Ein Meister des schnörkellosen Gedichts
Eine verknappte Sprache, die nah an der zeitgenössischen Wirklichkeit ist, und Bilder von prägnanter Eindeutigkeit – das sind bestimmende Merkmale der Lyrik von Hans-Jürgen Heise, der im nächsten Jahr seinen 80. Geburtstag feiern kann. Gewissermaßen als Vorklang dazu hat der in Kiel lebende Autor, einer der produktivsten im Lande, jetzt zwei neue Gedichtsammlungen herausgebracht. Zum einen ist das unter dem Titel „Luftwurzeln“ eine neuerliche Lese aus seinem umfangreichen lyrischen Gesamtschaffen, zum anderen handelt es sich um Heises Übersetzungen von Gedichten Federico Garcia Lorcas, die stark auf sein eigenes Werk eingewirkt haben.
Auf Texte aus sechs Jahrzehnten konnte der Autor bei seiner aktuellen Auswahl zurückgreifen und benutzte dafür die vorherigen Sammlungen „Gedichte und Prosagedichte 1949-2001“ und „Ein Kobold von Komet“ (2007), fügte einige später entstandene Texte hinzu und überarbeitete nicht wenige der bereits publizierten Arbeiten. So entstand eine Kollektion von einiger thematischer Spannweite, zusammengehalten von jenem lakonischen Sprechduktus, der für Heise so typisch ist. Das beginnt mit dem ironischen Selbstporträt “Hans“ und reicht bis zu wissenschafts- und gesellschaftskritischen Texten aus allerjüngster Zeit, in denen der Autor mitunter geradezu endzeitliche Töne anschlägt.
Überhaupt ist ein pessimistischer Grundzug in Heises neueren Texten nicht zu verkennen, die sich einigermaßen entfernt haben von den noch 1984 in dem Gedicht „Schwerelosigkeit“ beschworenen Zuständen, wenn dort das mühelose Schweben evoziert wird und ein kurvendes Segelflugzeug Aufwind bekommt vom „Geflimmer über einem Rapsfeld“. Von derartiger Leichtigkeit, die auch andere Gedichte jener Zeit prägt, ist zweieinhalb Jahrzehnte später nichts mehr zu spüren. Dagegen lastende Erdenschwere etwa in einem Text wie „Zugebaute Welt“, worin ein Ruinengrundstück die „Zahnlücke im Wohlstandsmilieu“ bildet. Dem längst in Verruf geratenen Fortschritt kann auch Heise in dem gleichnamigen Gedicht nur noch sarkastische Seiten abgewinnen, denn wenn die Abrissbirnen bereits auf das „Himmelsgewölbe“ losgehen, dann macht die drohende Entwicklung offenbar „vor gar nichts mehr halt“.
In Wolkenkratzern erkennt Heise „Abschussrampen ins All“ und „prometheische Sprungschanzen“, aber mit seinen Vorstößen hat der sich maßlos überschätzende Mensch, der schon früher „seine Steinschleuder auf die Stirn Gottes“ richtete, nur erreicht, dass sich das „Universum selbst“ weiter zurückzog. Was hier schon anklingt, wird in ähnlich wissenschaftskritischen Texten noch deutlicher ausgeführt, und in einigen davon nimmt es der Autor mit den neuesten Theoremen der Physik auf. So etwa in dem Gedicht „Strings“, worin es um die Spekulationen über ein mehrdimensionales Universum geht, ein „kosmisches Delirieren“, wie es dort heißt. Der Alptraum eines Astrophysikers wird beschworen, und das „Finale Epigramm“ bringt den jüngsten Stand der Wissenschaft ironisch auf den Punkt:
Dr. Seltsam
hat in seinem Gen-Labor
letzte Nacht
den lieben Gott geklont“
Mit solchen düsteren Visionen wollte Heise die Leser seiner neuen Sammlung aber offensichtlich nicht entlassen, denn er schließt an die Endzeitstimmungen frühe Texte an, die in seine pommersche Kindheit zurückführen. Die hat der Lyriker immer wieder aus der Erinnerung heraufgerufen und seiner Geburtstadt Bublitz und dem kleinen Flüsschen Gozel wohl seine schönsten Gedichte gewidmet. Mehrere davon finden sich – gewiss nicht zufällig – ziemlich genau in der Mitte des Bandes, strahlen gewissermaßen zum Anfang und zum Ende hin aus. Ein zweiter Leuchtkreis ist um die Gedichte gezogen, die mit iberischer Landschaft, Kultur und Literatur zu tun haben. Dort fühlt sich Heise im eigentlichen Sinne zuhause, dort geht ihm das Herz auf, liegt der Süden seiner Imaginationskraft. Und in dem Gedicht „Baeza ist Bublitz“ blendet er ein andalusisches Landstädtchen mit seinem Heimatort derart übereinander, dass sie zu poetischer Deckung gelangen.
Hat der Autor schon in die neue Sammlung „Luftwurzeln“ zwei lyrische Hymnen an Federico Garcia Lorca aufgenommen, den er mit gutem Recht für den alles überragenden Dichter der spanischen Moderne hält, so ist seine Verehrung für den 1936 von Faschisten erschossenen Autor noch deutlicher den Übertragungen des Bandes „Das Lied will Licht sein“ zu entnehmen. Die zweisprachige Edition bietet erstmals Heises Übersetzungen von solchen Texten Garcia Lorcas, die in den 80er Jahren aus dem Nachlass des Dichters auftauchten und die dem autorisierten deutschen Übersetzer seines Werks, dem 1974 gestorbenen Enrique Beck, nicht vorgelegen hatten. Es handelt sich um Proben aus den Sammlungen „Gedichtbuch“ (1918-1920), „Jahrmarkt“ (1921) und „Suiten“ (1921-1923).
Zu seinen Übertragungen sagt Heise in einer editorischen Nachbemerkung, dass es sich weder um „wortwörtliche Eindeutschungen noch um silbenzählende Nachgestaltungen“ handle. Ihm sei es eher um eine „essentielle Sinnübermittlung“ gegangen, bei der das „poetische Bild eine erhebliche Rolle“ spiele. Gerade in dieser Bildhaftigkeit sieht der Autor ja auch das Vorbildhafte, das ihn an Garcia Lorca fasziniert. Hier gibt er denn auch sein Bestes, trifft den ganz eigenen Ton dieses Dichters und lässt ihn im Deutschen nachklingen. Im übrigen bleibt Heise bei seinen Übertragungen den Originalen doch recht nahe, wie man im Vergleich bestätig findet, stellt allenfalls Zeilen um, aber verfährt bei seinen Adaptionen keineswegs willkürlich und versucht sich nicht selbst auf Kosten des großen Spaniers zu profilieren, sondern dient dem Verständnis von dessen Texten, wie es ja auch die vornehmste Aufgabe eines Übersetzers ist.
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