Marina Büttner
Die Kolumne Neue Schulen soll Lyrikerinnen über 35, die aus dem Raster der klassischen Literaturförderung herausfallen, einen Raum bieten, in dem sie nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre Erfahrungen und Gedanken zum zeitgenössischen Literaturbetrieb beschreiben. In unterschiedlichen Formaten wie Besprechung, Kommentar, Essay oder Interview werden im zweiwöchentlichen Rhythmus Texte und Erfahrungen der Autorinnen präsentiert. Yevgeniy Breyger, Olga Galicka und Grit Krüger freuen sich laufend über neue Einsendungen unter .
Die Hände vieler Dichter*innen tragen ihre Schwielen im Verborgenen. Ihr Werk, auch wenn es einen Raum in aller Wucht besetzen kann, ist dem Feinen zuzuordnen. Dichter*innen formen etwas in und mit Sprache, sie stellen sich und uns Laute vor und setzen sie im Schreiben mit einer bescheidenen Bewegung ihrer Hände in Schrift und in die Welt.1 Sie sind Architekt*innen und Erbauer*innen zugleich. Dabei stellen sie ihr Werk auf ein Fundament, das weit in der Tiefe wurzelt – besteht es doch aus all dem, was andere vor ihnen geschaffen, gesagt und geformt haben und worauf sie wieder und wieder aufbauen können. Oft genug reiben sie sich die Finger wund. Und doch ist eher am Bauwerk als an der manifesten Haut erkennbar, woran sie sich gerieben haben. Marina Büttner lädt ein, mit ihren Gedichten Orientierung auf Sprachstraßen zu suchen. In Wessen Hand? Führt sie an Orte, die zugleich heimlich und unheimlich sind, an deren Rändern Gebäude verfallen und an deren Horizont sich eine gewaltige Natur entfaltet.
Wessen Hand?
Etwaige Werkstätten ließen sich finden an
jenen langen ausgetretenen Straßen im Abstand
zur bloßen roten Erde, zu zerklüfteten Halden
fassen sich die Gebäude an den Händen, eine
knappe Verbeugung, scheint dir; Sie warten auf
ihre Konservierung, in ihrer Reinheit wirken sie
leer. Nur hinter manch blindem Fenster scheint
eine Hand mit einem Zündholz Feuer zu entfachen
(Wessen Wesens Hand?)Und am letzten dieser Häuser ist eine Scheibe
zerbrochen, ist ein Zugang offen, hebt sich der
doppelte Boden, verlassen Gestalten wie Geister
den Ort, an dem sie Schritt für Schritt ihre Seele
verloren, ihre Freunde verrieten, dafür Ablass
kauften. Bald verwischen sich die Bilder, werden
Schemen, nur noch Umrisse einer Siedlung sind
zu sehen, umgeben von Brache mit randständigen
Zäunen am südlichsten Ende scheinen verdorrte
Wälder in die Zukunft zu sehen.
Etwas scheint auf in Marina Büttners Sprache. In ruhigen Satzstrukturen wird der Blick einer Beobachterin deutlich, die danach sucht, was die handgeschaffenen Gebäude erleuchtet, beseelt. Werfen wir den Blick auf ein bemerkenswertes Detail: „Wessen Wesens“: Ein Konsonant wird verschoben und gibt dem Fragewort „Wessen“ einen flüchtigen Bezug. Ein Wesen ist es, dem das Erfragte zugeschrieben wird, aber gleichzeitig auch eine Distanz, denn statt wie im Titel zu Fragen 'Wessen Hand?' wird hier der Schwung einer feinen Varianz gewagt.
Das Wesen bezeichnet – folgen wir der Etymologie (auch ein Sprachfundament) zurück ins Indogermanische – das Verweilen. Später wandelt es sich und benennt konkreter eine Wohnstätte, das Gebäude an sich, bis es heute zum einen die Gesamtheit der essentiellen Eigenschaften, die sich in etwas vereinen, das Wesentliche, benennt oder einen belebten Organismus – schlicht ein Lebe-wesen. Mit der Hand wird es tätig, lässt Licht werden. Eine Hand ist es, die Sprachschichten sanft verrückt, sodass dem Auge der Leser*in ermöglicht wird, in die Tiefe des Materials zu blicken und darin etwas zu entdecken. Was sich darin auftut, ist gespenstisch – nicht ohne Melancholie die Erkenntnis, dass die Gebäude längst nicht verlassen sind.
Wenn auch viele Hände gemeinsam die Grundsteine dafür gelegt haben, womit wir weiter Formen, sind es doch bestimmte Werke, denen wir uns in vollem Bewusstsein und mit besonderer Hingabe widmen – bestimmte Hände, deren Bewegungen und deren Tradition wir mit besonderer Aufmerksamkeit folgen. In Handkes Bleistift zeigt Marina Büttner die Haltung einer solchen aufmerksamen Zuwendung, das Fortschreiben und Wandeln einer selbstgewählten Tradition in die eigene Gegenwart hinein.
Handkes Bleistift
Heute stand neben mir in der Tram
der junge Handke und hielt einen
Bleistift in der einen und einen Korb
voller Röhrenpilze in der anderen Hand.
Er murmelte etwas von läppischer
Literatur und dass Verzückung ihn ergriff,
als er unerkannt aus dem Wald an den
Stadtrand fand. Ich glaubte ihm aufs
Wort und hielt mich am Haltebügel fest.
Bevor er ausstieg, hinaustrat, nahm er kurz
die Brille ab. Da fiel der Bleistift herab.
Später fand ich Spuren von Sand aus der
Bucht in meiner Jackentasche, hörte das
Geräusch der Schnitte, die ins Pilzfleisch
drangen; es klang wie ein Schritt im ver-
harschten Schnee. Den Bleistift hatte ich
aufgefangen.
Das Gedicht zeichnet sich durch sprachliche Leichtigkeit, Rhythmus, Mut zum Reim und durch feinen Humor aus. Es gewährt einen Einblick in den Beziehungsraum zwischen einem Text und seinen Vor-Bildern. Eine Schreibende webt sie in ihren Text hinein, sie konstruiert ein Bild eines ihr vorangegangenen Autors, sie beschwört Bilder aus anderen, diesem Autor zugeschriebenen Texten herauf und entwickelt sie weiter. Ihre Hand fängt das Schreibmaterial auf und führt die ihr vorangegangene Handbewegung fort. Die Sinnlichkeit – das Geräusch von Schnitten ins Pilzfleisch – geht jedoch dem Bild voran und Büttners Neugier der Sprache gegenüber verankert es in aller Merk-würdigkeit. Allein ein seltenes, bis zur Rebellion widerspenstiges Wort wie 'verharscht' bereitet Freude!
Doch was tut sie genau, die Hand beim Dichten? Eine allgemeine Formel ist kaum erschließbar – zumal das Eröffnen viel interessanter ist, als das Erschließen. Marina Büttner sucht nicht nach dieser allgemeinen Formel. In Über den Pinselrand schafft sie einer der unzähligen möglichen Handbewegungen ein Sprachgebäude, eine Wohnstätte – zeigt auf, was ihr das Wesentliche ist.
Die Hand beim Dichten schwingt bei Marina Büttner im erinnerten Klang. Ihr Text lässt uns diesen Raum zwischen Sturm und Synästhesie, zwischen Vergangenem und in die Zukunft Geformtem entlangtasten.
Über den Pinselrand
Und so öffnete ich diese winzige Schatulle,
in der ich ein wenig dieses andauernd haltbaren
Nichts vorfand.
Kostbar und fühlbar mit den Fingerspitzen
ertastend, denn so klang es, so wie eine
unvermischte Farbe, rein und weiß und wegen
des Marderhaarpinsels zerstäubt, zerklüftet.
Jeder Versuch einer Form unangebracht, nur
ein im Kreisen (des Pinsels, der Hand) entstandener
Raum; ein Gleichnis der Farbe in meiner Basis
mit dem außen wütenden Sturm.
Ohne die Jahre zu zählen, fallen die letzten (dunklen)
Tropfen vom Pinsel aufs Papier.
Die Schatulle schließt sich, Leere ergießt sich
bis über den Rand, doch die Hand vergisst nicht
schwingt weiter im erinnerten Klang.
- 1. Auch heute, in einer Zeit, in der eine gut gewählte App längst das gesprochene Wort in eine annehmbare Schriftform bringen kann, ist die einfache Bewegung der Finger über eine Tastatur oder der immer anachronistischer anmutende Schwung des Stifts auf Papier der wohl verbreitetste Entstehungsprozess eines Gedichts. Eine Beobachtung, die sich im Gespräch mit den unterschiedlichsten Autor*innen bestätigen ließ.
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