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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Zoffende Barbaren im Syntaxgestrüpp

Wie Alexander Gumz das Gedicht gehörig auf Vordermann bringt
Hamburg

Lyrik macht nicht nur Spaß, sie ist manchmal auch richtig lustig, vor allem dann, wenn sie nicht auf komödiantische Quatschreime, sondern auf bitteren schwarzen Humor und gallige Sentenzen setzt, gepaart mit überraschenden Formulierungen, unerwarteten Wendungen und überhaupt einer geballten Ladung an Frechheit und Chuzpe. Das alles ist im neuen Buch von Alexander Gumz, „barbaren erwarten“, in überbordender Fülle zu finden, deshalb blättert man gerne darin, nicht zuletzt natürlich wegen der schönen Ausstattung.

Gumz’ Protagonisten sind die Außenseiter, die Unzufriedenen, die Enttäuschten. Vor allem die beiden Zyklen „oh dörflichkeit, veränderung“ und „miserenpark“ führen in ein modernes Absurdistan, in dem hinterwäldlerischer Irrsinn herrscht, alles bis zur Reglosigkeit eingelullt ist und, um ein konkretes Beispiel anzuführen, ein Jäger, der die Fallen ausgelegt hat, in bürokratisch-gefühlloser Manier sein versehentliches Opfer mit finanzieller Entschädigung beschwichtigt, die Erotik des Geldes schamlos ausnutzend:

er nickte, fuhr mir mit einem geldschein durchs haar:
warte noch ein weilchen, bis wir dich versichert haben.
nie mehr wirst du traurig sein.

Die Dörflichkeit, so ahnt man dunkel, wäre an sich vielleicht gar nicht übel, gäbe es nur die Menschen nicht. Was sie treiben und denken, ist ein unversieglicher Quell des Unmuts. Sie machen alles zur Farce, überlassen ganze Landstriche der umnebelten Unvernunft:

nach benzin stinke ich, nach langeweile, rauch.
mir tritt entgegen: ein abgeordneter der dorfjugend,
mit manifesten, drohungen. du darfst träumen, also hopp,
lass dir das auf den hintern tätowieren.

Worin diese Träume bestehen, wird schon nach wenigen Zeilen deutlich: „wer keine kapelle ansteckt, sagt er, soll zu hause bleiben.“ Wo die Syntax selbst noch sacht an sehnsuchtsvolle Traditionen gemahnt, zeigt sich der Protagonist im Gegenteil bereits vollkommen ernüchtert und desillusioniert. Die Verachtung der Werte geschieht mittels Gewalt; diese schlägt in Gumz’ Gedichten allenthalben durch, aber dahinter grinst eine Bitterkeit über die Zustände hervor, die allein mit flapsigem Sarkasmus zu ertragen sind.

wer glaubt, dass morgen alles besser wird,
bestrafe ich mit internet nicht unter zwei dekaden.

ob ich traurig bin, verloren, sauer? kann sein, verdammt,
ich werde schritt für schritt geschreddert.

Ein hohes Frustpotenzial hat sich aufgebaut; es entlädt sich in zornigen Bemerkungen über ein blindes Licht, über einen Gott, der im Radio mit Untergang droht, über Ordnungshüter und Sonntagszeitungen. Im Supermarkt, auf der Flaniermeile, in der Kneipe, am Kanal, überall in den urbanen Neonzonen kauert das Versagen, die Wut, aufs eigene Selbst, auf die Liebe, irgendwie ‚fiebrig’ — wie man es den Großstädten einst nachsagte —, dann auch wieder eiskalt, glasklar. Um nicht unterzugehen, gibt es den Rettungsring der Bizarrerie. Das kuriose Bild, der drollige, unlogische Anschluß, die originelle Formulierung, sie machen den Schrecken erträglich, indem sie immer wieder lachende Aufschreie hervorlocken.

Oft kommt eine Entfremdung, ein Gefühl des Fremdgewordenseins auf die eine oder andere Weise zur Sprache. Denn vieles ist unecht, reine Kulisse, ein Possenspiel, abgefuckt und höhnisch leer. Stellvertretend für zahllose Zeilen seien die folgenden drei Gedichtanfänge zitiert:

— irgendwie sind die funkgeräte auf eine andere frequenz eingestellt.
— in welchen idiotischen regionen wird mir von zu haus erzählt?
— zwei doppelgänger neben mir im bett.

Manchmal sucht Gumz bewußt die Provokation, die bei genauer Betrachtung eigentlich aber keine ist (man behalte im Hinterkopf: das lyrische Ich ist noch lange nicht mit seinem Autor identisch), weil er nur zeitgenössische bundesrepublikanische Stimmungen einfängt, Befindlichkeiten, Vorstellungen, Perfiderien. Das fetzt, das schmerzt, das beunruhigt. Idyllen-Exorzimus at its best. In diesem Vademecum für den Großstädter versammeln sich Situationen, die alle etwas Spukhaft-Albträumerisches haben, weil jede vermeintliche Sicherheit schnell den Boden unter den Füßen verliert. Das geschieht weniger bei den Bildfolgen als vielmehr in den bereits erwähnten sprachlichen Brüchen und Schnurritäten. Das Motto lautet also: Barbaren erwarten, ihnen mit Gumzsprache eins überziehen, selber dabei wild werden und ganz herrlich frei.

ich bin wütend auf sprache, auf alles,
was mit krachenden griffeln in mich fasst. doch ich sags nicht laut.

Gumz schreibt so, daß die inhaltliche Ebene die wichtigste bleibt, man dennoch stets mit sanftem Nachdruck an die Faktur erinnert wird. Seine Gedichte sind offene Gebilde, nie ganz abgeschlossen, nicht nach allen Seiten abgesichert, schnodderige Alltagssprache steht neben Reimen, gedopter Jugendjargon und moderner Slang neben ganz traditionellen Allusionen, es gibt Sprünge und Verwerfungen, doch nie in solchem Ausmaß, daß der Kitt der Sprache unwirksam wäre. Nicht alle Gedichte erschließen sich sofort, doch je öfter man sie liest, desto aufregender werden sie. Man muß sich nur auf diese stroboskopische Dichtung einlassen.

Alexander Gumz
barbaren erwarten
kookbooks
2018 · 88 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3937445861

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