Kaffee und Kuchen auf zwei Rollwagen
„Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ lautet der Titel von David Foster Wallace bekannter Reportage, bei der eine Luxuskreuzfahrt zum Horrortrip wird. An der temporeichen Geschichte kommt wohl kein Leser trockenen Auges vorbei. Auch in der Neuerscheinung der beiden literarischen Freunde Björn Kuhligk und Tom Schulz beschreiben die Autoren schrecklich amüsante Zustände: „Zurück an Bord. Zurück im Bordleben. Der Panorama-Salon ist am Nachmittag, wenn Kaffee und Kuchen auf zwei Rollwagen zur Selbstbedienung angeboten wird, so gut gefüllt, dass es fast wie ein Café an einem Sonntagnachmittag wirkt. Gedämpfte und dennoch die Nervenzellen des Innenohrs massierende Panflötenmusik erklingt aus den beiden großen Lautsprechern, die neben Zlatkos Bühne stehen.“
Im Sommer 2016 hatten die Berliner Schriftsteller den Rhein bereist und aus ihren Erfahrungen und Berichten ein 367 Seiten starkes Buch gemacht, kürzlich bei Orell Füssli in Zürich erschienen. Von Köln bis Basel und zurück erfuhren Kuhligk und Schulz Landschaften und Geschichten über den Rhein, erkundeten Städte und interviewten Gastwirte, Winzer, Bürgermeister und Buchverleger. Vorbei an Bonn, der Loreley, Bingen und Worms hatten sie sich als Unterkunft die MS Regina gewählt und dort zwei enge Kabinen bezogen. Offensichtlich war das Bordleben nicht nur ein Zuckerschlecken. Wenn Alleinunterhalter Zlatko zu „Da steht ein Pferd auf dem Flur“ seine Lichtorgel anwarf und die Rentner dazu mit ihren Gehhilfen im Takt klapperten, wurde den Berlinern offensichtlich bang ums Herz. Die Beschreibungen des bürgerlich-biederen Teils deutscher Realität jenseits des Berliner Raumschiffs bot den Beobachtern aus dem Nordosten viel Schreibstoff für das Buch und macht „Rheinfahrt“ zu einem durchweg amüsanten Lesestoff.
An vielen Stellen ist „Rheinfahrt“ eine literarisch inspirierte Flussrundreise. In Straßburg lernen wir etwas über den Lyriker Hans Arp und an anderer Stelle lassen die Autoren Geschichten von Brentano oder das Drama um die früh verstorbene Poetin Günderrode wiederaufleben. Interessant ist die Begegnung mit dem Schweizer Autor, Verleger und Veranstalter Matthyas Jenny, der einiges zu erzählen hat. In den 70er Jahren gründete Jenny den Verlag Nachtmaschine. Zum Erschrecken der Besucher hat er aus dieser Zeit kein einziges Buch mehr. Was hat sich seither im literarischen Leben Basels verändert? Jenny wirkt enttäuscht, empfindet die heutige Gesellschaft als „kulturlos, jeder nur noch für sich. (…) Ich ertrag’s nicht. Alles muss besonders sein und außergewöhnlich und das stimmt ja alles gar nicht.“ Geschichtsinteressierte freuen sich über Anekdoten zur Brücke von Remagen, dem Rüdesheimer Schloss oder über die Eindrücke vom Niederrhein. Dort statteten die Autoren dem ehemaligen Zuhause des Dichters Thomas Kling auf der Raketenstation Hombroich einen Besuch ab. Einen Reiseführer hält man mit diesem Buch nicht in der Hand. Das war sicher auch nicht die Idee. Die Autoren geben zu Beginn Einblick in ihre Absichten. „Schon lange hatten wir die Idee, auf einem Schiff den Rhein entlangzufahren. Welchen Geschichten würden wir begegnen, welchen Mythen und Märchen?“ Darüber hinaus wollten sie die Einzigartigkeit der Landschaft beschreiben und den Einfluss dieses gewaltigen Stroms auf seine Einwohner ergründen.
Der Rhein: Jeder kennt ihn. Doch was wissen wir eigentlich über den Strom, der in der Schweiz entspringt und dessen größter Flächenanteil in Deutschland liegt? In Basel schwimmt man noch in ihm. Viele Einwohner haben dort kleine Badehäuser am Ufer. Während man in der Kölner Rheingegend lieber nur vom Schiff aus auf den Rhein blickt. „Rheinfahrt“ ist ein kleines literarisches Geschenk, gespickt mit Zitaten bekannter Autoren wie Wilhelm Hauff, Victor Hugo oder Heinrich Böll, angereichert mit Interviews bekannter und auch weniger bekannter Persönlichkeiten. „Rheinfahrt“ ist immer mit einem Schmunzeln und feiner, aufmerksamer Feder geschrieben, mit Anteilnahme und einem Blick für die Ränder, die komischen Begebenheiten und für die literarische Kultur einer ganzen Region. Vor allem für Literaturliebhaber ist das Buch ein Geschenk.
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