Kritik

Wenn einst, in friedlicheren Zeiten …

Gedichte aus dem Exil - Mascha Kalékos stets bedeutsame Verse für Zeitgenossen neuaufgelegt
Hamburg

2017 jährte sich zum 110. Mal der Geburtstag von Mascha Kaléko (gestorben 1975 in Zürich). Die Neuauflage der Verse für Zeitgenossen im dtv-Verlag versammelt Gedichte aus Mascha Kalékos Zeit im U.S.-amerikanischen, hauptsächlich New Yorker Exil (kurzer Wohnaufenthalt in Hollywood zwischen Juli 1940 und Februar 41), das sie 1938 mit ihrem zweiten Ehemann und dem gemeinsamen Sohn antrat, nachdem ihr das Nazi-Regime 1935 Berufsverbot erteilt hatte.

Da die Ausgabe keine wissenschaftliche ist, empfiehlt sich für wissbegierigere Leserinnen und Leser die parallele Einsichtnahme in das vierbändige Kompendium Mascha Kaléko: Sämtliche Werke und Briefe (hrsg. von Jutta Rosenkranz) bzw. Mascha Kaléko: Biografie von Jutta Rosenkranz (beide ebenfalls dtv), die in der knappen editorischen Notiz unserer Ausgabe für die Textzusammenstellung immerhin erläutert,  dass „die Autorin die deutschlandkritischen Texte ersetzte“ u. zw. gegenüber der amerikanischen Erstausgabe von 1945 (dort 45 Gedichte). Der deutschen Erstausgabe von 1958 folge das vorliegende Buch.

Das schmale Hardcover-Büchlein kommt in fruchtigen Umschlagfarben daher mit seinen fallenden Herbstblättern vor Manhattan-Kulisse und spiegelt damit durchaus passend Kalékos spritzig-geistreichen großstädtischen Duktus wider, der mal Zuversicht stiftend wirkt, dann wieder im Gewand der Satire mit poetischen Angaben zu hoffnungslosestem Verlassensein aufwartet.

Beim Wiederlesen der insgesamt 54 Gedichte in vier Abteilungen plus vorgeschaltetem Gedicht „Statt eines Vorworts- Quasi ein ‚Januskript‘“ springen einen in der Tat hinsichtlich Melodie, Ton oder Thematik die immer schon genannten Parallelen an; so zu Heine im Gedicht „Als ich Europa wiedersah …“ (Die Autorin hielt sich 1956 erst zum zweiten Mal wieder  in Europa auf, gerade als man den 100-jährigen Todestag Heines beging):

Als ich Europa wiedersah / - Nach jahrelangem Sehnen - / Als ich Europa wiedersah, / Da kamen mir die Tränen.

So zu Morgenstern im Gedicht „Pihi“:

… Zu zweien nur kann sich das Tier erheben; / Im Singular bleibt es am Boden kleben. […]

Aber eben auch zu Kästner und Ringelnatz.

Bei ihrem vorherrschend urban-frechen und leichten Ton  ist in Verse für Zeitgenossen jedoch durchaus scheinbar ganz und gar Gegenteiliges, bislang kaum Betontes, zu bestaunen: nämlich etwa ein für Dichterinnen der Zeit eher seltener tief nihilistischer Ton, wie im Gedicht „Gebet“:

Herr: unser kleines Leben - ein Inzwischen, / Durch das wir aus dem Nichts ins Nichts enteilen. […]

Oder auch eine existenzielle Gebanntheit, die mit gleichsam mystischer Innigkeit à la Angelus Silesius einhergehen kann, wie im Text „Überfahrt“:

Wir haben keinen Freund auf dieser Welt. / Nur Gott. Den haben sie mit uns vertrieben. / […]Und wenn das Schiff auf fremder See zerschellt, / Wir sind einander mit dem Blut verschrieben. […]

Wichtigste Bundesgenossen im schweren Alltag an fremdem Ort bleiben zum einen Ehemann Chemjo Vinaver, den die Autorin in der Art des legendären „sluzzelîn“-Liebesgedichtes aus Minnesangtagen  innig apostrophiert (Gedicht „Mit auf die Reise“):

Ich kann dir keinen Zauberteppich schenken, / Noch Diamanten oder edlen Nerz, / Drum geb ich dir dies Schlüsselchen von Erz, / Dazu mein ziemlich guterhaltnes Herz / Zum Anmichdenken. […]

Zum anderen der gemeinsame Sohn Steven:

[…] Doch unterdessen, wie die Zeit verrinnt, / Hat sich auch biographisch was begeben: / Nun hab ich selbst ein Emigrantenkind. // Das lernt das Wörtchen ‚alien‘ buchstabieren / Und spricht zur Mutter ‚Don’t speak German, dear.‘ / Muss knapp acht Jahr alt Diskussionen führen, / Dass er ‚allright‘ ist, wenn auch nicht von hier. […]

Die Sympathie von Leserinnen und Lesern sichert sich die Autorin  allemal durch ihren selbstironisch-humorvollen Ton, wenn es etwa im Zusammenhang der Familienthematik heißt (Gedicht „Interview mit mir selbst“):

[…]Ich war kein einwandfreies Mutterglück. / Und denke ich an jene Zeit zurück: / Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.[…]

Die eigenen Geschlechtsgenossinnen insgesamt übrigens kann der Autorin gnadenloses Analyseskalpell ebenfalls treffen (Gedicht „Damen unter sich“):

… Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, / Was geschieht, / Wenn eine alternde Hyäne / Eine jugendliche Schöne sieht? // Ein Schlangenbiß  ist ein Kinderkuß / Gegen diesen Blick! […] / Werte Hyänen! Gönnet dem Kind / Die flüchtigen Jahre. / […] Am Schluß, mit Verlaub, / Bleibt von uns allen / Ein Döschen voll Staub.

Und Amerika, das ihr 1944 die Staatsbürgerschaft verlieh? Wie beschreibt die Ausgewiesene ihre neue Umgebung, da sie doch nur in der deutschsprachigen Zeitschrift „Aufbau“ veröffentlichen konnte, die wiederum lediglich Texte annahm, welche neue Brücken propagierten, nicht aber sehnsuchtsvoll auf Europa gerichtete.

Bei allem Heimweh nach Berlin also (Hier hab ich achtzehn Frühlinge gelebt, Gedicht „Souvenir à Kladow“) bejaht sie schließlich und trotz allem - wenn auch wieder in kokett-selbstironischem Ton - New York, Greenwich Village und ihre dortige Adresse 1 Minetta Street („Gedicht „Minetta Street“):

[…] Wenn einst, in friedlicheren Zeiten, / Die Länder um das Vorrecht streiten, / (Scheint die Besorgnis auch verfrüht): / Tja, welches von MK’s Quartieren / Soll die ‚Hier wohnte‘-Tafel zieren …? // - Ich stimme für Minetta-Street.

Verse für Zeitgenossen war Mascha Kalékos drittes Buch nach Das lyrische Stenogrammheft (1933) und Kleines Lesebuch für Große im Folgejahr. Man kann mitunter lesen, sie sei die „meistverkaufte“ deutsche lyrische Stimme des 20. Jahrhunderts gewesen, obwohl sie manch eigenartig zögerliches Verhalten ihres Stammverlegers, Rowohlt, hinnehmen musste und sie sich verkaufsstrategisch sicher schadete, als sie 1959 den Fontane-Preis ablehnte. (Wie auch Paul Celan einmal, wollte sie nämlich nicht das Mittun des Jurymitglieds Hans Egon Holthusen akzeptieren, dessen zehnjährige SS-Mitgliedschaft ruchbar geworden war.)

In Mascha Kaléko: Biografie führt Jutta Rosenkranz mehrere zustimmende Besprechungen der deutschen Erstausgabe von Verse für Zeitgenossen an: Karl Krolow beeindruckt die starke Wirkung ihres Erinnerungsheimwehs, „obwohl die Zeilen und Reime so leicht kommen und gehen.“  Kurt Pinthus stellt die unabdingbare Symbiose von Leichtigkeit und Tiefe bei Kaléko heraus, spricht von ihrem „Ernst, der sich heiter gibt“, will in ihren Versen „den kämpferischen Hohn Heinrich Heines“ ausmachen. Jacob Picard schlussfolgert für den Vergleich zu Kästner, dass dieser „nur Satire schreibe, während sie ‚oft reinste Lyrik‘ verfasse.“

Unsere Neulektüre der Verse für Zeitgenossen ergibt, dass der dtv Verlag nun verdienstvoller Weise mit Mascha Kaléko eine einzigartige deutsche Lyrikerin erneut herausstellt, deren vielschichtige Schreibweise wir hier andeuten konnten. In vielversprechendstem Aufwind begriffen, wurde sie aus dem Deutschland der dreißiger Jahre vertrieben. Mit dem bangenden Blick des Exils blieb sie für die Literatur zuträglich, unverzichtbar: dabei was zu ihrer Heimat machend? Die Liebe.

Ein dickes Dankeschön auch an Jutta Rosenkranz, Brückenbauerin!

Mascha Kaléko
Verse für Zeitgenossen / Mascha Kalékos Exilgedichte
dtv
2017 · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-423-28139-3

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