Neue Schulen

Simone Scharbert

Neue Schulen #5

Die Kolumne Neue Schulen soll Lyrikerinnen über 35, die aus dem Raster der klassischen Literaturförderung herausfallen, einen Raum bieten, in dem sie nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre Erfahrungen und Gedanken zum zeitgenössischen Literaturbetrieb beschreiben. In unterschiedlichen Formaten wie Besprechung, Kommentar, Essay oder Interview werden im zweiwöchentlichen Rhythmus Texte und Erfahrungen der Autorinnen präsentiert. Yevgeniy Breyger, Olga Galicka und Grit Krüger freuen sich laufend über neue Einsendungen unter .

 

Wie man seine Art gewinnt

Anknüpfend an Gertrude Steins Sentenz aus ihrem gleichnamigen Langgedicht »Wie man seine Art gewinnt« (übersetzt von Ulf Stolterfoht) ist das hier einer derjenigen Texte, die ich ganz bewusst in »Ich«-Form verfasse: Denn genau um das geht es hier, um das eigene also um mein Schreiben, um die Frage, wie und für wen das möglich oder gar leichter ist, bis wann oder seit wann, und für mich insbesondere auch darum, wie man dabei seine Art gewinnen oder sich auch ihrer versichern kann. Eingebettet das Ganze in Yevgeniy Breygers sinnvollen Vorstoß bzw. Aufruf zu einer »Neuen Schule«, für all diejenigen Frauen, die bereits jenseits (hach, wie das klingt; es grimmt in mir) der 35 Jahre sind, noch keinen eigenen Band vorweisen können, aber Lyrik schreiben und auch veröffentlichen wollen – genau so jemand wie ich es also bin. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach nun im Herbst »debütiere«, wie es so schön heißt, im smarten Alter von 43, und natürlich auch jetzt schon merke, dass das nichts Alltägliches ist, sondern nach wie vor eher die Ausnahme darstellt.

Und an dieser Stelle tauchen dann bereits all die Fragen auf, ob dieser späte Zeitpunkt nicht auch selbst verschuldet ist. Will heißen, hätte ich nicht wie Yevgeniy Breyger einfach auch all diese Werkstätten besuchen, erste Kontakte knüpfen, mich so dem Literaturbetrieb langsam nähern können. Und die Antwort ist einfach und sie liegt, wie so oft, auch in biografischen Umständen, und sie lautet nein, ich konnte und wollte das nicht, aus unterschiedlichen Gründen. U.a. galt es ein Studium mit Nebenjobs zu finanzieren, später die Promotion, während der meine Tochter auf die Welt kam, dann Arbeiten, das schwierige bayerische Betreuungsangebot, dafür ehrenamtliches Engagement in Kinderkrippen und Kindergärten etc. – Zeit fürs Schreiben blieb da wenig (aber es gab sie), für Werkstätten oder Wettbewerbe noch weniger, denn das war mit kleinen Kindern schwer zu stemmen, zumindest für mich. Das ist schlicht ein Fakt. Ganz abgesehen davon, dass je nach geografischem Lebensmittelpunkt auch gar nicht so klar ist, wie und ob man an den so genannten Literaturbetrieb oder dessen interne Netzwerke andocken kann.

Und jetzt also, wo meine beiden Kinder nahezu groß sind, meine Politik-Promotion lange hinter mir liegt, ich seit Jahren so etwas wie Literatur-Vermittlung in Buchhandlungen/VHS’en betreibe und weiß, dass Literatur mit zu den wichtigsten Dingen im Leben für mich gehört, liege ich weit über dieser magischen Altersgrenze von 35, die der Literaturbetrieb so gerne vorgibt. Und gehöre also schon zu den Älteren, bevor ich überhaupt richtig angefangen habe zu schreiben. Und habe aber jetzt Zeit oder kann sie mir im Einvernehmen mit der Familie nehmen, kann also Werkstätten besuchen, eigens für Wettbewerbe schreiben (also jenseits der Altersgrenze von 35), kann zu Lesungen gehen, und mitverfolgen, wer alles im Literaturbetrieb unterwegs ist. Aber all das eben erst jetzt. Und, so die gute Nachricht, – nach ersten Irritationen – stört es mich nicht mehr. Im Gegenteil, jetzt endlich schreiben zu können, und das auch als eine Art von Befreiung zu empfinden und an dieser Stelle so artikulieren zu können, Literatur als etwas Existenzielles wahrzunehmen, das ist etwas eminent Wichtiges. Für mich. Nicht zuletzt in dem Bewusstsein, in den letzten Jahren vieles gelesen zu haben, vieles mit den Jahren anders zu verstehen, Literatur in einem anderen Kontext als nur dem subjektiven zu rezipieren, Gesellschaftliches oder Zeithistorisches mitdenken zu wollen, in all dem. Und abgesehen davon, gibt und gab es auch immer Menschen an meiner Seite, die mich in meinem Schreiben ermutigten, es fanden sich Werkstätten und Stipendien, wie etwa das »Raniser Debüt« nun in meinem Fall, die altersunabhängig ausgeschrieben sind und einem die eigenen Umwege nicht als Makel erscheinen lassen. Im Gegenteil.

Umso wunderbarer also, wenn sich hier nun ein paar Tore oder Wege auftun, die den Literaturbetrieb altersdurchlässiger oder –unabhängiger gestalten, und am allerbesten natürlich, und damit der Querverweis auf parallel stattfindende Diskurse, wenn Geschlechter auch irgendwann keine Rolle mehr spielen oder es nicht in diffamierender oder ausschließender Art tun. Ob und wie das sein wird, sei dahingestellt. Für mich persönlich zählt in diesem Moment, dass da doch noch jemand ist, der sieht, dass Altersgrenzen wenig sinnvoll sind, vor allem dann, wenn man das Schreiben und die Literatur liebt, ihr einen besonderen Wert beimisst. Und das auch gerade in diesen Zeiten, die manchmal so eine kulturfeindliche Attitüde an den Tag legen, möglichst klar strukturierte und auf Effizienz ausgerichtete Menschen sehen wollen und eine humanistische Bildung zwar gerne als nettes Beiwerk sehen, aber eben auch nicht als mehr – da passen altersbeschränkte Förderkriterien gut ins Schema. Vielleicht geht es an dieser Stelle nicht nur darum, dass Altersgrenzen etwas Unsinniges sind, sondern auch um diese zweifelhafte gesellschaftliche Grundhaltung, möglichst früh zu wissen, welche Ziele man hat, sie möglichst stringent umzusetzen. Um- und Nebenwege geraten aus diesem Blickwickel oft zu biografischen Nachteilen, lassen außen vor, dass für manche von uns gerade diese Wege erst zum Eigentlichen führen. Vor diesem Hintergrund waren und sind Schriftstellerinnen wie etwa Hilde Domin für mich Leuchttürme, nicht zuletzt auch in ihrer Betonung des politischen Bewusstseins. Jene Lyrikerin also, die erst nach ihrer Rückkehr (also auch jenseits der 35) nach Deutschland und nach vielen Umwegen anfing zu schreiben und in ihren Frankfurter Poetik-Vorlesungen aus den 80er Jahren dem Gedicht als »Augenblick von Freiheit« eine gesellschaftlich wichtige Bedeutung zusprach, Alter spielt darin – warum auch? – keine Rolle. Ebenso wie die wunderbare polnische Lyrikerin Wisława Szymborska, die in ihrer kurzen Nobelpreisrede das autonome »Staunen« über diese Welt fokussiert, das in ihren Augen oftmals der Ausgangspunkt für Dichtung, fürs Schreiben ist, sein kann oder vielleicht sogar sein muss. Und man genau darin vielleicht auch seine Art gewinnen kann.

Und, so meine leise und anhaltende Überzeugung, »Staunen« ist und bleibt altersunabhängig.

Wie man seine Art gewinnt

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