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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

zu tun, was schuhe tun

Hamburg

Neben seiner essayistischen (und künstlerischen) Tätigkeit veröffentlicht Frank Milautzcki in seltener Folge Gedichtbände. 2017 ist es nach Hemden denken und Langustenbäume die auch reden (beide von 2009) Zeit für einen neuen Band: schwarz drosseln im Frankfurter Gutleut Verlag. In deren Reihe staben, die, mit aufwendigem Plakatumschlag – seinerseits ein typographisches Fest – ausgestattet, eine (hier in allen Farben außer bunt) schillernde Lektion in Sachen Satz und Gestaltung sind, entfalten sich Milautzckis neue lyrische Arbeiten aus den letzten 15 Jahren . Zu seiner eigenen bildkünstlerischen Arbeit, die häufig aus collagiertem Material besteht, wie auch zu seinen sprudelnden Essays und kritischen Texten, legt Milautzcki mit schwarz drosseln das gedichtete Pendant vor. Man könnte von essayistischer bis collagehafter Lyrik sprechen, so vielgestalt und multi-facettiert in Form wie in Sprachmasse kommen die Gedichte und Notizen, cut-ups und Texte im neuen Band daher. Milautzcki benutzt ein schier enzyklopädisches Inventar aus Fachsprache (Musik, Philosophie, Kunst etc.), unvermuteten Dialekten, Gossenplatsch, Vortragssyntax, Prosa, konkreter und visueller Poesie. Nur das "einfache Gedicht" scheut er. Wenn man etwas als Salve sagen kann, warum nicht?, scheint die poetologisch auf Angriff und Befreiung konditionierte Sprache in schwarz drosseln an ihrem Banner vor sich her zu tragen. Sie folgt sich selbst wie im Rausch, in Momenten, die den Soundtrack (Beatles, Yes, Czeslaw Niemen...) brauchen, die Camouflage aus Abbruch und Wendung, Ansprache oder Kommentar. Die Narration scheuend, dem Klang zu Pferde hinterher, dichtet Milautzcki:                                                                                                                                            

"Zweitens: Wiedererkennbarkeit ist gemacht.

Man ist eben ein Kurator,

der das Gebilde dann zusammenstellt

und die Eins auszählt. Auf dem Weg nach Turin."

Der Dichter kurz vor dem Nietzsche-Freak-Out, als Steuerer hin zu einer Methode, wider das Überschwappen von Anglizismen, Dada, Bilderrauschen und Assoziativer Dekonstruktion. Und wenn es das Überfrachten wäre. Es gibt nahezu keine Form, die Milautzcki nicht anwendet, implantiert und sich zu eigen macht. Dabei werden die fünf Abschnitte beruhigend von Verleger Michael Wageners Stuhl-Leiter-Raum-Kompositionen, solarisiert abgelichtet, unterbrochen und in innerhalb ihres eigenen fokusfreien Raums gegliedert.

In den Texten, die sich alphabetisch um Abschiede und Notfälle entlang anordnen, so schreibt der Verlag, stößt man unter anderem auf dieses:

"Ab war der Zopf und Gips die Giraffe nicht mehr"

"Ohne das Zerbrechen des Kopfes, das man ahnt, ist jede Gebärde ein Haus."

"Ich erinnere (mich ans Verheddern), was gegen die

Wirklichkeit immunisiert und viel Weißes versalzt zu

einem Sand. Ich weiß es, du preist es. Damit nichts

passiert [...]"

Milautzcki zeigt sich in schwarz drosseln von einer drängenden, zugleich verspielten Seite. Ein materialintensiver Reigen breitet sich vor dem Leser aus, der nicht selten überfordert und aber gleichzeitig die Unterforderung, den Nullpunkt zu implizieren sucht, noch im selben Vers. So entsteht ein Rauschen und Sirren wie beim Zappen oder einem kontingenten Kurzwellen-Abhören. Ein O-Ton aus "blank":

"Der Holzschnitt zerbrach. das Schloss, Sartre, das

Totenschiff von Traven. Ich tat so, als ob das Wort,

das ich suchte, ein Drahtgewebe wäre. Und sich füllte,

einmal in deinem Kopf. Und überall sonst.

Es sah aus wie ein Schmetterling oder eine

Fledermaus, ein Sphenoid, das zum Titelhelden wird

in den Miniaturen neuartiger Nähe und der Wiedergabe

der Haare, die alles zerschmeißen, undone und doch

 

für eine kurze Zeit ohne Lügen, freiwillig ein vergessener Fakt.

Wie grotesk der Zwischenraum ist, beinfarben, zerlöchert,

wer in die Nacht rennt, bleibt

ohne Akkorde, wie die durchlöcherte Scheibe sie freigibt.

Vom Außenrelief (und der Schläfe am Stein) ein Blick auf

den fremden Körper und die schwarze fremde Nacht

vor dem Fenster schreibt tatoos auf jene Ruhe

imitierenden, liegenden Arme, (nur in cc erhalten)

[...]"

Wie selbstverständlich pflanzt Milautzcki in den Gedichten Fremdtexte, schnipselt und vernäht sie neu. Aus "Drei Meilen Kabel":

"[...]

Buntheitsreplik. Wer ich bin? Ein Buntheitszentrum. Ein

Papagalini. Ein Vogel, der sich den Kopf stößt. Und die

Bachstelze, die in meiner Hand starb.

 

("Ich flog über eine Wiese, als plötzlich die Luft um mich

erstarrte" James Thurber, A Glass In The Field: Ein Fink

erzählt seinen Artgenossen, wie er gegen eine Fenster-

scheibe stieß.)

[...]"

schwarz drosseln ist nach beinahe zehn Jahren eine selbstbewusste neue Veröffentlichung von Frank Milautzcki, die ihn als genussvoll dichtenden Materialsammler auszeichnet. Der Band steht in einer Reihe mit seinen Collagen-Arbeiten wie auch seinen kritischen Texten, die gleichermaßen einen Sturm der Worte, Assoziationen, Bilder und Gedanken übergangslos verhaften. Die ausgezeichnete Gestaltung der Reihe staben bei Gutleut tut dem Band sehr gut und somit liegt ein gehaltvolles Stück Buch/ Wort/ Fotokunst vor, bei dem sich alle Teile gegenseitig helfen.

 

Frank Milautzcki
schwarz drosseln
Fotos: Michael Wagener
gutleut verlag
2017 · 116 Seiten · 21,00 Euro
ISBN:
978-3-936826-59-3

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