Aber die Grundeinschätzung stimmt: dieses Büchlein ist in großen Teilen ein Gesang der Verlassenheit, der Nichtigkeit, vielleicht sogar der Angst, des Grauens.

Ich wand mich durch diese Ödnis
wie ein windspielartiges Tier
und versuchte den Schüssen auszuweichen
was mir leidlich gelang

als ich in die Falle ging
mit Fell und Fleisch
wartete ich bald auf den Klang
meiner aufgehängten Knochen

Um vielleicht nicht direkt vom Ende der Welt, von der Apokalypse zu sprechen, habe ich mir eine andere Wendung überlegt, die für mich die Atmosphäre in vielen Gedichten ganz gut umreißt: feindlich. Man kommt sich in diesen Gedichten nicht besonders sicher vor, was manchmal an der Informationslage liegt, manchmal an der Heftigkeit der Bilder, aber oft einfach daran, dass sich die Umgebungen, die Räume, wie aus dem Rahmen zu lösen scheinen, herunterfallen/-knallen und/oder sich plötzlich wie eine Flut von Asseln ergießen.

Dabei beginnt der Band noch mit relativ viel Bodenhaftung und eines der ersten Gedichte nimmt sich in seiner düsteren Profanität noch sehr kalkuliert aus, scheint einen klaren Bezugsrahmen zu haben: In „Die Alten“ heißt es:

sie liegen zwei uralte Nebel
auf Sofas ohne Gewicht
das Foto zeigt sie lebendig
sie selbst verstehen es nicht

Ein tristes Portrait. Einige andere Gedichte auf den ersten Seiten schmecken nach Provinzlangeweile und Gesellschaftskritik, nach Jugend und dem Versuch auszubrechen, sowie den unvermeidlichen Hindernissen, Enttäuschungen. Dann aber, je, das Gedicht „Ritual“:

du hattest meine Brust berührt
sie mit den Nägeln geöffnet
das Wasser lief langsam in mich hinein
wurde zu einem Sog der dich mitriss

Man könnte diesem Text und seinen Bildern natürlich sehr leicht eine erotische Konnotation andichten. Aber das erscheint mir doch sehr dünn und die Metaphorik zielt eher, so scheint es, auf etwas Verschlungeneres, Endgültigeres ab.

Nach diesem Einschnitt folgen einer paar schöne bis schaurige Liebesgedichte, die nicht wirklich zu der Tonlage der bisherigen Texte passen, aber einiges für sich haben, wenn sie auch fast schon Kitschverdacht aufkommen lassen.

unsere Geschichte ist die beste die ich kenne.
ein abgeschlossener Liebesroman mit offenem
Ende.

Dann verdichtet sich langsam das Abgeschiedene, die Feindlichkeit. Diese Feindlichkeit kann auch ganz fein in Erscheinung treten, wie etwa in dem Gedicht Whiteout (ein Phänomen, das vor allem im hohen Norden vorkommt, verursacht durch starken Schnee- und nur gedämpftem Lichteinfall, was eine gleichmäßige Helligkeitskontur von Boden und Himmel zur Folge hat, wodurch der Horizont quasi verschwindet):

der erzählte von unserem
langen Verschwinden gen Himmel
oder was immer das war
unter unseren Füßen

Schwer greifbar, vielleicht auch einfach knapp und gut chiffriert: in den restlichen Texten stoße ich immer wieder auf schroffe Ankündigungen, beschworene Entlegenheit, dünnen Irrsinn und ja, auch so etwas wie Verdammnis schimmert durch, keine bombastische, aber im Netz der Verweise sichtbar, gesponnen aus der Beharrlichkeit, mit der die Texte auf ihre Fragilität pochen.

Manche Ideen und Wendungen geben mir dabei Rätsel auf, bei denen ich mich nicht in der Lage sehe, sie zu lösen. Z.B. jenes Gedicht, dass, schlicht und unheilschwanger, so in mich hineinweht, -poltert:

rund um die Dörfer
gedieh angeblich grauer Weizen

für das sie Umgebende
waren die Alten blind
                        wie die Antiken

Ich verlange von einem Gedicht selbstverständlich keine Eindeutigkeit und auch keine ausgewiesene, angeleuchtete Einstiegsklappe. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich in diesen Zeilen zu einem Fokus finden soll, der die Motive greifbar, nahbar, erfahrbar macht. Grauer Weizen = altgewordene Felder? Altgewordene Fruchtbarkeit? Vergessene Ernten?

Inwiefern waren die Antiken für das sie Umgebende blind?; waren es nicht gerade die antiken Philosophen und Gelehrten, die versuchten für das sie Umgebende gerade nicht blind zu sein, es zu beobachten und daraus Schlüsse zu ziehen, während man in der Neuzeit Gesetze über alles stülpt, die man für allgemein gültig erachtet und deswegen nicht mehr beobachten muss, wie sich ein Gegenstand verhält? 

ein Traum, den ich aus Paris mitbrachte: meine Zähne drehen sich mir im Mund herum. mit jeder Nacht werden es mehr. ich spucke aus, sie wachsen nach, ich spucke aus. was es bedeuten soll weiß ich.

Man merkt, ich habe mich mit den Gedichten schwer getan. Vielleicht ist mir eine wesentliche Dimension entgangen. Sehr gefallen haben mir, bei aller Skepsis, die Gedichte im Zyklus „Fossile Gewässer“, die inspiriert wurden von den Gedichten eines anderen Apokalyptikers und Sängers von Ruinen: den Vier Quartetten von T.S. Eliot. Diesen Zyklus finde ich, man verzeihe mir das abgegriffenste aller Urteile: wunderschön. Vielleicht weil sie das Bizarre, das in diesem Band dominiert, aufwiegen durch ihre feine Machart. Hier wird aus feindlichen Umgebungen eine tiefgehende Idee von Umbruch und Verlassenheit destilliert, hier findet, so mein Eindruck, eine Transformation statt, während man in den anderen Texten einfach vor vollendete Schnittmuster gesetzt wird, geritzte Sachen, zu denen mir zumindest wenig einfällt.

Mario Osterland
heimische Arten
parasitenpresse
2017 · 42 Seiten · 9,00 Euro

Fixpoetry 2017
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