Griechische Dichter trotzen der Krise im eigenen Land
Der Titel dieser Anthologie ist dem Gedicht Der Tisch von Orfeas Apergis entnommen. Darin heißt es:
"begehrenswert, und zwar mit Satyrn und Nymphen
und kleinen Tieren zum Schlachten
mit geschwollenen Lebern, garantiert, fettig,
wie zu Opfern bereit,
convenient,
ruhig gestellt,
gefangen in den Feinheiten des Zedernholzes."
Das beschreibt meines Erachtens im übertragenen Sinne sehr schön die aktuelle Situation der Griechen, veranschaulicht vielleicht ein Stück weit ihre berechtigte Hoffnungslosigkeit.
In dieser Anthologie werden 29 DichterInnen mit je zwei Gedichten in deutscher Übersetzung vorgestellt. Wobei "diese Anthologie hier möchte zeigen, wie vielfältig die aktuelle griechische Dichterszene ist." Im englischsprachigen Raum sind ja bereits zwei neuere Anthologien bezüglich Griechenland und Krise erschienen: Theodoros Chiotis (Ed.), Futures: Poetry of the Greek Crisis, Penned in the Margins, 2015 und Karen Van Dyck (Ed.), Austerity Measures. The New Greek Poetry, Penguin, 2016. Im deutschsprachigen Raum hat ein solcher Überblick bis jetzt gefehlt.
Und so ist es in der Tat, dass sich bestimmte aktuelle Themen fast wie ein roter Faden durch diese Anthologie hindurchziehen: die Krise in Griechenland, die Flüchtlingskrise, Not, Kampf, Hoffnung, Hoffnungslosigkeit, Aufbruch und Neuanfang, Risse und Nischen.
Für die griechische Krise und die damit einher gehende Hoffnungslosigkeit haben die Dichter passende Worte gefunden. Theodoros Chiotis in Frequenzbereich:
"Wir haben den letzten Winter
nicht richtig genutzt,
konnten's auch nicht
solange wir in einem System der Abhängigkeit
verharrten."
Christos Koukis in Schlaf: "Dieses Land geht nicht mit gutem Gewissen schlafen." Theodoris Rakopoulos in Kurzfilm: "Mein Heimatland ist ein Billigflug, es lebt davon, Küsten aufzuzehren, [...] Ein Rettungsdarlehen schleppt es mit". Kiriakos Sifiltzoglou in Zugvögel: "das Land leidet / an einem infektiösen Fieber [...] Gastfreundlichkeit zeigt sich als Hautausschlag".
Die Flüchtlingskrise wird am krassesten von Jazra Khaleed thematisiert. Er ist 1979 in Grosny, Tschetschenien geboren worden, schlüpft aber sehr gekonnt in die Rolle eines syrischen Flüchtlings: "Ich [...] möchte, obwohl ich nichts weiter als ein bescheidener Flüchtling bin, im Namen der Syrer die griechischen Männer und Frauen um Entschuldigung bitten dafür, dass wir euren Bildschirm mit unseren Toten füllen". Auch legt er dabei einen ordentlichen Sarkasmus an den Tag: "Wenn sie mich schon umbringen, dann lieber in einer Fremdsprache".
In dem Gedicht Brand Him with R for Refugee von Lenia Safiropoulou bringt sie die Stigmatisierung der Flüchtlinge mit der Praxis des Brandmals von Kriminellen und Verbrechern jeder Art in Zusammenhang, wie sie wohl in Großbritannien bis 1829 in Gebrauch gewesen sein soll.
Ein Aufbruch und Neuanfang findet sich sowohl in der Dichtung als auch auf der Straße: "auf schwarze Kleidung wird immer noch eingeprügelt / und manches Gesetz ist noch zu brechen".
Natürlich geht es bei den vielerlei Gedichten auch um das Spiel mit den Worten, um die Auseinandersetzung mit den Worten und ihrer Macht. Aber auch immer wieder finden sich Bekenntnisse zum Schreiben, zum Dichter:
"ich schreibe
und diese unbezwingbare Stille über der Welt
ist ihre eigene Art der Poesie."
Man merkt, dass es sich bei diesen Dichtern um Griechen handelt, auch daran, dass in diesen Gedichten immer mal wieder die griechische Mythologie, die Odyssee etc. anklingt.
Im Gedicht Der Winterschwimmer von Maria Topali versammeln sich Eteokles, Polyneikes, Antigone, Ismene, Ödipus und Iokaste. Zum Schluss des Gedichtes heißt es zu Ödipus' drittem Sohn: "Dass dieser Mann mit brennend heißer Dunkelheit gestillt wurde / Von Ioakastes herrlicher Brust." In der Wikipedia kann man nachlesen: "Iokaste [...] ist eine Gestalt aus der griechischen Mythologie. Sie [...] heiratete Laios und nach dessen Tod in zweiter Ehe ihren Sohn Ödipus, mit dem sie nach einigen Sagentraditionen zwei Söhne (Eteokles und Polyneikes) und zwei Töchter (Antigone und Ismene) in die Welt setzte." Ödipus hatte also gar keinen dritten Sohn. Und dann wird klar, dass er damit selbst gemeint ist.
In dem Gedicht Hekabe von Anna Griva geht es um eine Namensähnlichkeit: "Meine Mutter sagte immer, / mein Name sei Schuld daran: / Der unterschied sich nur wenig / von dem der dunklen Hektate." Auch hier kann ein Blick in die Wikipedia weiterhelfen: "Hekabe [...] ist in Homers Ilias die sechste und letzte Königin von Troja und Gattin des Priamos." und "Hekate [...] ist in der griechischen Mythologie die Göttin der Magie, der Theurgie, der Nekromantie (Totenbeschwörung). Sie ist die Göttin der Wegkreuzungen, Schwellen und Übergänge, die Wächterin der Tore zwischen den Welten." Und so kämpft die Protagonistin in diesem Gedicht auch an gegen die Finsternis und Traurigkeit, die man ihr anhaften will.
Interessant in diesem Buch sind auch die Abbildungen von diversen Graffiti und Sprüchen an Hauswänden, die zu den Gedichten kongenial passen, da auch aus ihnen die Krise spricht. Die meisten sind wohl aus Athen, denn ein paar davon habe ich selbst dort gesehen, in Exarchia, dem anarchistischsten Stadtteil von Athen.
Wer sich also einen Überblick über die neuere griechische Lyrik verschaffen will, die geprägt ist von der andauernden Krise Griechenlands, dem sei diese Anthologie empfohlen.
***
Mit Gedichten von Dimitris Allos, Vassilis Amanatidis, Orfeas Apergis, Iana Boukova, Thodoris Chiotis, Nikos Erinakis, Phoebe Giannisi, Anna Griva, Giorgos Hantzis, Katerina Iliopoulou, Panayotis Ioannidis, Jazra Khaleed, Patricia Kolaiti, Tonia Kosmadaki, Dimitra Kotoula, Christos Koukis, Dimitris Leontzakos, Pavlina Marvin, Dimitris Melicertes, Iordanis Papadopoulos, Dimitris Petrou, Eleni Philippou, Stamatis Polenakis, Thodoris Rakopoulos, Lenia Safiropoulou, Kiriakos Sifiltzoglou, Danae Sioziou, Yannis Stiggas und Maria Topali.
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