Literarische Berichte vom Jenseits
„Dass die Tauschware Geld und das Wechselbad Liebe und Hass seit einer größeren und einer kleineren Ewigkeit in erster Linie vereint die Welt und ihre Protagonisten antreiben, bestreite wer will. Hier, im einerseits völlig abgeschiedenen, andrerseits völlig offenen Raum, ist im kuehlen Schatten so ziemlich alles sonnenklar. Alles erscheint, wo wie es urspruenglich ist, nämlich ins rechte Licht gerueckt. Nichts entgeht dem entlarvenden Strahl. Jedes Schauspiel ist eines im direkten Sinn – fernab jeder Vorgaukelei. Das, was einmal war und bedrohlich einladend wirkt, ist ein einziges Sandburgenland. Liefert das Panoramabild vom ständigen Werden und Vergehen; den fruchtlos-zappeligen Versuchen von Dasein und Dortsein. Die dazugehörige Diagnose: verkehrt aufgefasste Welt. Sich abstrampeln fuer nichts … und wieder nichts. Die Erlösung, zumindest voruebergehend: der Zwischen(t)raum.“
Wenn jemand verlässlich vom Jenseits berichten kann, dann ist es die Literatur! Reinhold Aumaier überschreibt seinen Text über den Ausnahmezustand, der nicht von dieser Welt ist, einerseits mit Zwischentraum, andererseits gibt er auch noch der Textgattung ein Zwitter-Dasein auf den Weg: als Romanfantasie.
Um diesen Zustand, in dem nichts mehr so wie früher ist und das Neue vielleicht noch gar nicht ganz fertig installiert ist, geht es. Der Körper hat sich aufgelöst, was eine seltsame Ereignislosigkeit nach sich zieht. Denn mit dem Körper sind auch die Sinnesorgane verschwunden und ohne Sinnesorgane klappt es mit der Wahrnehmung nicht mehr. So beziehen sich beispielsweise Binsenweisheiten oft auf Sinnesorgane, wenn diese fehlen, gehen auch die Binsenweisheiten in die Binsen.
Das „fantasierende“ Ich formuliert beispielsweise etwas aus der ehemaligen Hüfte heraus, die sich inzwischen aufgelöst hat. „Ich weiß noch immer nicht, ob ich wach bin oder träume; möglicherweise sogar in einem dritten Zustand verharre.“
Ehe dieser Zustand eingetreten ist, dem offensichtlich eine Art Tod vorausgegangen ist, hat der Erzähler seiner irdischen Geliebten noch in die Hand versprochen, alles aufzuschreiben, wenn es ein Jenseits gibt und eine Schrift das aushält. Denn einmal Schriftstelle, immer Schriftsteller, ganz egal in welchem Körper oder Nichtkörper er steckt.
Auch sonst sind die neuen Erfahrungen noch recht mäßig, angeblich soll Gott in der Nähe wohnen, aber in dieser kurzen Zeit konnte er noch nicht ansichtig gemacht werden.
„Gehe mit dem Gefühl schwanger, einen Regentag auf Lager zu haben; austragen und auf die Welt bringen zu müssen.“ Mit solchen Jenseitseintragungen hält sich der Erzähler vorläufig über Wasser und nennt seinen Zustand „entgeistert“.
Manchmal tauchen in der Erinnerung Wunden auf, die auch ohne Körper noch schmerzen, das frühere Leben ist zwar irgendwie zu Ende gebracht, aber noch längst nicht aufgearbeitet. Vielleicht gibt es auch zwischen Körper und Seele etwas, das sich an beidem reibt, vielleicht ist es dieser Zwischentraum, der eine zu große Reibefläche aufweist.
Reinhold Aumaier erzählt von diesem seltsamen Thema, über das wir so wenig wissen, mit beinahe überspitzter Ironie. Die großen Gedankengänge, die es über das Jenseits gibt, werden oft wörtlich aufgegriffen und mit einer humoresken Volte aus den Angeln gehoben. Hinter der Geschichte, wie es einem körperlosen Erzähler im Jenseits so ergehen mag, steckt auch ein Stück Theorie der Poesie. Wenn es gelingt, das Jenseits zu beschreiben, dann gelingt auch die Poesie.
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