Freischwimmen auf Kamelen
Zwei Jahre hat Moritz Gause in Kirgistan (oder wie der Name in genauer Transkription lautet: Kyrgyzstan) verbracht. Die biographische Information ist in diesem Fall durchaus nicht ohne Bedeutung, denn der Aufenthalt dort hat seine Gedichte offensichtlich stark geprägt. Unterwegsgedichte sind die meisten in seinen „Meditationen hinterm Supermarkt“, doch mehr als ein Drittel ist in Kirgistan zu verorten. Großstädte wie Berlin sind Gause dagegen allemal nicht ganz geheuer. Die Physiognomie ihrer Bewohner zum Beispiel ist Anlaß für den folgenden „Stadtbusgedanke[n]“:
Die letzten Jahre muss ich
besoffen gewesen sein
vor Glück, als ich mich
über die traurigen Augen
der anderen wunderte.
Vor allem die Bahnhöfe samt deren Toiletten sind Orte der Tristesse, irgendwie schäbig, schmutzig, voller lungernder Gestalten. Die Unbehaustheit der gesamten modernen Welt ist symbolisch in dieser unscheinbaren Beobachtung eingefangen:
Das Herren-WC: eine feuchte Grotte
und nur Gott weiß um die Provenienz
des Seifenstücks im Abflusssieb
Ein ganz anderer, viel frischerer und weiterer Atem weht aus den Gedichten, die kirgisische Landschaften und Menschen zum Thema haben. Wenn auch hier nicht alles einer Idylle entsprungen ist, wenn es Abschiede und melancholische Momente gibt, geht es zuletzt doch entspannter zu, die Menschen reden und trinken (ja: saufen) miteinander, die Prospekte rollen sich zu einem Katalog sinnlicher Eindrücke und Empfindungen auf, alles scheint näher, konkreter und auch ein bißchen weniger anonym. In der Ferne werden Werte hinterfragt und verbotene Phantasien — und Worte — wieder gewagt.
Es ist mir fast egal
wie andere meine Metren bewerten
ich glaube nur an Königin und Steppe
denn beide sind treu, uferlos und unberechenbar schön
Moritz Gause ist ein Augenblicksfänger. Seine Gedichte sind skizzenhaft angelegt, sie wollen oft nicht mehr, als einen Moment, eine Stimmung, eine Beobachtung festzuhalten. Das geschieht ohne große Gesten, nur manchmal vielleicht eine winzige Spur zu burschikos-rebellisch. Dahinter steckt natürlich ein Ungestüm, das alles fassen will, was es zu packen kriegt, auch und besonders die selten in einem Gedicht gewürdigten Dinge. Gause läßt sich meist von alltäglichen Situationen inspirieren und schafft es dabei, auf kleinstem Raum eine nachvollziehbare, lange nachhallende Stimmung auszubreiten. Auch wenn dieser Debütband nicht so streng komponiert ist wie andere in den letzten Jahren, entsteht am Ende doch der Eindruck von angenehmer Geschlossenheit, die auf weitere Gedichte des Autors allemal sehr neugierig macht. Eine Stadtszene wie die folgende, mit präzisem Pinselstrich aufgetragen, fast impressionistisch anmutend, mag den positiven Eindruck aufs Schönste belegen:
Auf dem Weg zum Supermarkt
endet der Versuch, mir meinen Tod vorzustellen
mit der roten Leuchtreklame
über dem schwarzen Parkplatz
mit den roten Flugwarnlichtern an den Schloten
des Heizkraftwerks im Nebel
Fixpoetry 2018
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben