„Metamorphosen – Literaturfraß aus Dosen“ (fake!)
Die neunzehnte Ausgabe der metamorphosen-Zeitschrift. Über das Äußere lässt sich wie immer nicht viel sagen: der Umschlag einfarbig gold, geschmückt mit einem schwarzen M. Alles sehr simpel gehalten, aber mehr muss auch nicht. Hier geht es schließlich um Literatur und nicht um Design. Genauer: es geht um fake und fiktion.
Ein großes Thema für eine kleine Zeitschrift. Wolfang Müller von der ehemaligen Künstlergruppe Die tödliche Doris macht einen hoffnungsvollen Anfang, erzählt von seinem Versuch der Gründung eines privaten Goethe-Instituts in Reykjavík (nach der Schließung des offiziellen), das er nach Rechtsverhandlungen mit dem originalen Goethe-Institut in die Walther von Goethe (dem letzten Spross des großen Dichters) Foundation umbenennen musste. Wird hier noch die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit verhandelt, denkt Joshua Groß auf der nächsten Seite über die Realness des Rappers Maverick Berlin nach, der für ihn den Inbegriff von Authentizität darstellt. Dieser steht, so Groß, schon seit Jahren ganz ohne Resonanzraum „konsequent auf dem Grind“, lässt sich von anderen Meinungen nicht beeindrucken und bleibt so ungewohnt abseitig eigensinnig. Groß‘ Argumentation wirkt stichhaltig, ist das Phänomen der zunehmenden Anpassung doch wirklich überall allgegenwärtig und eine „radikale Subjektivität“, wie sie Groß Maverick attestiert, kaum noch auffindbar. Fazit: Ein kleiner Text, in dem viel Wahres steht.
Auch Theo Strack beschäftigt sich mit dem Straßen- und Gangsta-Rap, sieht darin ebenfalls eine neue Art der Wahrheit aufscheinen. Die bisherigen Topoi von hyperbetonter Maskulinität und dem Streben nach Reichtum werden, so Strack, zunehmend in Frage gestellt. Als Beispiele dienen die Rapper Ufo361 und die Lucosquad-Gang. Man fragt sich aber dann doch bei dem angeführten Zitat von Ufo361:
„Guck mich nicht so an, Dicka, ja / Denn ich knall dich ab, Dicka, ja / Warum hab ich das nur getan? Dicka, ja / Sie trauern jetzt an deinem Grab, Dicka, ja / Ich hatte keine andre Wahl, Dicka / Nein, ich hatte keine andre Wahl, Dicka, ja“
, wo genau die von Theo Strack erkannten Selbstzweifel, die „feinen Haarrisse im Fundament des Straßen-Raps“ zu finden sind. Strack räumt zwar ein, dass hier noch kein Paradigmenwechsel vorliegt, aber was genau das Neue, den „neuen Rap“ ausmacht, wird trotzdem nicht ganz ersichtlich.
Der Hauptteil der neuen metamorphosen-Ausgabe wird von fünf Pastiches gefüllt. Fünf verschiedene Erzählungen aus fünf Perspektiven fiktiver Autoren, die von Gunter Gabriels letztem Konzert berichten. Weshalb das Ganze? Laut Herausgeber ist es schon lange Zeit, ihm „jenen [lang verdienten] hochkulturellen Status“ zu verleihen. Dass es sich hier um eine humorvolle Übung in Sachen fake und Fiktion handelt, liegt auf der Hand. Allerdings hapert es leider gewaltig an der Umsetzung. Den Pastiches fehlt es an Würze, weshalb sie sich nur mit einem großen Glas Wasser runterspülen lassen: Christian Wöllecke berichtet als Christian Kracht – eine Referenz ist kaum erkennbar. Jonas Rump berichtet als Benjamin von Stuckrad-Barre – hier ist die Nachahmung gelungener, angereichert außerdem mit viel Witz. Sonja Szillinsky als Elfriede Jelinek, Juliana Kálnay als David Wagner und Charlotte Krafft als Max Goldt versuchen sich dagegen in einer allzu krampfhaft lustigen Parodie, die mithin ins Leere läuft.
Aber! Es soll nicht nur gemeckert werden. Zum Schluss findet sich nämlich noch eine sehr zu empfehlende Rezension von Oliver Heidkamp über Roberto Bolaños anarchischen Roman Die Naziliteratur in Amerika, in der die Wirklichkeit zu einer solch komplexen Masse verarbeitet wird, dass man nicht mehr ein noch aus weiß und der gerade deshalb reizvoll lockt. Außerdem gibt es noch ein kluges Interview mit Ann Cotten, in der sie die treffende Überlegung macht, dass in der politischen Lyrik oft zu viel gewollt wird:
„formvollendet, aber locker, extrem dicht, trotzdem leicht“.
Christian Wölleckes humoristische Kolumne (das Titelzitat stammt aus seiner Feder) bringt ergänzend dazu Licht ins Dunkle, wodurch die schwerfälligen Pastiches fast schon wieder vergessen sind. Insgesamt eine solide, aber ausbaufähige Ausgabe.
Fixpoetry 2018
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben