Glück ist die Abwesenheit der Angst
Angelika Klüssendorfs Roman „Jahre später“ ist nach „Das Mädchen“ und „April“ die Fortsetzung der Geschichte von April. Es ist ein Roman über eine alles in den Schatten stellende Ehe. Ob er von Liebe handelt, ist nicht wirklich gewiss.
Klüssendorfs Romane erzählen von einer DDR-Kindheit, Adoleszenz und dem späteren Leben im Westen, sie sind überwiegend autobiographisch.
Nach „Das Mädchen“, in dem sie über das Kind schreibt, das mit dem kleineren Bruder der alkoholsüchtigen und gewalttätigen Mutter und dem oft abwesenden Vater ausgeliefert ist und schließlich im Heim landet, folgte der Band „April“. Darin kommt das Mädchen, dass sich von nun an April nennt, mit 18 Jahren aus dem Heim und erhält einen Arbeitsplatz zugewiesen. Nach einem Suizid-Versuch und anschließendem Psychiatrie-Aufenthalt bekommt die labile junge Frau eine neue Tätigkeit. Hier lernt sie Leute aus Kunst und Literatur kennen und beginnt selbst zu schreiben. Sie hat eine Beziehung, wird Mutter, ist mit beidem überfordert. Schließlich wird der Ausreiseantrag genehmigt und sie geht nach Westberlin.
Im neuen dritten Band ist aus der jungen April eine echte Autorin geworden. Auf einer Lesung lernt sie einen Mann kennen, der ihr eigentlich gar nicht so sympathisch ist, der sie aber durch seine Hartnäckigkeit im Werben um sie beeindruckt. Schließlich lässt sie sich darauf ein. Die Anfangszeit dieser Beziehung ist leicht und von fast kindlichem Frohsinn und Nonsens geprägt. Beide scheinen noch viel zu wenig erwachsen, um sich ernsthaft in einer Beziehung wieder zu finden.
Sie sind wie Kinder, denken sich komische Geschichten aus, rufen mit verstellten Stimmen fremde Leute an, versuchen in der Markthalle einen Hummer aus dem Bassin zu klauen.
Ludwig ist Chirurg und startet nach der Hochzeit sofort eine steile Karriere. Als das Paar Ludwigs Arbeit wegen von Berlin nach Hamburg zieht, ist April einer totalen Einsamkeit ausgeliefert. Statt zu schreiben schaut sie sich Horror-Filme an, deren Hauptfiguren sie in ihrer Fantasie immer wieder besuchen, sie sitzt mit ihnen am Tisch und kommuniziert.
Seine rare Freizeit verbringt Ludwig mit Computerspielen. Er lügt sich die Dinge, so wie er sie gebrauchen kann:
Wenn er mit Bekannten oder Kollegen spricht, lässt er seine Vergangenheit in einem gehobenen Milieu stattfinden. April empfindet keine Scham über ihre Herkunft, gleichwohl auch sie versucht, ihr zu entrinnen.
Als April schwanger wird, scheint sich zunächst alles zum Guten zu wenden, scheint sich der Wunsch nach einer ganz normalen Familie zu erfüllen. Doch auch das ist nicht von Dauer. April fühlt sich klein und nichtig, gerade auch an Abenden, an denen Ludwig seine Kollegen einlädt. Sie gehört nicht dazu. Zunächst kann sie sich aus schrecklichen Tief-Phasen mit Medikamenten herausholen, doch die Wirkung wird schwächer. Sie hat schlimme Alpträume, trinkt, zieht um die Häuser. Der Karriere Ludwigs wegen steht der Umzug zurück nach Berlin an. Ein Freund verschafft April einen Job in einer Werbeagentur.
Ludwig verkündet eines Tages die Trennung, kommt dann doch wieder zurück, nur um mitzuteilen, dass er die Scheidung will und um zu erklären, wie die Aufteilung des persönlichen Eigentums funktioniert. Was darauf folgt, ist ein erbitterter Rosenkrieg, den April kaum verkraftet. Es häufen sich Anschuldigungen Ludwigs, die schließlich nur noch mit Anwalt und vor Gericht gelöst werden können.
Wenige Wochen später liest April in dem Brief seines Anwaltes, dass sie einen Teil seiner beruflichen Existenz vernichtet habe.
Sie denkt nicht mehr, dass es sich um einen Irrtum handelt. Ludwig meint es ernst. Wenn sie zum Briefkasten geht, schlottern ihr die Knie.
Liest man die Geschichte von April, fragt man sich augenblicklich, ob es nicht doch im künftigen Leben darauf ankommt, was einem als Kind widerfährt. Es scheint hier, als würde sich die Prägung unmittelbar auf die nächsten Lebensphasen fast schicksalhaft ausdehnen. Angst, fehlendes Selbstvertrauen, Verlorenheit. All das spürt April auch als erwachsene Frau und Mutter, obwohl sie versucht, alles „richtig“ zu machen. Für ihren Sohn Julius aus einer früheren Beziehung, sorgt April, hat aber Angst, dass es nicht genug ist. Und auch mit dem zweiten Kind, Sam, bleibt es schwierig. Sie beginnt mit einer Therapie, schafft zwei Hunde an. Einmal noch, trifft sie sich mit ihren beiden Brüdern, doch hier ist kaum mehr Verbundenheit. Und doch fühlt es sich in manchen Momenten wieder wie richtiges Leben an.
April sitzt stundenlang vor dem Schreibtisch, ohne einen Satz zu schreiben, aber sie hält es aus. Sie erinnert sich, dass sie im Kinderheim, wenn sie nicht einschlafen konnte, Geschichten erzählt hat, um die anderen wach zu halten.
Im Roman raten alle, die mit April befreundet sind, sie solle doch über ihr Leben schreiben. Dies verwirft sie vehement. Doch dann tut sie es doch und diesem Entschluss haben die Leser diese drei Romane zu verdanken, die auch sprachlich in ihrer Reduziertheit überzeugen. Und so endet „Jahre später“ mit dem prägnanten Satz, der den ersten Roman einleitete:
Scheiße fliegt durch die Luft
Ergänzung, womöglich von Interesse:
Was ich bei Lektüre aller drei Romane noch nicht wusste, erfuhr ich kürzlich aus einem Beitrag zum Buch: Aprils Ehemann Ludwig ist wohl angelehnt an den tatsächlichen ehemaligen Ehemann Klüssendorfs, Frank Schirrmacher, der als Journalist und Autor durchaus sehr bekannt war.
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