Der Vogel hat sich von den Reparationskosten einen Sportwagen mit Glühbirnenantrieb gekauft und fährt in Urlaub
Frank Witzel, den man unter anderem von erfolgreichen Publikationen bei Matthes & Seitz (Preis) und früheren Werken bei Edition Nautilus oder Textem kennt, hat Brueterich Press gefunden. Oder umgekehrt. Mit Grund unter Grund legt er eine Publikation vor, mit sehr bizarrem Buchstabencover (ist das ein Generator?), die nur so schäumt. Die Texte wechseln in Typographie und Satz und der Schriftgröße. Es ist Prosa, Lyrik, Miniaturen, Maximen, andere Sachen und im Mittelteil (vorweg: der schärfste Teil) ein ganzer Strip der Zeichnungen Witzels mit Texten. Letztere sind an Charme und reziproker Ertüchtigung der Bestandteile kaum zu übertreffen. Mit eigenwilligem Bleistift zeichnet Witzel, unterlegt von Grundschulschrift einer erstaunliche visuelle Fassung der im Losen kreisenden Geschichte um Connie und Walter. Ein Hauch Petrus Akkordeon umweht die Figurinen. Melancholisch, finit und grau-glänzend. Komische Maschinen, der Vogel, Religion, Tod... Allein hierfür lohnt Grund unter Grund.
Doch auch die Texte, alleinstehend, sind schillernd, überfordernd, im Unfokussierten vereint, sensibel und grüblerisch. Nicht selten bitter, gesprächig, (pseudo-) belehrend, schwierig zu fassen. Wie es an einer Stelle heißt:
Verlängerung der Wahrnehmung durch Untätigkeit.
Connie und Walter machen vieles und nichts zugleich, geistern durch Tierfabeln, sind depressive Anstaltsbewohner, sterben, reüssieren und subjektivieren sich durch die Textsortenassemblage. Einige Stellen, in vereinfachter Darstellung:
Ich kam aus dem Asyl
schräg gegenüber vom Bahnhof
einem leerstehenden Haus
mit Verzierungen über den Fenstern
halb abgeschlagen von den Wahnsinnigen
die in den Blumenranken immer wieder Fratzen sahen
die ihnen befahlen der Sonne das Licht auszuknipsenDie Plane eines Lastwagens
die stumme Uhr über dem Eingangstor
der Regen auf dem Gips
links das Bett
das Zimmer übertüncht
als sei hier was geschehen
es schellt mit leerem Widerhall
Kupferkessel
Stahlgerüst
Glasscherben
eine Kette schwankt
die früher Kadaver gezogen hat
aus Connies Quest:
7
Der Stier verabschiedet sich, als sei
nichts gewesen. Nun kommt die nächste
Prüfung: Die Großmutter. Sie mag Spu-
cke und sammelt Handtaschen. Sie war
nie jung. Sie kann den Kopf wie eine Eule
drehen. Sie flößt Connie abwechselnd
Magenbitter und Eckes Edelkirsch ein.
Der Fernseher wird laut gedreht. Es
hallt ein Ruf wie Donnerhall, sagt die
Großmutter. Sie versucht Connie vom
Balkon zu stoßen Am nächsten Morgen
verabschiedet sie sich zeitig und
so, als sei nichts gewesen.
Die Ärzte schickten ihn in eine
nicht symptomfreie, aber zumindest
befundlose Welt zurück.
Witzel behandelt Jenseits und Geschichte, Textsorten und Repräsentation mit einem aushebelnden Duktus. Das ganze hängt irgendwie zusammen. Aber so, wie man überhaupt sagen kann, alles was man sieht, hängt irgendwie zusammen. Eine als ontologisch daherkommende Schwermut steckt in jedem Beitrag. Besonders in den Zeichnungen kommt ein fast kindhaftes Schauen hinzu, dass die Dinge erstmal so nimmt, sie mit Grotesken und Hinzuerfindungen belädt und ihnen so ihren Platz freiräumt. Witzels Universum in Grund unter Grund ist dennoch nicht übergewichtig, sondern ganz im Gegenteil äußerst biegsam, stellenweise ziemlich witzig wie ein Slapstickmärchen und nicht zuletzt von origineller Sprachverwendung geprägt.
Aneinandergelegte Gesichter. Vor den ge-
schlossenen Läden sitzt jemand und weint in
ein Telefon, während ein anderer den Namen
einer Frau ruft. Des Regens kleine Nadeln
auf den nackten Oberarmen. Dicht unter
dunklen Fensterbänken entlang, eine Reval in
der Hand, abends mit dem Ausblick auf die
dämmernde Veranda beim Hawaitoast, sieht
Walter sein Leben langgestreckt und mit Sicht
auf Kurpromenade und Park umgarnt. Reifen
durchfahren Pfützen, Reklametafel fremder
Supermärkte, die eingefangen in Dunkelheit
einsam liegen, einsam Parkplatz, einsam
Schatten, einsam Spiegelung.
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