Hör mir auf mit avenidas!
Obwohl ich mich ohne zu zögern dazu bereit erklärt hatte, einen Bericht über die Podiumsdiskussion Kunst und die Macht der Worte zu schreiben, die anlässlich der nicht enden wollenden avenidas-Debatte stattfand, stellte sich mir wieder und wieder die Frage: Will ich mir den Scheiß wirklich antun? Nach all den zermürbenden, von Schnappatmung und Unsachlichkeit geprägten Reaktionen, die das Gedicht sowie die Solidaritätserklärung an den AStA der Alice-Salomon-Hochschule unlängst hervorgerufen hatte? Eine rhetorische Frage, die sich als zwecklos erweisen sollte, denn: Was nützte sie mir ohne Leser*innen? Ich hatte es also bitter nötig...
Müsste ich heute irgendwem „avenidas“ erklären, der über keinerlei Sachkunde verfügt, würde ich den Begriff nicht übersetzen, auch keinen Text rezitieren wollen oder die großen Schlagworte (hetero-)Sexismus und Zensur bemühen, sondern von einem Gedicht erzählen, das Ausgangspunkt eines Streites geworden ist, bei dem die übelsten Seiten des Bildungsbürgertums zum Vorschein kamen und immer noch kommen: Dünkel, Respektlosigkeit, aggressive Polemik, Ignoranz, Herabwürdigung anderer Erfahrungshorizonte sowie ein Agieren, statt Reflektieren.
Wie hart, um nicht zu sagen kriegerisch sich der Streit um die Neugestaltung der Fassade darstellt, veranschaulichte zum Beginn der Veranstaltung eine von Hannah Becker initiierte szenische Lesung, bei der Studierende der ASH exemplarische Schlagworte der Debatte („barbarischer Schwachsinn“, „Bilderstürmerei“, „Zensur“, „Feminismus“, „Solidarität“ etc.) sowie ausgewählte Zitate aus etlichen Blog-und Zeitungsartikeln vorlasen. Dass sich in der Summe zwei Lager deutlich abzeichneten (Empörung über und Verständnis für den AStA), vermochte dabei weniger zu überraschen als der Tonfall, der die beiden merklich voneinander unterscheidet. Auf der einen Seite ein überwiegend Zitat Friederike Gösweiner nüchtern-sachlich[r] Protest der Studierenden Zitatende und Unterstützer*innen, auf der anderen Seite Beleidigungen, Beschämungsversuche und Verunglimpfungen, die in einen autoritären Duktus eingebettet sind – ich spreche nicht für alle, sondern über Tendenzen.
Dass sich die ASH und das Haus für Poesie nunmehr anlässlich einer Podiumsdiskussion zusammengetan haben, ist umso erbaulicher, als Thomas Wohlfahrt in einer Pressemitteilung am 13.09.2017 noch gedroht hatte:
"Sollte das Gedicht von dem Preisträger Eugen Gomringer tatsächlich von der Fassade der Hochschule entfernt werden, steht das Haus für Poesie nicht mehr als Partner für den Poetik-Preis der Alice-Salomon-Hochschule zur Verfügung"
Offenbar ist also Interesse vorhanden, den Diskurs zu entschärfen und auf eine Aussöhnung hinzuarbeiten. Podiumteilnehmer*innen waren Thomas Wohlfahrt, Dr. Andrea Rödig, Barbara Köhler sowie Prof. Dr. Bettina Völter (Prorektorin für Forschung & Kooperation der ASH). Claudia Kramatschek – die ich phasenweise unangenehm tendenziös fand – moderierte die Runde. So erfreulich die Initiative an und für sich aber auch war, hat sie weniger neue Erkenntnisse hervorgebracht, als vielmehr altbekannte Positionen und Argumente präsentiert. Wenn es an dem Abend überhaupt etwas gab, das ein Novum darstellte, dann lediglich der zivilisierte Umgang unter den Podiumteilnehmer*innen, die nunmehr gezwungen waren, sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.
Thomas Wohlfahrt beteuerte wiederholt, kein diskriminierendes Potenzial in „avenidas“ erkennen zu können. Das Gedicht bestehe lediglich aus vier Substantiven, die mit der Konjunktion und verbunden seien, es gebe nicht einmal ein lyrisches Ich. Der Bewunderer gehöre ebenso zum Bild wie die Blumen, Alleen und Frauen. Der Text stelle ein Kommunikationsangebot dar, die Wirkung werde erst durch die Rezipient*innen vervollständigt. Des Weiteren merkte er an, es sei die ASH gewesen, die sich seinerzeit für das Gedicht entschieden habe. Eine Aussage, die Bettina Völter Lügen strafte, ging doch der Beschluss von der Rektorin aus und nicht aus einem demokratischen Abstimmungsprozess der Hochschule hervor. Die Prorektorin kritisierte noch einmal die gewaltvolle Debattenkultur aufseiten der selbsternannten geistigen Elite und betonte den Stellenwert, den Gendersensibilität sowohl für sie als auch die ASH besitze. Es geht Völter auch um die Frage Zitat Wer hat Macht über Räume? Zitatende.
Barbara Köhler, diesjährige Gewinnerin des Poetik-Preises der ASH, findet, dass Zitat gute Gedichte ein Spektrum an Lesarten haben. Wie hier ausgeschlossen worden ist, finde ich bedenklich Zitatende. Das Gedicht, das an der Fassade stehe, sei für alle. Es gebe aber nun einmal auch Leute, die fänden Zitat es steht nicht für uns Zitatende. Eine Lesart, die Köhler für legitim halte.
Andrea Rödig dagegen, die als Österreicherin den Streit aus der Ferne und mit einiger Verwunderung beobachtete, sprach aus, was beim Streit um „avenidas“ am ehesten zutreffen dürfte: Es gehe nicht ums Gedicht; es stelle lediglich eine Stellvertreterdebatte dar für Themen wie Gender, Feminismus, Hochschuldemokratie usf. Zitat Warum entsteht der Eindruck, dass es sich bei Gender und Rassismus um Ideologie und autoritäre Sprechverbote handelt? Zitatende. Es sollte die klügste Anmerkung des Abends bleiben.
Völter pflichtete Rödig bei und beklagte die überzogenen Vergleiche mit realpolitischen Bedrohungen ((„Kultur“-)Taliban – siehe Denis Scheck) und grauenvollen historischen Ereignissen (Bücherverbrennung). Die intellektuelle Elite werfe ohne Sinn und Zusammenhang mit Begriffen um sich. Die Aufmerksamkeit allerdings, die das Gedicht generiert, befindet die Prorektorin insgesamt für positiv. Sie komme nicht nur der Lyrik, die ein Nischendasein friste, zugute, sondern auch Gomringer selbst.
Rödig hält „avinidas“ für ein Klischeegedicht. Zitat Mann guckt Frauen auf Straßen an und findet sie schön Zitatende. Gelächter im Publikum.
Und so plätscherte die Diskussion, die es dergestalt bereits in etlichen Foren und Facebook-Kommentarspalten gegeben hat, noch weiter vor sich hin. Einen Vorschlag zur Güte unterbreitete bloß noch Köhler zum Ende das Gesprächs, die der Hochschule ein Gedicht schenken wolle wie Gomringer 2011: Warum nicht ein Gedicht der gegenwärtigen Preisträgerin (also Köhler) ausstellen und nach sieben Jahren durch einen Text des aktuellen Preisträgers ersetzen? Lachen im Publikum.
Wie zu erwarten war, fand keine Annäherung statt. Und sie konnte deshalb nicht stattfinden, weil nicht das diskutiert wurde, worum es eigentlich geht: Gender, überkommene Rollenbilder, Macht (über Räume) und Hochschuldemokratie. Dass ein kleines Gedicht wie „avenidas“ einen derartigen Konflikt verursachen konnte, wäre ohne das derzeitige politische Klima nicht möglich gewesen. In einer Zeit, in der Frauen sich flächendeckend erheben, vernetzen, solidarisieren, hinterfragen, fordern und an eingefahrenen Strukturen rütteln, gibt es mehr Verunsicherung denn je. Es wird allerdings der Tag kommen, an dem uns die verharmlosende, ignorante und diskriminierende Haltung ewiggestriger Männer und Frauen zum Thema Sexismus gleichermaßen absurd und unmöglich erscheinen wird wie Rassentrennung und Ständegesellschaften. Sprach die Genderideologin, Sofie Lichtenstein.
Anmerkung der Redaktion: Neben der am 20.Sept. 2017 bei uns erschienenen Solidaritätserklärung, finden Sie eine Linkliste aller relevanten Beiträge zur Debatte.
Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben